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Erstveröffentlicht:
10.03.2011
BERLIN/BRÜSSEL/TRIPOLIS (Eigener Bericht) - Hochrangige Vertreter von EU und
NATO kommen heute und morgen in Brüssel zu ausführlichen Beratungen über
das westliche Vorgehen gegenüber Libyen zusammen. Sämtliche Optionen
von Sanktionen bis zu Militärschlägen werden offengehalten. Deutsche
Politiker sprechen sich in zunehmendem Maße für die Einrichtung einer
Flugverbotszone aus; ein solcher Schritt sei "notwendig", sagt etwa der
CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok. Unklar ist nach wie vor, wie die
Aufständischen einzuschätzen sind und wer sich als künftiger
Kooperationspartner für den Westen anbietet. Die "lose Koalition", die
derzeit gegen Gaddafis Regime kämpfe, drohe nach einem eventuellen Sieg
zu zerfallen, mutmaßt die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).
Gegenwärtig halten sich libysche Politiker zu Verhandlungen in Brüssel
auf, die noch bis vor kurzer Zeit dem Gaddafi-Regime angehörten und sich
spät auf die Seite der Aufständischen geschlagen haben. Ihre Stellung
in Libyen gilt daher als unsicher. Außer ihnen sind mehrere Abgesandte
des libyschen Restregimes zu Sondierungen nach Europa gereist. Die
Bedingungen, denen die künftige libysche Regierung ebenso wie alle
anderen Regierungen Nordafrikas zu entsprechen hat, zählt die
EU-Kommission in einem neuen Papier auf. Zu ihnen gehört die Abschottung
der EU gegen Flüchtlinge aus dem Süden.
Militärische Optionen
Ausführliche Debatten über mögliche Interventionen in
Libyen stehen heute und morgen in Brüssel bevor. Am heutigen Donnerstag
kommen dort die Außenminister aller EU-Staaten zusammen, um über das
weitere Vorgehen in Sachen Libyen zu beraten. Zum selben Zweck treffen
sich ebenfalls heute in Brüssel die NATO-Verteidigungsminister, die
nicht zuletzt mit der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton konferieren
wollen. Am morgigen Freitag findet schließlich ein EU-Sondergipfel zur
Lage in Libyen und den anderen Staaten Nordafrikas statt. Wie in den
westlichen Hauptstädten zu hören ist, halten EU und USA sich vorerst
sämtliche Optionen offen; dies reicht von Sanktionen gegen den
Gaddafi-Clan, wie sie mittlerweile schon verhängt worden sind, über die
Einrichtung einer Flugverbotszone und die Belieferung der Aufständischen
mit Waffen bis zu Militärschlägen gegen Tripolis. In Berlin wird
gegenwärtig die Forderung nach Einrichtung einer Flugverbotszone lauter.
Sollte der UN-Sicherheitsrat eine solche Maßnahme beschließen, müsse
die Bundesrepublik sich beteiligen, verlangt der Vorsitzende des
Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, Ruprecht Polenz (CDU).
Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Philipp Mißfelder
(CDU), fordert: "Im UN-Sicherheitsrat sollte Deutschland der Einrichtung
einer solchen Zone zustimmen".[1]
Flugverbotszone
Bereits jetzt sind deutsche Soldaten in die
Vorbereitungen für die eventuelle Einrichtung einer Flugverbotszone
involviert. Drei deutsche Kriegsschiffe kreuzen weiter vor der
nordafrikanischen Küste. Auch wenn sie in diesen Tagen noch mit dem
Abtransport von Flüchtlingen nach Ägypten beschäftigt sind [2]: In Kürze
stehen sie wieder für militärische Maßnahmen jeglicher Art zur
Verfügung. Insbesondere aber hat das Awacs-Geschwader der NATO begonnen,
rund um die Uhr den Luftraum über Libyen zu überwachen. Die Maßnahme
gilt als Voraussetzung, um die Flugverbotszone einrichten zu können.
Abgesehen davon sind die durch die Awacs-Flugzeuge gewonnenen
Erkenntnisse über die militärischen Aktivitäten des libyschen
Restregimes vielfältig nutzbar. Deutsche Soldaten stellen gut ein
Drittel der Awacs-Besatzungen, die im westdeutschen Geilenkirchen nahe
Aachen stationiert sind. Aktuell operieren die Flugzeuge von einem
vorgeschobenen Stützpunkt in Trapani (Sizilien) aus. Sie durchqueren bei
ihren Kontrollflügen einen Korridor, der der Luftraumüberwachung
Libyens unterliegt; dies lässt das Konfliktpotenzial des Awacs-Einsatzes
deutlich erkennen.[3]
Nur eine lose Koalition
Nach wie vor ist unklar, wie die Aufständischen
politisch einzuschätzen sind - und vor allem, wer sich für den Westen
als künftiger Kooperationspartner anbietet. Wie die Stiftung
Wissenschaft und Politik (SWP) in einer aktuellen Analyse schreibt,
besitzen in Libyen die Stämme "nach wie vor zentrale Bedeutung". Ihr
Hauptinteresse werde "der Neuverteilung des Einflusses im Staatsapparat
und dem Zugang zu den Ressourcen und Dienstleistungen des Staates
gelten". In den Großstädten Tripolis, Benghasi und Misurata, in denen
mehr als ein Drittel der libyschen Bevölkerung lebe, sei der Einfluss
der Stammesstrukturen allerdings "begrenzt". Vor allem in den
nordöstlichen Städten könne die Muslimbruderschaft recht stark werden:
"Ihr Programm spricht die urbane Mittelschicht an". Auch weitere "urbane
politische Gruppierungen" dürften sich künftig "als organisierte
Kräfte" herausbilden. Allerdings sei ziemlich unklar, wer "die
Übergangsphase und die Zeit nach Qaddafis Abtritt bestimmen" werde: "Die
Aufständischen sind eine lose Koalition verschiedener Gruppen, deren
Zusammenhalt spätestens mit dem Sturz Qaddafis gefährdet" sei.[4]
Alles offen
Die bisherigen Versuche, Kontakt zu den Aufständischen
aufzunehmen, verliefen entsprechend kompliziert. Am Wochenende wurde
unter dubiosen Umständen ein achtköpfiges Team britischer Spezialkräfte
von den Aufständischen festgesetzt, nach einer Weile allerdings wieder
freigelassen. London behauptet, es habe sich bei der Entsendung der
Militärs um einen Versuch gehandelt, eine künftige Kooperation
anzubahnen. Gestern hielten sich auf Einladung der europäischen
Liberalen zwei Libyer in Brüssel auf, die bisher dem Gaddafi-Regime
angehörten, sich inzwischen aber von ihm abgesetzt haben; dabei handelt
es sich um den vormaligen Juniorminister Mahmud Gebril aus dem
Warfalla-Clan - dieser hat vor wenigen Wochen mit Gaddafi gebrochen und
damit dessen Regime die Grundlage entzogen - sowie um den bisherigen
libyschen Botschafter in Indien, Ali al Essawi, der sich ebenfalls von
Gaddafi losgesagt hat. Die beiden sind unter den Aufständischen nicht
unumstritten, weil sie als Repräsentanten des alten Regimes gelten; im
Westen aber sind sie gerade wegen ihrer Tätigkeit für das Regime bekannt
und gelten als besser einschätzbar als andere Kräfte. Dass der Westen
sich wirklich alles offenhält, lässt sich daraus ersehen, dass morgen
auch ein Abgesandter des Gaddafi-Clans in Brüssel eintreffen soll.
Weitere Unterhändler des Regimes sind unter anderem in Portugal und in
Griechenland unterwegs.
Grenzen abschotten
Die Bedingungen, denen die zukünftige libysche
Regierung ebenso wie sämtliche anderen Regierungen Nordafrikas zu
entsprechen hat, zählt die EU-Kommission in einem neuen Papier auf.
Darin wird in wohltönenden Worten angekündigt, es habe jetzt ein
Übergang zu echter Demokratie zu erfolgen. Brüssel solle in Zukunft
nichtstaatliche Kräfte stärker unterstützen, kleine und mittlere
Unternehmen in Nordafrika fördern und Kredite bereitstellen.
Freihandelszonen müssten errichtet werden - diese werden schon lange von
der deutschen Industrie gefordert -; auch solle eine
"Energiegemeinschaft" zwischen der EU und den südlichen
Mittelmeeranrainern ins Leben gerufen werden - dies käme vor allem dem
deutschen Desertec-Projekt zugute, das Solar- und Windenergie aus der
Sahara nach Europa leiten will (german-foreign-policy.com berichtete
[5]). Nicht zuletzt ist in dem EU-Papier eine Reihe von Maßnahmen
enthalten, die schon bisher im Zentrum der deutsch-europäischen
Mittelmeerpolitik standen - Maßnahmen zur Abschottung der EU gegen
Flüchtlinge. So sollen die nordafrikanischen Staaten zukünftig die
Überwachung der Küstengewässer ausbauen und Abschiebeabkommen zur
Rücknahme unerwünschter Migranten aus Europa schließen.[6] Berlin und
Brüssel halten diese Forderung schon ausdrücklich fest, während Libyen
noch im Bürgerkrieg zu versinken droht.
[1] Debatten über ein Flugverbot in Libyen; www.welt.de 09.03.2011
[2] s. dazu Der Eckpfeiler der Flüchtlingsabwehr
[3] Libyen im Blick - die Nato und "Active Endeavour"; Frankfurter Allgemeine Zeitung 09.03.2011
[4] Wolfram Lacher: Libyen nach Qaddafi; SWP-Aktuell 12, März 2011
[5] s. dazu Solarkolonien und Ein ausgezeichneter Partner
[6] European Commission, High Representative of the Union for Foreign Affairs and Security Policy: A Partnership for Democracy and Shared Prosperity with the Southern Mediterranean; Brussels 08.03.2011, COM(2011) 200 final
[2] s. dazu Der Eckpfeiler der Flüchtlingsabwehr
[3] Libyen im Blick - die Nato und "Active Endeavour"; Frankfurter Allgemeine Zeitung 09.03.2011
[4] Wolfram Lacher: Libyen nach Qaddafi; SWP-Aktuell 12, März 2011
[5] s. dazu Solarkolonien und Ein ausgezeichneter Partner
[6] European Commission, High Representative of the Union for Foreign Affairs and Security Policy: A Partnership for Democracy and Shared Prosperity with the Southern Mediterranean; Brussels 08.03.2011, COM(2011) 200 final