Anarchie ist machbar, Herr Nachbar – der alte Spontispruch ist in der Gartenstraße noch immer aktuell. Seit zehn Monaten haben Autonome das Häuschen mit der Nummer 19 in der Altstadt besetzt und scheinen geduldet. Doch einige Nachbarn sind mächtig genervt.
Die Besetzer
Im April 2010 hat die 
Freiraumkampagne "Plätze-Häuser-Alles" das seit 2004 leerstehende 
Gebäude in der Gartenstraße 19 besetzt und Gewinnmaximierung bei 
Immobilien kritisiert. Seither ist ein Kommen und Gehen, die Besetzung 
geblieben. "Ja, wer hätte das gedacht", sagt Peter. Die lose Gruppe, die
 sich "G 19" nennt, überlegt, wie sie das Einjährige begeht. Sie hat 
sich mit Sofa, Büchern, Küche eingerichtet. Das Häuschen ist von der 
Versorgung abgehängt. Solarpaneel und Autobatterie speisen Leuchtdioden,
 Wasserkanister stehen vor einem Klo.
"Es ist jetzt mehr als ein leerstehendes Haus", sagt ein anderer, "es 
ist ein Treffpunkt." Ältere und Schlechtergestellte kämen in den 
Umsonst-Laden, Studenten schauen rein und Menschen, die erzählen, dass 
sie bei der legendären Besetzung des Dreisamecks dabei waren. Dienstags 
ist vegane Volksküche, im Schuppen dahinter eine Radwerkstatt 
eingerichtet, ab und an Kino und freitags anarcho-syndikalistische 
Kneipe "auf Spendenbasis".
"Ein schöner Ort zum Leben", sagt Peter und meint auch die Lage. Es gebe
 keinen Stress mit dem Besitzer, in den letzten Monaten auch nicht mit 
Nachbarn. "Wir achten drauf", sagt er und schiebt nach "bestimmt wird es
 den ein oder anderen Nachbarn stören." Und wie geht es weiter? "Jetzt 
sind wir drin, jetzt bleiben wir." An der Fassade steht in roter 
Schrift: Die Anarchie ist unvermeidbar.
Die Nachbarn
Für Jelena Gavranovic vom 
Kosmetikstudio Skin direkt gegenüber hat die Nachbarschaft zwei Seiten. 
Die menschliche: "Die sind echt süß und noch jung." Die geschäftliche: 
Wenn sich die jungen Leute zum Protest sammeln, könne sie keine Kunden 
wellnessbehandeln. Da treffen zwei Welten aufeinander. Vor allem im 
Sommer wird draußen gekocht und getrunken, erzählt die Kosmetikerin, es 
gibt Hunde, Musik und Lagerfeuer. Inzwischen sei die Nummer 19 auch eine
 Anlaufstelle für Obdachlose. Kurz: "Es ist geschäftsschädigend." Sie 
muss ihre Ladenmiete zahlen, und wenn sie Stühle aufs Trottoir stellt, 
verlangt die Stadt Geld. Gegenüber nicht. "Das ist unfair."
Nicht alle Nachbarn haben ein Problem mit der Besetzung. "Es fällt nicht
 unangenehm auf", sagt zum Beispiel Josefine Rudolph, Verkäuferin im 
"Morgenland", einem Geschäft für Schmuck, Mode und Meditationsbedarf an 
der Ecke zur Erbprinzenstraße. Ihr Eindruck: "Sie halten sich eigentlich
 zurück."
"Es gibt sehr höfliche Leute da", sagt Michael Geis, Besitzer des 
Nachbarhauses, in dem er ein Büro hat. Aber es gebe eine Gruppe, bei der
 ihm nicht wohl ist. Die Besetzung ist ihm ein Dorn im Auge. "Nicht weil
 die Leute anders sind", sagt er, sondern weil sein Gärtchen als 
Toilette benutzt werde, Essensreste, Müll und Schrott ums Gebäude und im
 Weg lägen. "Die Stadt macht nix." Und warum gehen die Nachbarn nicht 
auf die Barrikaden? Dazu fehlt ein triftiger Anlass, sagt Geis.
Der Eigentümer
 Der Eigentümer des Gebäudes, der 
woanders lebt, möchte sich nicht äußern. Und keinen Strafantrag wegen 
Hausfriedensbruchs stellen. Von seiner Seite kommt wohl keine Bewegung 
in die Sache, solange sich die Ausgangslage nicht ändert. Dabei geht es 
um seinen langjährigen Plan, anstelle des Häuschens ein Mehrfamilienhaus
 zu bauen, die Ablehnung der Stadtverwaltung und Rechtsstreitigkeiten. 
Da gibt es noch nichts Neues.
Die Behörden
Kein Strafantrag, keine Räumung, lautet die Devise der Stadtverwaltung. 
Das Ordnungsamt hatte den Eigentümer anfangs angeschrieben, sagt Leiter 
Walter Rubsamen. Ohne Reaktion. Die Behörde könnte auch von selbst 
einschreiten: aus Sicherheitsgründen wie Brandschutz, doch darauf gebe 
es keinen Hinweis. Tätig werden könnte das Amt auch wegen der Sitzbänke 
vor dem Häuschen oder der Kneipe dahinter: Die Besetzer brauchen dafür 
eigentlich eine Erlaubnis für die Möblierung öffentlichen Verkehrsraumes
 und für den Gaststättenbetrieb – Spenden hin oder her, weil es eine 
dauerhafte, regelmäßige Einrichtung ist. Aber: "Wir setzen andere 
Prioritäten", so Rubsamen. Es gebe hin und wieder Beschwerden über 
Ärgernisse, aber nichts, was ein Eingreifen erfordere. "Es wird 
offensichtlich noch hingenommen, da betreiben wir keine 
Eigeninitiative." Die Polizei muss laut Sprecher Karl-Heinz Schmid nicht
 verstärkt in der Gartenstraße tätig werden.
			
				
			
				 
					
				
				
							

