Leipzig: Rot ist der Mai

Rot ist der Mai

Die Kampagne "Fence Off" gegen das Leipziger Nazi-Zentrum in der Odermannstraße 8 läuft schon seit drei Monaten - zu kurz für ein Zwischenfazit, aber lang genug, um schon einiges bewegt zu haben. Dieser Artikel fasst zusammen was schon alles im Rahmen der Kampagne passiert ist und was noch folgt.

 

Die Kampagne legt los - "Kein Tag länger das "nationale Zentrum"!


Los ging es mit einer Eröffnungs-Sponti (Bericht bei Indy) Ende Februar, bei der die Polizei ziemlich ausgetickt ist. Deren Schlagstockeinsatz, der zum Abbruch der Demo führte, aber erst auf Nachbohren von JournalistInnen eingestanden wurde, hatte den Nebeneffekt, die Lokalpresse auf das Anliegen der Kampagne aufmerksam zu machen und das Thema mit (bildlich gesprochen) einem Schlag in die Öffentlichkeit zu bringen.

Daraufhin hat sich "Fence Off" zunächst auf eine Informations-Offensive konzentriert. Dazu gehörten der Ausbau der Kampagnen-Website genauso wie das Verteilen von Infoblättern, das Ansprechen und Sensibilisieren von AkteurInnen der Zivilgesellschaft und das Anleiern einer kontinuierlichen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Damit konnte eine öffentliche Debatte angeschoben werden, beispielsweise im Kontext der Berichterstattung der Leipziger Volkszeitung (LVZ) wurde klar Position zum Vorgehen der städtischen Behörden gezogen und sich deutlich abgegrenzt. Auch Veranstaltungen in anderen Städten wurden aufgesucht um für die Kampagne zu werben, wie zum Beispiel in Burg.

Die Kampagne kritisierte zudem die jüngste Repressionswelle sächsischer Behörden gegen antifaschistische Strukturen und solidarisierte sich mit den Betroffenen. Am 12. April wurden im Auftrag des Landeskriminalamtes (LKA) insgesamt 21 Wohnungen und Geschäftsräume durchsucht, am 3.5. gab es eine weitere Razzia gegen ein linkes Wohnprojekt in Dresden. Hintergrund sind Ermittlungen wegen “Bildung krimineller Vereinigungen” nach dem Paragraf 129. In Leipzig fand noch am 12.4. eine Antirepressionsdemo statt, an der sich 600 Menschen beteiligten.

Der 8. Mai wurde als Tag der Befreiung von vielen Menschen gefeiert, so auch in Leipzig, zur "Fête de la Libération" im Conne Island sind am Vorabend mehr als 300 Leute gekommen. Tags darauf ging es nach Lindenau, wo ein Zivilgesellschafts-Bündnis eine Kundgebung auf dem Lindenauer Markt und eine Demonstration durch die Odermannstraße angemeldet hatte. Eigentlich wollte "Fence Off" diese Demo unterstützen, was die VeranstalterInnen aber nicht wollten. Daher wurde nur im kleinen Stil mobilisiert, es waren aber trotzdem viele UnterstützerInnen der Kampagne am Start und haben bei der Demo kurzerhand mit Transparenten einen eigenen Block geformt. Ansonsten wäre diese Veranstaltung wohl ein Schweigemarsch geworden.

Das wäre auch deswegen unangebracht gewesen, weil sich zur selben Zeit in der Odermannstraße ein Dutzend Nazis getroffen hatten. Sie versuchten zunächst recht unbeholfen, die Straße vor dem Grundstück des Nazi-Zentrums zu blockieren, beschränkten sich dann aber auf das Rumstehen auf dem Bürgersteig. Auf der Veranstaltung am Lindenauer Markt verteilte die Gruppe "Antifa Klein-Paris" (AKP) Flugblätter gegen das Nazi-Zentrum und den staatstragenden Antifaschismus. Die Flugis richteten sich gegen das widersprüchliche Handeln der am 8. Mai in Lindenau versammelten LokalpolitikerInnen und RepräsentantInnen der Stadt bis hin zum Oberbürgermeister Burkhard Jung. Es ist übrigens derselbe Jung, der es bis zum Jahr 2000 verantwortet hat, dass das "Kirschberghaus" im Stadtteil Grünau zu einem überregional bekannten Nazi-Treffpunkt und Grünau zum Naziviertel wurde.

Am 13. Mai folgte eine gut besuchte Diskussionsveranstaltung im Westwerk, bei der es um die Möglichkeiten und Grenzen antifaschistischer Kampagnenpolitik ging. Auf dem Podium saßen u.a. VertreterInnen der Leipziger Antifa (LeA), der Berliner Antifa Hohenschönhausen (AH) und ein ehemaliger Redakteur der Zeitschrift "Der Rechte Rand". Wer die Veranstaltung verpasst hat, findet in kürze auf der Website eine komplette Aufzeichnung der Veranstaltung.

Am 21.Mai gibt es in der nähe des Nazizentrums die Kundgebung "Push It To The Limit" (hier findet ihr auch einen Jingle dazu) am Lindenauer Karl-Heine-Platz von 13-21Uhr, bei der es Workshops, Redebeiträge, Live- Musik (Feine Sahne Fischfilet (AFA-Punk mit Trompete)Tapete & Crying Wölf (Rap/Hip Hop), Räuberhöhle (Elektropunk), The Dead Peasants Revolt (Punk aus Kanada), Fireflies (Rap/Rock), The Bayonets (Punk aus Serbien) und vieles mehr geben wird.

Am 21.Mai wird es auch ein Konzert der Nazi-Band "Kategorie C" in Leipzig geben. Es ist mit einem größeren Naziauflauf an dem Tag zu rechnen, denn Leipziger Neonazis sind auch Securitys bei „Kategorie C“-Konzerten, wie zum Beispiel am 12.3.2011 in Moskau. Wo das Konzert in Leipzig ist, wird wohl erst am 21.5. bekannt werden. Auch das letzte Konzert am 13.03.09 in Leipzig konnte nicht verhindert werden (Berichte bei Indy 1 / 2), dennoch besteht immer noch die Möglichkeit für alle AntifaschistInnen am Tag selber tätig zu werden. Die Kundgebung vor dem Veranstaltungsort im Jahre 2009 sollte deutlich gemacht haben, dass sich nicht alle Menschen in Leipzig von Nazis einschüchtern lassen und auch bereit sind, dahin zu gehen wo sie versuchen temporäre Angsträume zu schaffen.

Die nächste Aktion der Kampagne "Fence off" wird es am Sonnabend, 28. Mai. in Form einer Nachttanzdemo (Beats up & Shut Down) im Leipziger Westen geben, die auch durch die Odermannstraße führen wird. Beginn ist 20.30 Uhr an der Angerbrücke.


Die Stadt rührt sich kein Stück

In der Odermannstraße hat sich unterdessen nicht viel getan: Das Bauordnungsamt, das Hinweisen nachgeht, laut denen im Nazi-Zentrum gegen erteilte Nutzungsauflagen und womöglich den genehmigten Bauantrag verstoßen wird, hält sich bedeckt - die Presse bekommt zum Verfahrensstand gar keine Auskünfte, der Stadtrat bisweilen nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Es wird nicht erwartet, dass das Bauordnungsamt in absehbarer Zeit irgendwelche konkreten Schritte unternimmt. In Arbeitseifer verfiel diese Behörde zuletzt, um eher alternativ geprägte Partys und Konzerte, beispielsweise im "Superkronik", zu räumen. Für Nazis aber drückt man gerne ein paar Augen zu.

Zwischenzeitlich musste sich auch das Tiefbauamt um die Odermannstraße kümmern und hat dort sogar eine Begehung durchgeführt. Grund ist ein defekter Abwasserschaft auf dem Gelände des Nazi-Zentrums. Weil dieser Schacht mit Bauabfällen zugestopft wurde, können Fäkalien nicht mehr richtig abfließen, sondern werden mittels Gartenschlauch aufs Nachbargrundstück befördert. Offenbar hält die Stadtverwaltung das Problem für gelöst - NachbarInnen klagen aber weiter über den Gestank und erwägen eine Dienstaufsichtsbeschwerde.

Die Kampagne wird weiter an ihren Aktionen festhalten, so lange bist das Nazizentrum Geschichte ist. Es ist nicht nur ein wichtiger Anlaufpunkt für die lokale Naziszene, sondern spielte auch eine überregionale Rolle. Die politische Arbeit, die dort geleistet wird, hat weit über Leipzig hinaus entscheidende Bedeutung für Nazistrukturen: Hier wird deren Nachwuchs geschult und gezielt agitiert. Je nach Anlass fungiert das Nazi-Zentrum als Rückzugsort nach oder Sammelpunkt vor rechten Aktionen – und immer geht es dabei um Propaganda für den Nationalsozialismus. Nach innen ist das Nazi-Zentrum eine Kaderschmiede, nach außen Trutzburg gegen alle Widerstände und ein Versuch der lokalen Verankerung. Hinter dem Zaun werden außerdem interne Treffen von Szene-Kadern abgehalten. Zu einem solchen Treffen von etwa 20 führenden Köpfen kam es beispielsweise am 24. Januar 2010. Dabei wurden Vorbereitungen für den alljährlichen Naziaufmarsch zum 13. Februar in Dresden getroffen und ein „Sicherheitskonzept“ erarbeitet – sowohl um die Gefolgschaft zu disziplinieren, als auch GegendemonstrantInnen fern zu halten. Der aus diesem Treffen hervorgegangene Ordnungsdienst ist mittlerweile bei mehreren bundesweiten Aufmärschen der Freien Kräfte und Veranstaltungen der NPD zum „Einsatz“ gekommen.