Alle Verbindungsdaten von allen Handy-Nutzern: Die Polizei in Sachsen hat wiederholt massenhaft den Mobilfunkverkehr ausgewertet, Tausende Unschuldige sind betroffen. In einem Fall rudert die Staatsanwaltschaft zurück - in einem anderen wird seit Jahren ermittelt.
Hamburg - Mehr als 30 Fahrzeuge der Bundeswehr gingen in Flammen auf, Unbekannte hatten sie auf dem Gelände der Albertstadt-Kaserne in Dresden angezündet. Zwei Jahre ist der Brandanschlag her - das Landeskriminalamt hat seitdem offenbar noch immer keine Tatverdächtigen ermitteln können. Dafür haben die Fahnder der Ermittlungsgruppe Albertstadt einiges an Daten zusammengetragen.
Wie der MDR nun berichtet, hat die Polizei Zehntausende Mobilfunkdaten aus der Dresdner Neustadt gesammelt - offenbar eine sogenannte Funkzellenauswertung. Die Informationen seien in ein computergestütztes Datenabgleichsystem namens EFAS eingespeist worden. Dort sollten die Daten mit 162.000 Kassenblegen von Obi-Baumärkten verglichen werden. Einer von etwa zehn bei dem Anschlag verwendeten Brandsätzen explodierte nicht, eine schwarze, nur bei Obi erhältliche Kiste gilt als Anhaltspunkt, um die vermutlich linksextremen Täter zu finden. Noch immer werden diese Daten gespeichert und ausgewertet.
Kritik an dem Massenabgleich und der fortwährenden Speicherung übte die innenpolitische Sprecherin der sächsischen SPD-Landtagsfraktion, Sabine Friedel. Dem MDR sagte sie, die Überwachung der Bürger durch die Polizei des Freistaates scheine systematisch stattzufinden. Die Überwachungstätigkeit der Polizei hat nach Ansicht der Abgeordneten "erschreckende Ausmaße" erreicht.
Der rechtspolitische Sprecher der in Sachsen mitregierenden FDP kündigte an, die Regierung zu dem Vorfall zu befragen. Offenbar seien massenhaft Daten von unbeteiligten Menschen abgeschöpft und ausgewertet worden, sagte Carsten Biesok dem Sender. Mittel wie die Vorratsdatenspeicherung und präventive Telefon-Überwachung dürfe man nicht in die Hände der Polizei geben.
Bürger im Schleppnetz der Rasterfahnung
Eine Sprecherin des Landeskriminalamts Sachsen betonte, es handele sich um ein in der Strafprozessordnung vorgesehenes Ermittlungsmittel zur Aufklärung schwerer Straftaten. Dass die Daten immer noch gespeichert seien, liege an dem immer noch laufendem Ermittlungsverfahren. Die Entscheidung darüber habe die Staatsanwaltschaft zu treffen, nicht die Ermittler. Offenbar handelt es sich bei den beiden nun bekannt gewordenen Maßnahmen nicht um Einzelfälle. Wie oft eine Funkzellenauswertung bereits angewendet wurde, konnte die Sprecherin nicht sagen.
Erst am Wochenende hatte die "tageszeitung" enthüllt, dass die Polizei im Februar das Kommunikationsverhalten von Demonstranten ausgespäht hatte. In Dresden hatten Tausende gegen einen Aufmarsch von Neonazis protestiert. Wie die Zeitung berichtet, sollen die Ermittler über einen Zeitraum von mindestens viereinhalb Stunden eine Funkzellenauswertung durchgeführt haben.
Positionen von Handy-Nutzern, die Telefonnummern sämtlicher Gesprächspartner und SMS-Nachrichten sollen dabei erfasst worden sein. Die Maßnahme habe 12.000 Anwohner betroffen - Demonstranten, aber auch Journalisten, Anwälte, Politiker und nicht zuletzt Einsatzkräfte. Mit den Verbindungsdaten sollten Verdächtige gefasst werden, die Polizisten angegriffen haben sollen.
Ursprünglich sollten die Daten zur Aufklärung eines schweren Landfriedensbruchs dienen. In mehreren Fällen seien die Verbindungsdaten auch in Ermittlungen gegen Personen eingeflossen, denen lediglich die Störung der angemeldeten Nazi-Demonstration vorgeworfen wird, bestätigte die Staatsanwaltschaft. Mittlerweile sei sie aber der Ansicht, dass dieses Vorgehen juristisch nicht haltbar sei. "Wir halten das für nicht notwendig und nicht verwertbar", sagte Lorenz Haase, Oberstaatsanwalt in Dresden, der "tageszeitung".
Der Bundesdatenschutzbeauftrage Peter Schaar hatte daraufhin gefordert, die Funkzellenauswertung stärker als bisher einzugrenzen. "Außerdem sind klare Vorgaben für die Verwendung der dabei gewonnenen Daten notwendig", sagte er der "tageszeitung".
Das Innenministerium in Sachsen wollte wegen der laufenden Ermittlungen in beiden Fällen keine Fragen zu den Vorgängen beantworten. ore