„Enormes Sicherheitsrisiko“
Terrorparagraf I. Kunststudenten filmten im Rahmen eines Uni-Projekts eine Abschiebung. Daraus wird der Verdacht einer terroristischen Vereinigung konstruiert.
Kritik am Fremdenrecht kann schwerwiegende Folgen haben, selbst dann, wenn sie noch nicht einmal geäußert, sondern nur möglicherweise geplant ist. Die Frage, wo legitime (künstlerische) Kritik an der österreichischen Asylpraxis aufhört und wo dagegen terroristische Aktionen beginnen, wird vom Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) extrem scharf beantwortet: Ein Video über eine Abschiebung ist Grund genug, mit schweren Geschützen aufzufahren. Und den „Verdacht einer terroristischen Vereinigung“ zu wittern.
Betroffen sind vier Studierende an der 
Akademie der bildenden Künste Wien, alle Anfang bis Ende 20, die ihre 
richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen und Manu, Chris, Michi und 
Ulli genannt werden wollen. Sie begleiteten am 22. Juni 2010 eine 
Abschiebung mit der Videokamera, vom Schubhaftgefängnis an der Wiener 
Rossauer Lände bis zum Wiener Flughafen. Dabei handelt es sich um ein 
Projekt ihrer Klasse für konzeptuelle Kunst an der Akademie, wie auch 
eine Expertise der Akademie bestätigt. 
Im Jargon der 
Verfassungsschützer hingegen werden die Videoaufnahmen als „Observation“
 tituliert. Sie gelten als Grund für Ermittlungen nach dem Paragraf 278 
b, dem „Verdacht einer terroristischen Vereinigung“. Verdächtig ist 
allerlei, etwa die „professionelle Vorgangsweise bei der Observation 
selbst“, die ein „Indiz für die Begehung einer terroristischen Straftat 
ist“, wie das LVT Ende September in seinem Zwischenbericht an die 
Staatsanwaltschaft schreibt. Auch dass „diese Vereinigung mit den 
Gegebenheiten/Örtlichkeiten am Flughafen äußerst vertraut ist“, lässt 
die Verfassungsschützer Schlimmes ahnen und ein „enormes 
Sicherheitsrisiko“ ausmachen: „Es ist derzeit nicht absehbar, wann diese
 terroristische Vereinigung die gewonnenen Erkenntnisse für ihre 
weiteren Aktivitäten nützen wird.“ Welche Aktivitäten das sein könnten, 
beschreiben die Verfassungsschützer so: „Manipulationen an den 
Funkeinrichtungen“, was für den Flugverkehr „unabsehbare Folgen“ hätte.
Der
 falsche Mast. Als vermeintlicher Beweis für diese Gefährdung des 
Flugverkehrs wird angeführt, dass auf dem Video Funkanlagen für den 
Flugbetrieb zu sehen sind – zumindest in den Augen der 
Verfassungsschützer. Damit sei es den „Beschuldigten durchaus möglich, 
Manipulationen an den Funkanlagen durchzuführen“. Dieser einzige Beweis 
in dem Konvolut an schweren Vorwürfen und Verdächtigungen hält der 
Überprüfung nicht stand: Tatsächlich sind auf den Aufnahmen banale 
Mobilfunkanlagen zu sehen, wie mittlerweile die Staatsanwaltschaft 
herausgefunden hat. Ein falscher Vorhalt, urteilt sie. Belege sind aber
 ohnehin nicht die Stärke in der Argumentation des LVT. Manipulationen 
an Funkanlagen oder andere Delikte haben zwar selbst die 
Verfassungsschützer nicht entdeckt. Sie mutmaßen aber, dass 
„Verhinderungen von Abschiebungen, möglicherweise aber auch 
Häftlingsbefreiungen“ geplant seien – woraus sie das schließen, bleibt 
ihr Geheimnis. Ein Motiv für die „offensichtlich geplanten Aktionen“ 
glauben sie aber gefunden zu haben: „Die Erzwingung einer 
Gesetzesänderung, aber auch eine Änderung der Asylpolitik in 
Österreich.“
Der Rektor der Akademie der bildenden Künste, 
Stephan Schmidt-Wulffen, verfolgt die Ermittlungen mit „großer 
Besorgnis“: „Dass eine Klasse für konzeptuelle Kunst eine Abschiebung 
dokumentiert, ist ein ganz normaler Vorgang der Meinungsäußerung in 
einem Rechtsstaat. Unsere Studierenden werden dazu angehalten, sich mit 
der politischen Situation kritisch auseinanderzusetzen. Wir halten die 
Versuche, daraus eine terroristische Bewegung zu konstruieren, für 
absurd.“
Der Sprecher des LVT will zu den Vorwürfen nicht viel sagen 
und gibt nur zu Protokoll, dass die Ermittlungen bald abgeschlossen 
seien und an die Staatsanwaltschaft übermittelt würden. Dieser preschen 
die Verfassungsschützer aber offenbar zu weit vor. Die 
Staatsanwaltschaft sehe derzeit keinen Grund für Ermittlungen nach dem 
Terrorismus-Paragrafen 278 b, sagt deren Sprecherin. Das LVT hingegen 
ermittelt weiter: Ende Jänner wurde eine Angehörige der Akademie der 
bildenden Künste einbestellt, um die Expertise über die 
Videodokumentation erneut zu bestätigen.
Grober Missbrauch. Der 
Paragraf 278 b ist quasi der große Bruder des Anti-Mafia-Paragrafen 278 
a, der spätestens seit dem Prozess gegen die Tierschützer bekannt wurde 
(siehe Kasten). Die Strafbarkeit setzt schon bei den 
Vorbereitungshandlungen für eine Straftat ein. Albert Steinhauser, der 
Justizsprecher der Grünen, sieht in den Ermittlungen gegen die 
Kunststudenten einen „besonders groben Missbrauch“ des Paragrafen 278 b.
 „Die Polizei fantasiert sich strafrechtliche Absichten zusammen“, 
kritisiert er und konstatiert prinzipiell übergroße Bereitschaft der 
Verfassungsschützer, in der linken Szene zu ermitteln. Steinhauser: 
„Dabei liegen die rechtsextremen Straftaten in Österreich im 
internationalen Vergleich auf sehr hohem Niveau.“
Wären die 
Vorwürfe nicht so ernst, dann könnten die Kunststudenten Manu, Chris, 
Michi und Ulli vielleicht darüber lachen, woraus sich die 
Verfassungsschützer „die terroristische Gruppe zusammenreimen“, wie sie 
sagen. Chris hat ein Erasmus-Semester in Italien absolviert, Michi eine 
Großmutter in Polen, beide haben daher mitunter Telefonnummern im 
Ausland angerufen. Möglicherweise ist das der Beleg für die „Beteiligung
 ausländischer Aktivisten“, von denen die Verfassungsschützer schreiben.
 Michis Oma jedenfalls bekam Besuch von der polnischen Polizei.
Derzeit
 bereiten sich die vier „fast hauptberuflich auf den monströsen Prozess 
vor“. Ermittelt wird gegen sie und andere auch wegen eines anderen 
Vorfalls: In der Nacht vom 27. auf den 28. Juni brennen zwei Mistkübel 
vor dem Arbeitsmarktservice (AMS) in Wien-Margareten. Am 6. Juli kommt 
es zu Hausdurchsuchungen, die vier werden für mehrere Wochen in U-Haft 
genommen. Die Mistkübel will die Sprecherin der Staatsanwaltschaft nicht
 auf die leichte Schulter nehmen: „Sie wurden als Brandbeschleuniger 
eingesetzt, um das AMS anzuzünden.“ Die Ermittlungen laufen noch, auch 
deshalb, weil „das Motiv noch nicht bekannt“ sei. Die vier Studierenden 
sagen, dass es gegen sie „keine Beweise“ in der Causa AMS gebe.
Bei
 den Hausdurchsuchungen jedenfalls wurde in einer der Wohngemeinschaften
 das Video über die Abschiebung gefunden und beschlagnahmt – und die 
Verfassungsschützer begannen in der Causa Flughafen zu ermitteln.
Und
 offenbar nicht nur in dieser. Die „Uni brennt“-Bewegung im Jahr 2009 
begann an der Akademie der bildenden Künste und endete mit der Besetzung
 des Audimax. Die Ermittler schreiben über das Wohngemeinschafts-Zimmer 
eines der Kunststudenten: „Es ist davon auszugehen, dass die oa. Wohnung
 als eines der Zentren der Protestbewegung (Audimax-Besetzung etc.) in 
den Jahren 2009 und 2010 gedient haben kann.“ Man darf gespannt sein, 
wofür die vermeintlichen Terroristen noch verantwortlich gemacht werden.
