Will die Angeklagte eine Märtyrin sein? Eine Studentin hat das Angebot einer Verfahrenseinstellung abgelehnt - und wurde nun wegen der Gleisbesetzung während einer Bildungsdemo verurteilt.
FREIBURG. Provokantes Lachen, 
Zwischenrufe, spöttisch gemeinter Beifall – das klingt nach Landtags- 
oder Bundestagsdebatte, ist aber an diesem Nachmittag Geräuschkulisse im
 Saal III des Amtsgerichts Freiburg. Auslöser ist das erste Urteil gegen
 eine der Demonstranten, die am 9. Juni 2010 im Freiburger Hauptbahnhof 
eine gute Stunde lang ein Gleis für den Fernverkehr besetzt hielten – 
als Protest gegen Studiengebühren. Das Gericht verurteilt die 22 Jahre 
alte Studentin zu einer Geldstrafe von 320 Euro. Das Verfahren gegen 
zwei weitere Angeklagte wurde eingestellt: Sie hatten das Angebot des 
Gerichts – geringe Geldauflage plus einige Stunden Sozialarbeit – 
akzeptiert.
"Als sie in den Bahnhof gerannt sind, habe ich Gänsehaut gekriegt, und 
als ich Meldung bekam, dass sich rund 300 Personen auf Gleis 1 befinden,
 wurde mir ganz komisch", sagt der Zeuge, ein 51 Jahre alter 
Polizeioberrat. Er leitete die Hundertschaft, die am 9. Juni die 
Demonstration begleitete – eine Aktion im Rahmen des "Bildungsstreiks". 
Anfangs sei die Demo diszipliniert abgelaufen. Im Bahnhof jedoch sei die
 Lage außer Kontrolle geraten. Aktivisten setzten sich auf die Schienen,
 machten Lärm mit Trommeln und Vuvuzelas und blockierten so das Gleis 
für eineinhalb Stunden.
Zum Schutz der Gleisbesetzer mussten Züge umgeleitet und die Oberleitung
 der Bahn abgeschaltet werden. Die Polizisten hatten sich wütender 
Bahnfahrer zu erwehren. "Wenn sie das nicht schaffen, dann verhauen wir 
jetzt die Leute", soll einer der Fahrgäste gesagt haben.
"Sie üben die Rolle der Märtyrerin aus, und das, obwohl Sie sich sehr 
unwohl fühlen", sagt Richterin Maren Butscher zur Angeklagten, als sie 
das Urteil begründete. "So abgezockt und provokant, wie Sie tun, sind 
Sie nicht." Die junge Frau hatte sich während der Verhandlung 
demonstrativ uneinsichtig gezeigt, und sie weigerte sich, zur 
Urteilsverkündung aufzustehen. Die Richterin würdigte sie keines 
Blickes, stattdessen grinste sie in Richtung ihres Fanclubs auf den 
Zuhörerbänken, der sich mit der Angeklagten zeitweise lautstark 
solidarisierte. Das Gericht ließ deshalb sogar eine Person aus dem Saal 
entfernen.
"Ich stehe nach wie vor hinter den politischen Zielen des 
Bildungsstreiks und der gewählten Aktionsform des zivilen Ungehorsams", 
verkündet die 22-Jährige. Sie sieht die Gleisbesetzung als legitimes 
Mittel und verliest eine politische Erklärung: "Angesichts der 
Dringlichkeit unseres Anliegens weigere ich mich, den Sachverhalt hier 
nur juristisch zu diskutieren." Wie wichtig ihr die Verbreitung der 
Botschaft ist, zeigt sich anschließend: Sie verteilt die Erklärung 
schriftlich an die Prozessbeobachter; der Schriftführerin des Gerichts 
hatte sie das Papier zuvor noch verweigert. Draußen auf der Straße wird 
es noch einmal per Lautsprecher verlesen.
Richterin Maren Butscher hatte der Angeklagten angeboten, das Verfahren 
wie in den anderen beiden Fällen gegen eine geringe Geldauflage und 
Sozialstunden einzustellen. Auch Staatsanwalt Stephan Zäh versuchte, sie
 dazu zu bewegen: "Sie sollten vielleicht überlegen, von der 
Prinzipienreiterei abzuweichen. Wir streiten hier um Kaisers Bart." Doch
 die Studentin lehnte das Angebot ab. Nun muss sie die Geldstrafe zahlen
 oder Rechtsmittel einlegen. Die größte finanzielle Belastung könnte 
jedoch noch auf sie warten: Die Deutsche Bahn prüft zivilrechtliche 
Schritte für Schadenersatz. Auch das Amtsgericht hat nicht zum letzten 
Mal verhandelt: 60 Strafbefehle sind wegen der Gleisbesetzung ergangen.
			
				
			
				
