Der Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte sieht Notwehr als Ursache für Tod von Carlo Giuliani beim G-8-Gipfel in Genua 2001. Italien wird nicht verurteilt.
BERLIN
 taz | Der Tod eines Demonstranten beim G-8-Gipfel in Genua bleibt 
ungesühnt. Italien wird deshalb nun doch nicht verurteilt. Dies 
entschied am Donnerstag die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs 
für Menschenrechte in Straßburg.    
      Während des Weltwirtschaftsgipfels 2001 kam es
 mehrfach zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und
 Demonstranten. Sowohl die Polizei als auch Protestierende agierten 
dabei mit großer Brutalität.    
   
   Carlo Giuliani war damals 23 Jahre alt. Mit einer Gruppe Vermummter 
attackierte er zwei Polizeijeeps, die verletzte Beamte aus der Kampfzone
 bringen wollten. Im Jeep saß der 20-jährige Carabinieri Marco 
Placanica, der mit seinen Nerven am Ende war. Er warf einen Feuerlöscher
 aus dem Jeep Richtung Demonstranten und zielte dann durch die 
zerborstene Scheibe mit seiner Pistole auf wechselnde Angreifer.    
      Carlo Giuliani, der zwei Meter neben dem Jeep 
stand, hob den Feuerlöscher auf, wohl um ihn zurückzuwerfen, der 
Carabinieri schoss. Giuliani wurde in den Kopf getroffen und war 
vermutlich sofort tot. Anschließend wurde er von dem rangierenden Jeep 
noch zweimal überrollt. Die italienischen Ermittlungen gegen Placanica 
endeten ohne Bestrafung. Angeblich habe er nur in die Luft geschossen, 
die Kugel habe einen Stein getroffen, und erst dieser habe den 
Warnschuss in Richtung Giuliani gelenkt.   
      Die Eltern Giulianis und seine Schwester 
glauben das nicht. Sie werfen dem italienischen Staat den Einsatz 
"exzessiver Gewalt" vor, auch weil der Polizist zur Selbstverteidigung 
nur eine Schusswaffe (statt etwa Gummigeschosse) zur Verfügung hatte. 
Zwar wurde Italien im September 2009 zunächst vom EGMR verurteilt, die 
Angehörigen sollten zusammen 40.000 Euro Schadenersatz erhalten - aber 
nur weil Italien den Fall nicht genügend aufgeklärt habe.   
      Gegen diese Entscheidung legten sowohl die 
Angehörigen als auch die italienische Regierung Rechtsmittel ein. Und 
die 17-köpfige Große Kammer des Gerichtshofs entschied nun ganz im Sinne
 Italiens. Placanica habe angesichts des gewalttätigen Angriffs in 
Notwehr geschossen, so die Richter. Selbst wenn er direkt auf Giuliani 
gezielt hatte, worauf Fotos und Videos hindeuten, wäre der tödliche 
Schuss gerechtfertigt gewesen. Dass Giuliani vom Jeep noch überrollt 
wurde, sei nicht mit Absicht erfolgt, außerdem sei der Demonstrant da 
wohl bereits tot gewesen.   
      Die Richter kritisierten nicht einmal mehr die
 mangelnde Aufklärung des Falls. Es sei letztlich egal, ob die Kugel 
Giuliani direkt oder nur als Abpraller traf, da letztlich beides 
gerechtfertigt gewesen sei. Die Entscheidung fiel mit zehn zu sieben 
Stimmen.
   
   
