Weil sie eine Abschiebung gefilmt haben, sollen vier Wiener Studenten eine Terrororganisation sein, die den internationalen Flugverkehr lahmlegen wollte. DATUM vorliegende Dokumente beweisen außerdem, dass die „Uni brennt“-Bewegung vom Verfassungsschutz observiert wurde.
TEXT: GEORG ECKELSBERGER, THOMAS TRESCHER
Sie stricken. Jene Personen, die der Verfassungsschutz als Terrororganisation bezeichnet, sitzen im Wiener Café Rüdigerhof und stricken sich gegenseitig bunte Socken. Auf den ersten Blick könnte man Judith, Andrea, Iris und Martin (alle Namen geändert) für ganz normale Studenten mit einem ein wenig altmodischen Hobby halten. Doch wenn sie nicht gerade mit Maschen und herunterfallenden Wollknäueln beschäftigt sind, sollen die vier Studenten an der Akademie der bildenden Künste in Wien versucht haben, ein Gebäude abzubrennen und den internationalen Flugverkehr zum Erliegen zu bringen. Ihr Ziel: eine „grundsätzliche Änderung der Asylpolitik“ in Österreich. Das behauptet jedenfalls der Verfassungsschutz. Peinlich allerdings für die Verfassungsschützer: Jene beiden Aktionen, die sie den Verdächtigen vorwerfen, passierten in einer Zeit, als die Studenten bereits observiert wurden – und das vermutlich nur deshalb, weil sie sich in der studentischen Protestbewegung des Jahres 2009 engagierten.
Am 6. Juli des Vorjahres wurden drei von ihnen als Terrorverdächtige 
verhaftet, zwei Wochen später noch Iris, die vierte Studentin. Der 
Vorwurf lautete, zwei Mistkübel vor einer Zentrale des 
Arbeitsmarktservice (AMS) in der Wiener Redergasse im 5. Bezirk in Brand
 gesetzt zu haben. „Ich betone immer wieder: Es geht nicht darum, dass 
Mistkübel angezündet, sondern dass die Mistkübel als Brandsatz verwendet
 wurden, um das AMS abzubrennen“, sagt die Sprecherin der 
Staatsanwaltschaft, Michaela Schnell. Was die angezündeten Mistkübel zu 
einem Brandsatz gemacht habe, „kann ich jetzt nicht sagen“, sagt 
Schnell. „Jedenfalls ist ein hoher Schaden entstanden.“ Die Studenten 
erlebten den Unterschied zwischen „anzünden“ und „als Brandsatz 
verwenden“ am eigenen Leib. Denn die Behörden bewogen die brennenden 
Mistkübel, gegen die Verdächtigen nach Paragraf 278b des 
Strafgesetzbuchs (Bildung einer terroristischen Vereinigung) zu 
ermitteln – und sie umgehend in U-Haft zu stecken (siehe DATUM 10/10). 
Der grüne Justizsprecher Albert Steinhauser sieht darin einen schweren 
Missbrauch des Terrorparagrafen. „Dass eine Tat eine Gemeingefährdung 
herbeiführt, dass dabei Menschen ums Leben kommen, dass die Tat großen 
Schaden auslöst, dass sie die Medien und die Politiker einige Monate 
lang beschäftigt – all das ist laut Lehrbuchmeinung noch keine Störung 
des öffentlichen Lebens und rechtfertigt den Terrorismusparagrafen 
nicht“, sagt Steinhauser. „Das zeigt, dass der Paragraf für schwere 
terroristische Angriffe der Kategorie der Anschläge des 11. September 
2001 gedacht ist.“ Für die ermittelnden Behörden reichten zwei brennende
 Mistkübel. Die Studenten mussten für den Terrorverdacht mit sieben bzw.
 fünf Wochen Untersuchungshaft büßen – ohne Ergebnis. Bis heute, mehr 
als ein dreiviertel Jahr nach den Ereignissen, wurde keine Anklage 
erhoben – und Paragraf 278b als Ermittlungsparagraf wieder gestrichen. 
Warum nach wie vor keine Anklage erhoben wurden, erklärt die Sprecherin 
der Staatsanwaltschaft so: „Wir ermitteln hier gegen einen größeren 
Personenkreis, deshalb dauert das länger.“
Ein Punkt, der die Ermittlungen verzögerte: Auf dem Laptop einer 
verdächtigen der vier verdächtigen Personen fanden die Ermittler 22 
Videosequenzen – aufgrund derer das Wiener Landesamt für 
Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) umgehend wieder den 
Terrorverdacht erhob. „Als wir uns drei Monate nach der Haftentlassung 
unsere beschlagnahmten Sachen abgeholt haben, wurde uns gesagt, dass wir
 sowieso bald wieder in U-Haft sitzen“, sagt Judith. Auch wenn das bis 
dato nicht passiert ist: Noch am selben Tag wurden die Verdächtigen 
wegen der Videos verhört. „‚Jetzt ist der Spaß vorbei, jetzt wird es 
ernst‘, haben sie uns gedroht“, sagt Judith.
Auf den Videos ist die Nacht vom 22. auf den 23. Juni 2010 zu sehen, in 
der die Verdächtigen die Abschiebung eines Schubhäftlings filmten, der 
vom Polizeianhaltezentrum Rossauer Lände im neunten Wiener 
Gemeindebezirk zum Flughafen Wien-Schwechat gebracht wurde. Auch wenn es
 abstrus klingt: Für die ermittelnden Beamten ist das ein Hinweis 
darauf, dass die Angeklagten eine terroristische Vereinigung sind. 
Aufgrund dieser Videos erbat das LVT in einem Schreiben vom 21. 
September 2010 an die Staatsanwaltschaft die Ausweitung der Ermittlungen
 auf die Terrorparagrafen 278b und – „in evento“ – 278c (Begehung einer 
terroristischen Straftat). Die Dokumentation der Abschiebung wird in dem
 Bericht durchgehend als „Observation“ bezeichnet, die Ermittler 
schließen, „dass die Beschuldigten offensichtlich Verhinderungen von 
Abschiebungen, möglicherweise aber auch Häftlingsbefreiungen planen“. 
Als Indiz dafür reicht dem Verfassungsschutz alleine die 
Videodokumentation der Abschiebung. Beziehungsweise, so der Bericht 
weiter: „Als weiteres Indiz für die Begehung einer terroristischen 
Straftat ist die professionelle Vorgangsweise bei der Observation selbst
 (…) zu sehen.“ Was die Ermittler als Vorbereitung von 
Häftlingsbefreiungen sehen wollten, war aber laut den Verdächtigen 
eigentlich ein universitäres Projekt. „Die Akademie der bildenden Künste
 hat mit Vorlage einer Expertise bestätigt, dass die Aufnahmen für die 
Uni entstanden sind – Ausschnitte der Aufnahmen waren auch Teil einer 
Ausstellung an der Akademie”, sagt der Beschuldigte Martin. 
Dazu kommt: Jene Indizien, die in dem LVT-Bericht am schwersten wiegen, 
sind schlicht und einfach unwahr. Am Flughafengelände filmten die 
Beschuldigten vom Dach eines AUA-Parkhauses aus, auf dem sich auch zwei 
Funkmasten befinden. „Eine Manipulation an dieser Funkanlage hätte 
möglicherweise für den Flughafenbetrieb aber (sic!) auch für den 
Flugzeugverkehr an sich, unabsehbare Folgen“, schreiben die Ermittler. 
Dass das nicht stimmt, bestätigt auch die Staatsanwaltschaft: „Im Laufe 
der Ermittlungen hat sich gezeigt, dass das normale Sendemasten für den 
Mobilfunk sind“, sagt Sprecherin Schnell. Es sei den Beschuldigten 
„durchaus möglich“ gewesen, Manipulationen an den Masten durchzuführen, 
steht in dem Bericht weiter. Obwohl sie das – wiederum laut LVT-Bericht –
 nicht getan haben, wird es ihnen zur Last gelegt.
Das LVT geht noch weiter und von „offensichtlich geplanten Aktionen“ 
aus, ohne Indizien oder gar Beweise dafür anzuführen. Dafür wollen die 
Ermittler das Motiv der Beschuldigten kennen: „Als Motiv für die 
offensichtlich geplanten Aktionen könnte die Erzwingung einer 
Gesetzesänderung, aber auch eine Änderung der Asylpolitik in Österreich 
sein.“ (Originalwortlaut des Berichts, Anm.) Durch die Dokumentation der
 Abschiebung entstand laut den Ermittlern „ein enormes Sicherheitsrisiko
 und ist derzeit nicht absehbar, wie, (sic!) bzw. wann diese 
terroristische Vereinigung (…) die gewonnenen Erkenntnisse für ihre 
weiteren Aktivitäten nutzen wird.“ Die Konstrukte und Anschuldigungen 
des LVT gingen letztendlich auch der Staatsanwaltschaft zu weit: Sie gab
 dem Ansuchen auf Ausweitung der Ermittlungen nicht statt. „Die 
probieren an uns einfach aus, wie weit sie gehen können“, sagt Judith. 
Und  die Ermittler gingen sehr weit: Auf Auftrag des LVT wurden vom 
Bundesverfassungsschutz gar internationale Ermittlungen eingeleitet. 
Wenn die Verdächtigen Telefonnummern im Ausland anriefen, forschten die 
ermittelnden Behörden die Anschlussinhaber aus. „Man weiß nicht, was man
 tun soll. Ich habe mir eine neue E-Mail-Adresse zugelegt, aber man weiß
 nicht ob die wieder von den Ermittlern beschnüffelt wird. “, sagt 
Andrea.
Auf das LVT wirft der Bericht ein katastrophales Licht: Es will den 
Beschuldigten mit nachweislich falschen Behauptungen unterstellen, eine 
terroristische Vereinigung zu sein. „Dass das LVT hier einen 
Terrorismusverdacht heraufbeschwört, ist ein bewusster Missbrauch des 
Paragrafen – da wird das Gesetz nicht gebogen, sondern gebrochen“, sagt 
Grünen-Justizsprecher Albert Steinhauser. Für das LVT ist der 
Terrorismusverdacht offensichtlich schon gegeben, wenn Personen auch nur
 die Möglichkeit haben, einen Funkmasten zu beschädigen, dessen 
Beschädigung im schlimmsten Fall eine Störung des Mobilfunknetzes zur 
Folge hätte. Die Staatsanwaltschaft will nicht sagen, ob das LVT seine 
Arbeit auf ihr Ansuchen hin oder selbstständig zur „Gefahrenabwehr“ 
aufgenommen hat.
Wahrscheinlicher ist, dass das LVT auf eigene Faust die Ermittlungen 
aufgenommen hat, um die „Uni brennt“-Bewegung zu observieren. „Das LVT 
ist auf dem rechten Auge blind oder komplett unfähig, während es mit dem
 linken Auge besonders genau hinschaut“, sagt Steinhauser. DATUM 
vorliegende Dokumente scheinen das zu bestätigen: Ein 
Observationsbericht zeigt, dass die Verdächtigten bereits überwacht 
wurden, noch bevor am 22. Juni die Abschiebung gefilmt wurde und am 27. 
Juni in der Redergasse zwei Mistkübel brannten. Das LVT beantragte schon
 am 12. Mai 2010 die Überwachung von zumindest einer Person aus der „Uni
 brennt“-Bewegung. Ein DATUM vorliegender Observationsbericht des LVT 
dokumentiert eine „Zielperson 1 (ZP1)“ – „Bekleidung: schwarzes T-shirt,
 (sic!) knielange Hose, blaue Adidas-Sportschuhe mit gelben Streifen“ – ,
 die offenbar am 26. Juni 2010 an einer „Demonstration gegen soziale 
Kontrolle und Repression“ teilnahm und sie um 17.33 Uhr ohne besondere 
Vorkommnisse wieder verließ. Die „ZP1“ wird – gemeinsam mit zwei 
weiteren Personen (im Bericht „P3“ und „P4“ genannt) – bis 21.45 Uhr 
beobachtet, die Ermittler schließen ihren Bericht mit den Worten: „Sie 
queren die Straße Am Stadtpark in Richtung Hilton, bzw. 
AVANTI-Tankstelle, wo sie nächst dieser und der Fahrbahn sich auf einen 
Betonsockel setzen und plaudern und offensichtlich warten. ZP1 raucht 
Zigaretten.“ Johann Golob, Pressesprecher der Bundespolizeidirektion 
Wien (ihr ist auch das LVT unterstellt), möchte zu diesen Dokumenten 
nichts sagen. Er bestätigt lediglich, dass es Ermittlungen gibt.
