Kritik aus rätekommunistischer und anarchistischer Perspektive am Antisemitismus von links

09.06.11 Infoladen Karlsruhe, Werderstr. 28 www.infoladen-ka.org

Kritik aus rätekommunistischer und anarchistischer Perspektive am Antisemitismus von links


Über Judenfeindschaft in der politischen Linken des 20. Jahrhunderts wurde in den vergangenen Jahren viel geschrieben. Dieser Antisemitismus führt aber nicht nur heutzutage zu heftigen Debatten, sondern stieß bereits zu seiner Zeit auf Kritik von anarchistischer, kommunistischer oder sozialistischer Seite – allerdings stets von einer Minderheit. Franz Pfemfert, Rätekommunist, Mitbegründer der KPD und Herausgeber der Zeitschrift „Die Aktion“, gehörte zu den frühen Kritikern des Bolschewismus und wies in den 1920er Jahren wiederholt auf den Nationalismus und Antisemitismus in der KPD hin. 1937 bezog sich Trotzki in seinem Text „Thermidor und Antisemitismus“ auf Pfemferts frühe Warnungen.


Während ihrer Zeit in Sowjetrussland sammelten die US-amerikanische Anarchistin Emma Goldman und ihrer Lebensgefährte Alexander Berkman Berichte von Jüdinnen und Juden über eine neue Bedrohung. Während einige von ihnen den bolschewistischen Machthabern dankbar waren, sprachen andere von „stillen Pogromen“. Ein Jude erklärte Goldman und Berkman, dass es zwar keine Pogrome gegeben hatte, seit die Bolschewiki an die Macht gekommen waren, aber er war mit den jüngeren Schriftstellern in Kiew der Meinung, der Bolschewismus habe „die antisemitische Einstellung der Massen verstärkt“. Von diesen Gesprächen berichtete Alexander Berkman 1925 in seinem Buch „Der bolschewistische Mythos. Tagebuch aus der russischen Revolution 1920-1922“. Emma Goldman schrieb 1923 in ihrem Buch „My Disillusionment in Russia“ davon, aber auch in ihrer Autobiografie „Gelebtes Leben“, die 1931 im Original erschien.


Der Vortrag versucht die Motive zu ergründen, warum Berkman, Goldman, Alexandra Ramm-Pfemfert und Franz Pfemfert oder Trotzki etwas thematisierten, das vielen anderen innerhalb der Linken gar nicht auffiel.

Olaf Kistenmacher, Hamburg, ist Historiker. Er betreute die Sendereihe „Antisemitismus von links“ im Freien Sender-Kombinat.

Veröffentlichungen von ihm zum Thema:
• „Mein Leben war mit dem der Juden verknüpft“. Zur Wiederveröffentlichung von Emma Goldmans Autobiografie „Gelebtes Leben“, Jungle World 11, 17. März 2011.
• „Jüdischer Warenhausbesitzer finanziert Nazipropaganda“. Antifaschismus und antisemitische Stereotype in der Tageszeitung der Kommunistischen Partei Deutschlands, der Roten Fahne, am Ende der Weimarer Republik, 1928-1933, in: Gideon Botsch/Christoph Kopke/Lars Rensmann/Julius H. Schoeps (Hg.): Politik des Hasses. Antisemitismus und radikale Rechte in Europa, Hildesheim/New York/Zürich: Georg Olms 2010, S. 97-112.
• Vom „Judenkapital“ zur „jüdisch-faschistischen Legion in Jerusalem“. Zur Entwicklung des „Antizionismus“ in der Kommunistischen Partei Deutschlands in der Weimarer Republik, 1925-1933, in: Associazione delle talpe/Rosa-Luxemburg-Initiative Bremen (Hg.): Maulwurfsarbeit. Aufklärung und Debatte, Kritik und Subversion, Berlin: Rosa-Luxemburg-Stiftung 2010, S. 84-95.