40 Jahre zu Unrecht bespitzelt

Erstveröffentlicht: 
04.02.2011

Jahrzehnte lang hat der Verfassungsschutz den Bürgerrechtler Rolf Gössner rechtswidrig ausgespäht, urteilt Verwaltungsgericht Köln. Wer ihn denunziert hat, erfährt Gössner nicht.

 

BREMEN taz | Fast 40 Jahre lang hat das Bundesamt für Verfassungsschutz Rechtsbruch begangen. Das geht aus einem Urteil hervor, das das Verwaltungsgericht Köln am Donnerstag gefällt hat. Das Gericht gab damit der Klage des Bremer Rechtsanwalts und Vizepräsidenten der Liga für Menschenrechte Rolf Gössner in vollem Umfang statt.

Gössner hatte das Bundesamt 2007 verklagt, weil es ihn seit 1970 unausgesetzt beobachtete. Damals studierte er noch in Freiburg. Anschließend war Gössner in Bremen Gerichtsreferendar, hat später an der dortigen Uni promoviert und schließlich auch gelehrt. Von 1990 bis 2001 beriet er die niedersächsische Grünen-Fraktion. Immer blieb der Inlandsgeheimdienst dran. Selbst als die Bremische Bürgerschaft den parteilosen Juristen 2007 zum stellvertretenden Richter am Staatsgerichtshof, dem Landesverfassungsgericht, wählte, dauerte die Observation an.

Eingestellt wurde sie erst Ende 2008, kurz vor Beginn der Gerichtsverhandlung. Die Sicherheitslage habe sich verändert, hieß es plötzlich. Geheim bleibt, was genau sich 19 Jahre nach dem Mauerfall verändert hatte. "Ich werde schauen, ob sich das Fachreferat dazu äußert", sagte dazu eine Sprecherin des Verfassungsschutzes. Zum Urteil könne "derzeit gar nichts gesagt werden", sie bitte um Verständnis: "Das müssen wir erst verdauen." Die schriftliche Urteilsbegründung liegt noch nicht vor.

Das gilt auch für den Großteil der 2.000 Blatt starken Gössner-Akte: Der Innenminister verweigerte die komplette Freigabe, nur 15 Prozent des Dossiers sind zugänglich. Zuvor hatte das Bundesverwaltungsgericht in einem "in camera"-Verfahren - bei dem Richter und Geheimdienstvertreter hinter verschlossenen Türen die Akte sichten - das Geheimhaltungsbedürfnis bejaht.

Problematisch ist das auch für die persönliche Aufarbeitung. "Ich muss versuchen, mir diesen Teil meiner Lebensgeschichte wiederanzueignen", sagte Gössner. Anders als ein Stasi-Opfer wird er dabei aber nicht erfahren, wer ihn zu Unrecht denunziert und ausgespäht hat. Auskunft über die Anzahl ähnlicher Fälle gibt das Bundesamt nicht.

Besorgniserregend ist das, weil der Anlass für die Gössner-Bespitzelung so nichtig war: Er firmierte 1970 auf einer Liste des Sozialdemokratischen Hochschulbundes, ohne Mitglied der damals SPD-nahen Vereinigung zu sein oder später einer Partei beizutreten. Gerade das fand der Verfassungsschutz auffällig: Der Bremer, so die perfide Argumentation, agiere "ganz bewusst nicht als Mitglied einer extremistischen Partei, weil er so seine Glaubwürdigkeit zu wahren versucht". Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.