In Herdern sollen 95 billige Wohnungen abgerissen werden.
Ein Bauprojekt in Herdern sorgt für Gesprächsstoff: Die Freiburger Stadtbau (FSB) will in der Johann-Sebastian-Bach-Straße 95 Wohnungen aus den 1950er Jahren abreißen und an deren Stelle Neubauten errichten lassen. Allerdings werden die Mieten in den neuen Wohnungen deutlich teurer sein, weshalb für die Bewohner eine Rückkehr nicht in Frage kommt. Der Bürgerverein ist angenehm überrascht von den Entwürfen, die sich an der Umgebung orientieren. Eines der Häuser wurde derweil illegal besetzt, die Stadtbau hat Strafantrag gestellt.
																	
								Die Polizei will die Hausbesetzer, die für billigen Wohnraum und
 den Erhalt der 95 Wohnungen kämpfen, auffordern, das Haus wieder zu 
verlassen. "Gegebenenfalls werden wir räumen", kündigte Polizeisprecher 
Ulrich Brecht an.
Die 95 Wohnungen im Musikerviertel werden als "Kleinrentner"-Wohnungen 
bezeichnet, weil hier viele Jahre lang Senioren mit niedrigem Einkommen 
in sehr kleinen Wohnungen lebten. Von 1996 bis 2009 trat die 
Arbeiterwohlfahrt (AWO) dort als Generalvermieter auf: Gleichzeitig 
betreute sie die dort lebenden Seniorinnen und Senioren. Allerdings sei 
es zunehmend schwieriger gewesen, Mieter zu finden. Für 
AWO-Geschäftsführer Jack Huttmann war dies eine Überraschung: "Wir sind 
sonst immer voll belegt und haben Wartelisten."
Die Gründe für die geringe Resonanz liegen für Huttmann in der dürftigen
 Ausstattung: Selbst die Erdgeschosse sind nur über Treppen erreichbar, 
Aufzüge gibt es keine, und nur ein Zimmer in jeder Wohnung ist mit einem
 Ofen ausgestattet, zudem haben die Wohnungen weder Balkon noch 
Terrasse. Huttmann spricht von einer "schlichten bis maroden 
Bausubstanz". Dennoch seien die Kleinrentnerwohnungen unter den 
AWO-Wohnungen die teuersten gewesen.
Als immer mehr leer blieben, die AWO dessen ungeachtet aber weiter die 
volle Pacht an die Stiftungsverwaltung als Grundstückseigentümerin 
zahlen musste, stieg sie 2009 aus dem Vertrag mit der Stadtbau aus. Ein 
Großteil der 95 Wohnungen steht seit langem leer. Momentan haben noch 
sechs der zwölf verbliebenen Mieter einen Betreuungsvertrag mit der AWO,
 die den Bewohnern beim Umzug helfen will. Weitere neun Wohnungen hat 
die Stadtbau bis Ende Mai an den Basketballverein USC Freiburg 
vermietet.
Spätestens im Herbst will die Stadtbau mit dem Abriss der beiden 
Häuserzeilen in der Bachstraße zwischen Schubert- und Schumannstraße 
beginnen, im Frühjahr 2013 sollen die Neubauten fertig sein. Die 
Baukosten beziffert FSB-Chef Ralf Klausmann auf 11 bis 13 Millionen 
Euro.
Die neuen Gebäude orientieren sich in Größe (Firsthöhe: 11,60 Meter) und
 Architektur an der Umgebung. "Das ist eine fast ländliche Bebauung, wie
 es im Musikerviertel angemessen ist", sagte Stadtbau-Projektentwickler 
Lothar Korzen in einem Bürgergespräch, zu dem Stadt und Bürgerverein am 
Montag in die Weiherhofschule eingeladen hatten.
Die Stadtbau plant einen Wohnungsmix – 50 Prozent Mietwohnungen und 50 
Prozent Eigentum: An den Kopfenden der beiden Häuserzeilen sollen 
jeweils Häuser mit sechs unterschiedlich großen Mietwohnungen errichtet 
werden, dazwischen auf jeder Seite acht Reihenhäuser mit einer 
Wohnfläche von 150 Quadratmetern.
Insgesamt entstehen an Stelle der 95 kleinen Wohnungen (3000 
Quadratmeter Gesamtwohnfläche) 40 Einheiten (4200 Quadratmeter). Die 
Reihenhäuser will die FSB an Familien verkaufen, wobei die 
Stiftungsverwaltung als Grundstücksbesitzerin einen Erbbauzins erhebt.
Der Arbeitskreis "Wem gehört die Stadt?" des Mietshäusersyndikats 
fordert einen sofortigen Planungs- und Vergabestopp, durch den 
Regierungswechsel in Stuttgart werde es Zuschüsse für sozialen 
Wohnungsbau geben. "Wir bezweifeln ausdrücklich, dass der Abriss und 
Neubau tatsächlich alternativlos ist", so das Syndikat, das die 
Hausbesetzung begrüßt. Eine Sanierung wäre vollkommen unwirtschaftlich, 
versichert derweil Stadtbau-Geschäftsführer Klausmann. In Herdern sei 
sozialer Wohnungsbau nicht möglich: "Das rechnet sich absolut nicht." 
Für die neuen Mietwohnungen kalkuliert die Stadtbau mit einem 
Quadratmeterpreis von etwa 11,50 Euro, die Miete der 
"Kleinrentner"-Wohnungen liegt derzeit bei 6,50 Euro.
Klausmann räumt ein, dass die Stadtbau gerne wirtschaftlicher gebaut 
hätte; so seien ursprünglich nur Eigentumswohnungen geplant gewesen. Aus
 kleinen Wohnungen größere zu machen und diese zu modernisieren, sei 
nicht lukrativ. "Bei der alten Bausubstanz müsste man so viel Geld in 
die Hand nehmen, dass die Mieten für die jetzigen Bewohner nicht mehr 
bezahlbar wären", sagte Korzen und versicherte: "Wir haben die Dinge 
sehr wohl abgewogen."
Ein Sympathisant der Besetzer warf der Stadtbau im Bürgergespräch vor, 
Mieter gemobbt zu haben, um sie aus ihren Wohnungen zu drängen; dies 
wisse er aus Gesprächen mit Mietern. Kritisiert wurde auch, dass 
Gemeinschaftsräume geschlossen und in den leerstehenden Wohnungen die 
sanitären Anlagen zerschlagen wurden – angeblich, um Fakten zu schaffen.
AWO-Chef Huttmann fand den Mobbing-Vorwurf "unter aller Kanone", auch 
Baubürgermeister Martin Haag verwahrte sich dagegen ("Vorsicht mit 
solchen Vorwürfen"). Klausmann betonte: "Ich bin mir sicher, dass wir 
uns so nicht verhalten haben." Zwei Mieter berichteten der BZ, dass 
ihnen bislang kein Auszugstermin genannt worden sei. Einem der beiden 
wurden zwei Wohnungen angeboten, von denen allerdings nur eine preislich
 in Frage kommt; den Mobbing-Vorwurf kann er nicht bestätigen. Ein 
älteres Ehepaar, das schon 20 Jahre dort lebt, ist gesundheitlich sehr 
angeschlagen. "Ich habe zurzeit andere Probleme", sagt der 78-jährige 
Mann. "Ich würde gerne hier bleiben. Das ist eine schöne Straße."
			
				
			
				 
					
				
				
							
