Während FDP-Chef Guido Westerwelle in den Medien noch vor der „Nichts-geht-mehr-Republik“ warnt und die Wirtschaft geringere Einspruchsrechte bei Großprojekten empfiehlt, ist man in Hessen offenbar schon weiter:
Der Landesverband des BUND fürchtet, Klagen – etwa gegen neue Straßen, Landebahnen oder andere Großvorhaben – könnten künftig für Bürger und Verbände zum „unkalkulierbaren Kostenrisiko“ werden. Die Warnung erscheint nicht zu hochgegriffen, wenn man die Kostenforderungen betrachtet, mit denen sich die Gegner des Frankfurter Flughafenausbaus konfrontiert sehen.
Denn seit die Verwaltungsrichter in Kassel den Ausbau des Frankfurter Flughafens genehmigt haben, sehen sich die Kläger gegen das Projekt vom Flughafenbetreiber Fraport als auch vom Wirtschaftsministerium mit hohen Geldforderungen konfrontiert. Das Ministerium von Verkehrs- und Wirtschaftsminister Dieter Posch (FDP) forderte vom BUND zunächst über 120 000 Euro. Mittlerweile wurde die Summe auf über 99 000 Euro reduziert, ist aber aus Sicht des BUND noch immer unhaltbar. Interessanterweise verlangt Wiesbaden eine Kostenerstattung für Gutachten in Höhe von mehr als 26 000 Euro. Diese seien durch Aufträge an einen privaten ornithologischen Gutachter entstanden.
„Der BUND Hessen hat seinen Sachverstand zu der Frage, welche Beeinträchtigungen die Lärmzunahme für das Vogelschutzgebiet in der Nachbarschaft des Flughafens auslöst, ausschließlich durch seinen Naturschutzreferenten eingebracht“, betont BUND-Sprecher Thomas Norgall.
Dennoch  behaupte das Wirtschaftsministerium, der BUND Hessen
 habe die Einholung von Sachverständigengutachten „notwendig gemacht“,  
wie sich Norgall beschwert. Aus Sicht des Umweltverbandes belegt dies, 
dass der  Sachverstand der eigenen Naturschutzbehörden und der 
Staatlichen Vogelschutzwarte nicht ausgereicht habe, um den Argumenten 
der Umweltschützer  entgegenzutreten.  Doch genau das wäre aus Sicht des
 BUND die ureigene Aufgabe der Behörden – und nicht etwa externer 
Gutachter – gewesen. 
Im Fall des Frankfurter Flughafenausbaus seien die Versäumnisse der Behörde geradezu offensichtlich. Schließlich sei der entsprechende Naturschutzreferent des BUND Hessen Diplom-Agraringenieur und habe sich sein ornithologisches Wissen autodidaktisch angeeignet.
Die Rechtsanwältin des BUND Hessen, Ursula Philipp-Gerlach,
 bezeichnet die Ansprüche aus Wiesbaden  „nicht nur in der Höhe als 
einzigartig“, sondern sie sieht auch einen Widerspruch zur bisherigen 
Rechtsprechung. Wie sie sagt, hat  erst jüngst  das höchste Bayerische 
Verwaltungsgericht entschieden, dass die Sachverständigenkosten eines 
Landes oder eines Unternehmens „regelmäßig unter keinem Gesichtspunkt zu
 den erstattungsfähigen Verfahrenskosten“ gehören können. 
Für die Umweltschützer geht es bei dem Streit indes nicht nur um die eigene finanzielle Belastung, die wiederum die Arbeit massiv erschweren würde; auch generell, so Norgall, werde durch solche Forderungen das Klagerecht der Bürger und somit die Rechtsstaatlichkeit ausgehöhlt. Um auf die Brisanz hinzuweisen hat der BUND einen Brief an Ministerpräsident Bouffier geschrieben.
Darin
 heißt es unter anderem mit Verweis  auf das Urteil aus München, dass 
eine Planfeststellungsbehörde sich – anders als ein privater Kläger oder
 ein Naturschutzverband – gerade nicht darauf berufen kann, dass sie  
schwierige Sachfragen durch externe Gutachter außerhalb der Verwaltung 
beurteilen lassen muss.“ Die Behörde habe vielmehr „vor ihrer 
Entscheidung alle Sach- und Rechtsfragen mit Hilfe der Landesverwaltung“
 aufzuklären.  Nicht etwa danach, worüber sich  Dieter Posch schon im 
Sommer beschwerte. Würden sich der Wirtschaftsminister und die Fraport 
durchsetzen, so warnt der BUND, würde der im Grundgesetz garantierte 
Rechtsschutz für Verbände und Privatpersonen ad absurdum geführt und 
„damit ein Eckpfeiler der Rechtsschutzgarantie wegschlagen“. 
Noch steht eine Antwort des Ministerpräsidenten auf das Schreiben aus. Auf FR-Anfrage hieß es aus der Wiesbadener Staatskanzlei, das Schreiben werde geprüft. Bis wann es eine Antwort vom Ministerpräsidenten gibt, sei noch offen, sagte ein Sprecher. Nach Auffassung von BUND-Vorstandssprecherin Brigitte Martin steht Wiesbaden in der Pflicht zu verhindern, dass Klagen von Bürgern und Verbänden gegen unbeliebte Großprojekte in Zukunft drastische finanzielle Risiken mit sich bringen: „Der Ministerpräsident muss diesen Unfug stoppen. Es kann doch nicht Ziel der Landesregierung sein, dass der Zugang zum Verwaltungsgericht über nachträgliche Kostenforderungen unmöglich gemacht wird.“
Dass 
die hohen Rechnungen für Umweltschutzverbände wie den BUND  ganz auf 
Linie von Hessens Wirtschaftsminister liegen, ist kein Geheimnis. Schon 
im Sommer  forderte der FDP-Mann eine „offene Diskussion“ über Standards
 von Naturschutzauflagen bei Bauverfahren. 
Das Naturschutzrecht 
verursache einen Kostenaufwand, der der Natur wenig nütze und den 
Menschen und der Wirtschaft erheblich schade, sagte Posch  im Juni vor 
dem  Wiesbadener Landtag. Das Geld  lasse sich wirksamer einsetzen, wenn
 man den Schutz der Natur von der Abwicklung großer 
Infrastrukturprojekte löse. Durch geringere Auflagen für den Natur- und 
Artenschutz beim Bau von Fernstraßen ließen sich rund sieben Milliarden 
Euro sparen, so Posch. Als Beispiel nannte er damals  im Landtag  die 
Erfassung des Fledermausvorkommens in Zusammenhang mit dem Ausbau des 
Frankfurter Flughafens: Die Kartierung der Fledermauslebensräume habe 
zwei Jahre lang gedauert und mehr als drei Millionen Euro gekostet. 
Herausgekommen sei dabei wenig. 
Auch der Bau der A 44 in Nordhessen sei durch den Schutz der Kammmolche erheblich verteuert worden, sagte Posch. Durch die Zusammenlegung zweier geplanter Tunnels seien Mehrkosten von 50 Millionen Euro entstanden. Immerhin: Aus dem CDU-geführten Bundesumweltministerium kam vergangene Woche die Ansage, Naturschutzauflagen bei Verkehrsprojekten würden nicht gelockert.
