Die "Helden von Fukushima" sind keineswegs alle gleich. Sie haben ihre festen Plätze in einer Art Klassenpyramide der japanischen Atomindustrie.
Noch
 vor fünf Wochen trainierten im J-Village in der Stadt Naraha 
ausgewählte Jungfußballer des Landes. Inzwischen ist diese größte 
Sportanlage Japans das Hauptquartier für die rund 700 "nuklearen 
Samurai" von Fukushima. Sie ist ein Geschenk des Stromversorgers Tepco 
an die Anwohner der Atomkraftwerke und liegt genau am Rand der 
20-Kilometer-Sperrzone.     
        Hier bereiten sich Soldaten, Feuerwehrleute,
 Arbeiter und Angestellte auf ihre Einsätze im AKW-Gelände an der 
Pazifikküste vor. Auf den Parkplätzen stehen Busse, Armeelaster und 
Löschfahrzeuge. Auf den Fluren laufen Arbeiter in weißen Schutzanzügen 
an Fußball-Werbeplakaten mit Japans Nationalspielern vorbei.      
   
     Doch diese "Helden von Fukushima" sind keineswegs alle gleich, 
sondern haben ihre festen Plätze in einer Art Klassenpyramide der 
japanischen Atomindustrie: an der Spitze hochbezahlte Manager, gut 
geschützt vor jeder Radioaktivität; in der Mitte die Angestellten von 
technischen Partnerfirmen der Strom- und Atomkonzerne, die dadurch ihre 
Arbeitskosten senken; an der breiten Basis ein Atomproletariat, das das 
Verstrahlungsrisiko fast alleine trägt.     
        Diese Arbeiter, darunter viele Tagelöhner, 
säubern die Wände der Reaktorbehälter, füllen strahlenden Abfall um oder
 wischen radioaktive Pfützen auf. Meist bleiben sie unter sich: Wer in 
Japan einmal in einem AKW gearbeitet hat, erhält nirgendwo sonst mehr 
einen Job. Genau wie die Hibakusha, die Strahlenopfer von Hiroshima und 
Nagasaki, sind Atomarbeiter stigmatisiert. Wie Nomaden ziehen manche von
 einem AKW zum anderen.      
        Dieses System der Nuklearindustrie ist auch 
in Fukushima sichtbar. Die Manager der Konzerne Tepco, Toshiba und 
Hitachi, die die AKWs betreiben, sitzen in einer improvisierten 
Kommandozentrale im zweiten Stock des Hauptgebäudes im J-Village. Dort 
ist Masao Yoshida, Betriebsleiter des Atomkomplexes, rund um die Uhr per
 Videostandleitung mit dem Tepco-Hauptsitz in Tokio verbunden, um die 
nächsten Arbeitsschritte abzusprechen.     
       Unter ihm arbeiten rund 60 Festangestellte,
 die aus einem zweistöckigen Gebäude auf dem AKW-Gelände die Einsätze 
vor Ort leiten. Der erdbebensichere Bau, erst im Juli letzten Jahres 
errichtet, liegt 200 Meter nordwestlich von Reaktor Nummer 1, dessen 
Brennstäbe zu 70 Prozent beschädigt sind.      
        Draußen wurden schon 3 Millisievert Strahlung 
pro Stunde gemessen. Die kleinen Fenster sind daher komplett mit 
Bleiplatten verhängt. Von hier aus können die Ingenieure die 
Kontrollräume der Reaktoren überwachen. Auch die Bagger, die radioaktive
 Trümmer wegräumen, steuern sie von hier fern. Der 44-jährige Yasuki 
Murata von der Tepco-Planungsabteilung berichtete der Nachrichtenagentur
 Kyodo, er arbeite dort jeweils fünf Tage am Stück. Verlassen werde das 
Haus nur kurzzeitig, wenn ein Wagen Essen aus dem J-Village bringt.     
 
        Viel weniger vor der Strahlung geschützt 
sind die Arbeiter der Subfirmen. Während ihrer Jobs an den Reaktoren 
sehen sie die Tepco-Leute so selten, dass sie sie ironisch Okyaku-san 
("Gäste") nennen. Auch die zwei Männer, die schlecht ausgerüstet an den 
Beinen verstrahlt wurden, waren solche Vertragsarbeiter.     
        Schon unter normalen Umständen sind sie die 
Fußsoldaten der Atomindustrie. 2009 stellten sie nach Angaben der 
Atomsicherheitsbehörde Nisa 88 Prozent der 83.000 Arbeiter in Japans 18 
Atomkomplexen. In Fukushima I erreichten sie einen Anteil von 89 Prozent
 unter 10.303 Arbeitern. In der übrigen Wirtschaft stellen Zeitarbeiter 
nur rund 30 Prozent.      
        Auch in Fukushima wickeln sie die 
eigentliche Gefahrenarbeit ab: Strahlung messen, Kabel und Schläuche 
ziehen, verstrahltes Wasser abpumpen, Lecks schließen. Ein Teil der 
Vertragsarbeiter sind halbwegs ausgebildete Techniker, die für 
Tepco-Partner wie Tokai Toso arbeiten. Die Firma verantwortet 
normalerweise den Metallschutz in der Anlage und hat derzeit sechs 
Freiwillige im Einsatz. "Ich habe Angst", gestand der 29 Jahre alte 
Kenji Tada dem Wall Street Journal. "Aber irgendjemand muss gehen." Laut Tepco sollen nur 45 der 300 Arbeiter auf dem AKW-Gelände Vertragsarbeiter sein.      
        Doch nach Recherchen der japanischen Boulevard-Illustrierten Friday sind
 darunter viele ungelernte Tagelöhner, die im Auftrag der Subfirmen über
 Vermittler angeheuert werden. Sie haben keine andere Wahl, als diese 
Arbeit anzunehmen. "Wenn ich nein sage, erhalte ich überhaupt keine Jobs
 mehr", erklärte ein Arbeiter gegenüber dem Magazin, das sich als erstes
 Presseorgan Zugang zum J-Village verschaffen konnte. Sie sind nur 
mangelhaft auf ihren Einsatz vorbereitet: Vier Tage lang werden sie über
 Kernspaltung, Sievert und Becquerel unterrichtet. Den Abschlusstest 
müssen sie mit 90 von 100 Punkten bestehen.     
        Danach erledigen sie die gefährlichsten 
Arbeiten - und erhalten dafür den geringsten Lohn. Von umgerechnet 3.300
 Euro Tageshonorar, die einigen Arbeitern weiter oben in der Pyramide 
angeboten wurden, können sie nur träumen. Sie müssen sich für die 
Aufenthalte in hochradioaktiv verstrahlter Umgebung mit einem Tageslohn 
zwischen 10.000 und 15.000 Yen begnügen, umgerechnet 80 bis 120 Euro. 
Ein Durchschnittsjapaner verdient im Monat 291.000 Yen (knapp 2.400 
Euro).     
        Einige sind auf das Geld so angewiesen, dass
 sie vor dem Einsatz ihr Dosimeter absichtlich im J-Village 
zurücklassen, um die Austauschgrenze von 100 Millisievert später zu 
erreichen und so länger beschäftigt zu werden. Von Gesundheitsgefahren 
sei in ihren Arbeitsverträgen keine Rede, erzählte einer der Tagelöhner 
dem Friday-Reporter.      
   "Unsere größte Priorität ist es, pan-ku zu vermeiden", sagte ein früherer Arbeiter des AKW Fukushima der New York Times.
 Das Wort bedeutet "platter Reifen" - gemeint ist das Überschreiten der 
maximal erlaubten Dosis. "Das ist die geheime Welt der Atomenergie", 
bestätigt Yuko Fujita, früher Physik-Professor an der Keio-Universität 
in Tokio, der für bessere Arbeitsbedingungen der Atomarbeiter kämpft. 
Eine Entschädigung für einen körperlichen Schaden würden sie nur 
bekommen, wenn sie den Zusammenhang mit radioaktiver Strahlung 
nachweisen können.
     
