Beinahe acht Monate ist es her seit Kamal K. von zwei Nazis in der Nähe des Leipziger Hauptbahnhofes erstochen wurde. Am 17. Juni wird nun vor dem Landgericht die Hauptverhandlung gegen die Täter eröffnet. Doch schon die Tatwürfe lassen erkennen, dass der Mord an Kamal entpolitisiert und bagatellisiert werden soll. Der eine Täter, Daniel K, muss sich wegen gefährlicher Körperverletzung verantworten, der 2. Marcus E, wegen gefährlicher Körperverletzung und Totschlag. In den Augen der Ermittlungsbehörden ist das, was in der Nacht vom 23. zum 24.10.2010 geschah, ein dummer Zufall gewesen.
Aufruf zur Demo und zur Prozessbeobachtung: Kamal K.: ein „unpolitischer“ Mord?
Mobivideo zur Demo in Leipzig: "Auf nach Leipzig!"
Initiativen die an rechte Morde erinnern: Initiativkreis Antirassismus | "Niemand ist vergssen!" | Siempre Antifascista | Initiative für ein aktives Gedenken | Bündnis „Schon vergessen?“ | North East Antifascists | Dortmunder Antifa-Bündnis; antifaschistische Union Dortmund |
  
  
    Berichte auf Indymedia zum Mord an Kamal: [LE] Rassistischer Mord? | Demo in Leipzig: "Das Problem heisst Rassismus | Leipzig: Spontandemo gegen Rassismus | Leipzig: Kamal K. von Nazis ermordet | Leipzig: Demonstration zum Mord an Kamal | LE: Bilder, Berichte etc. zur Demo (04.11) | Schweigen um den Mord an Kamal K. brechen | Leipzig: fehlende Auseinandersetzung mit Rassismus | Leipzig: Das Schweigen brechen | Leipzig: Täter aus der U-Haft entlassen | Leipzig: Mittäter im Mordfall Kamal wieder frei | Leipzig: Reaktion zur LIZ | Leipzig: Die LIZ antwortet dem Initiativkreis | Alltäglichen Rassismus sichtbar machen. | Leipzig:"Das Schweigen brechen.." ein Bericht | Leipzig: Rechte Morde, niemand ist vergessen. |
 Was ist passiert?
In dieser Nacht befand sich 
Kamal gemeinsam mit seiner Freundin und einem Kumpel auf dem Weg vom 
Discobesuch nach Hause. Im Park vor dem Bahnhof kam es zu einem Streit 
zwischen Kamal und seiner Freundin. In diesem Moment tauchten Marcus E. 
und Daniel K. auf, sprachen den Abseits sitzenden Kumpel von Kamal an. 
Dieser ging auf das Trio zu und fragte ob es Probleme gebe. Die Antwort 
der beiden Nazis kam prompt: „Ja, wir haben ein Problem, mit dir!“, 
woraufhin es zu einer verbalen Auseinandersetzung und schließlich zu 
Handgreiflichkeiten kam: Marcus E. und Daniel K. schlugen auf Kamal ein,
 letzterer besprühte Kamal mit Pfefferspray, der dadurch die Sicht 
verlor und sich nicht weiter verteidigen konnte. Daraufhin riss Marcus 
E. Kamal zu Boden und stach ihm mit einem Messer mehrfach in den Bauch. 
Trotz Notoperation starb der erst 19 jährige Kamal noch im Laufe des 
Sonntages an seinen schweren Verletzungen.
In den Augen der 
Leipziger Staatsanwaltschaft gab es in der Tatnacht einen Streit „ohne 
erkennbaren Grund“ und eine darauffolgende Schlägerei mit Todesfolge. 
Weder der politische Hintergrund der Täter hat bei den Ermittlungen von 
Polizei und Staatsanwaltschaft eine Rolle gespielt, noch die 
Tatkonstellation, in der zwei bekennende Neonazis einem Migranten das 
Leben genommen haben. Das finden wir – auch mit Blick auf die Biografien
 der Täter mehr als merkwürdig.
Daniel K. war ein „Mann fürs 
Grobe“ in der neonazistischen „Kameradschaft Aachener Land“ (KAL). 
Regelmäßig gab es in seiner Wohnung größere Nazi-Feiern. Bei einer 
Durchsuchung seiner Wohnung wurden Hakenkreuzfahnen und Baseballschläger
 beschlagnahmt. Daneben nahm Daniel K. regelmäßig an Naziaufmärschen 
teil und stand dabei nicht nur einmal in der ersten Reihe. Szenekenner 
beschreiben ihn als „ideologisch außerordentlich gefestigt“. Ein 
Mitläufer ist er nicht, auch kein Aussteiger, wie sein Verteidiger 
verlauten ließ. Ein Indiz ist auch der Pullover, den er am 24. Oktober 
2010 während der Tat getragen hat. Auf diesem stand der Nazispruch „Kick
 off Antifascism“ geschrieben. Über Marcus E. ist weniger bekannt, er 
stammt aus Thüringen und wurde 2002 wegen Vergewaltigung und 
Körperverletzung verurteilt. Laut AugenzeugInnenberichten trägt er 
eindeutige Nazitätowierungen auf der Haut, bei einer Durchsuchung seiner
 Wohnung in Erfurt sollen unzählige Nazidevotionalien gefunden worden 
sein. Beide Täter lernten sich im Knast in Waldheim kennen. Mindestens 
einer von beiden wurde während der Haftzeit von der neonazistischen 
„Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren 
Angehörige“ (HNG - Information beim apabiz) unterstützt. Funktion dieser Gruppierung ist es, Neonazis auch innerhalb des Gefängnisses in der Szene zu halten.
Die
 Leipziger Staatsanwaltschaft sieht trotz dieser politischen 
Hintergründe der Täter und dem Verlauf der Nacht keine „hinreichenden 
Anhaltspunkte für eine rassistische Motivation“ gegeben. Angezweifelt 
wird lieber die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Täter, da sie zur
 Tatzeit „nicht unerheblich alkoholisiert“ gewesen sein sollen. Damit 
wird den Tätern ein bewusstes Handeln abgesprochen. Die Szenerie vor 
Prozessbeginn erinnert an vergangene Fälle. Bereits fünf Morde sind in 
Leipzig seit 1990 durch Nazis begangen worden. In keinem der Fälle 
schaffte es die Staatsanwaltschaft, rassistische, homophobe oder 
sozialdarwinistische Motive zu erkennen, nachzuweisen oder überhaupt 
ausreichend zu würdigen – selbst dann nicht, wenn die Täter, wie im Fall
 des 1996 gewaltsam zu Tode gekommenen Achmed Bachir, mit der 
unmissverständlichen Aussage durch die Stadt gelaufen sind, „Ausländer“ 
töten zu wollen, und das dann auch getan haben.
Justiz, Polizei & politische Einordnung
Das
 Strafrecht kenne keine politischen Straftaten – solche Behauptungen 
müssen sich Menschen, die den Mord an Kamal als rassistisch begreifen 
und als solchen skandalisieren, aus der bürgerlichen wie der linken Ecke
 immer wieder anhören. Selbstverständlich geht es nicht darum, ein 
Gesinnungsstrafrecht einzufordern oder überhaupt ein juristisches Urteil
 vorwegzunehmen.
Wer allerdings die Augen vor der politischen 
Durchdrungenheit der Justizorgane schließt, ist idealistisch bis naiv: 
Sowohl RichterInnen als auch StaatsanwältInnen sind DienerInnen des 
bürgerlichen Staates. Sie sind dabei nicht nur dessen Regeln 
unterworfen, sondern sind auch diejenigen, die sie im staatlichen 
Interesse betätigen und durchsetzen. Es gibt aber kein „neutrales“ 
staatliches Interesse: Das Strafgesetzbuch ist so wenig wie das 
Grundgesetz eine unabänderliche Tatsache, sondern wird durch darauf 
bezogene Entscheidungen juristisch und politisch ausdefiniert. In diesem
 Sinne kann der Umgang der Justiz mit dem Fall Kamal K. nicht frei von 
politischen Deutungen sein. Die Annahme, es läge trotz aller Indizien 
kein politisches Motiv vor, ist bereits eine solche politische Deutung –
 wohlgemerkt seitens der Anklage, die sich damit im Verbund mit der 
Polizei schon während der Ermittlungsarbeit auf die so naheliegende wie 
durchsichtige Entschuldigungsstrategie der Verteidigung eingelassen hat.
Wir
 müssen zur Kenntnis nehmen, dass auf der institutionellen Seite kein 
Interesse vorliegt, die politische Komponente des Falls anzusprechen. 
Wir allerdings wollen die Tat in einen gesellschaftlichen Kontext 
einordnen und vor diesem Hintergrund politisch bewerten. Dieser 
Hintergrund wird nicht dadurch „neutral“, dass man ihn für unpolitisch 
erklärt. Denn ohne diese entscheidende politische Komponente wäre Kamal 
vermutlich noch am Leben.
Der Initiativkreis Antirassismus will 
nicht schweigen. Darum ruft er vor Prozessauftakt dazu auf wieder auf 
die Straße zu gehen. Am 13.6. will er mit einer antirassistischen 
Demonstration die gesellschaftlichen und politischen Zustände 
skandalisieren, in denen solche Taten außerordentlicher 
Menschenverachtung begangen werden. Es wird dazu aufgerufen die von 
Familie und FreundInnen von Kamal organisierten Mahnwachen, die an jedem
 Prozesstag vor dem Landgericht stattfinden und den Prozess selbst zu 
besuchen. Damit soll gezeigt werden, dass die Art und Weise, in der 
deutsche Justizbehörden solche Morde pflichtgemäß abwickeln, nicht 
hingenommen werden.
Auch der Stadt Leipzig wird vorgeworfen, dass
 sie keine Notwendigkeit sieht, auf die Dimension der Nazigewalt nach 
der Wende hinzuweisen, geschweige denn deren Opfern zu gedenken. Im 
aktuellen Fall begnügte sich der Oberbürgermeister mit 
Betroffenheits-Schreiben an den Flüchtlingsrat und den Zentralrat der 
Muslime (obwohl Kamal Christ war). Kein persönliches Wort in Richtung 
der unmittelbar Betroffenen, erst recht keine Äußerung zu einem 
möglichen politischen Hintergrund. Tatsächlich gab es an jenem 24. 
Oktober 2010 zwei Menschen, die zum Zeitpunkt ihres Handelns von den 
Gründen ihres Tuns überzeugt waren; die sich deswegen bewaffnet, die 
Auseinandersetzung mit einem „nicht-deutschen“ Menschen gesucht und 
seinen Tod nicht nur in Kauf genommen, sondern aktiv herbeigeführt 
haben. So etwas geschieht aus verkehrter Überzeugung, aufgrund 
menschenfeindlicher Verrohung und ideologischer Zurichtung.
Am 13.6.2011 antirassistische Demonstration in Leipzig
 – es soll an Kamal und den anderen Opfern rechter Gewalt gedacht werden
 und ein weiteres Mal klar gestellt werden, dass weder Rassismus noch 
das ignorante Vorgehen des Staates geduldet werden.
13. Juni, 17:30 Uhr ab Auerbachstraße/ Wolfgang-Heinze-Str.: Antirassistische Demonstration
17.
 Juni, 24. Juni, 4. Juli, 7. Juli, 8. Juli jeweils zwischen 9 und 15 
Uhr, Simsonplatz: Mahnwachen in Gedenken an Kamal K. und die anderen 
Todesopfer rechter Gewalt vor dem Leipziger Landgericht.
  

