Was geschah bei der Besprechung im Staatsministerium am Vortag des Polizeieinsatzes im Stuttgarter Schlossgarten? Auf diese Frage haben sich SPD und Grüne gestern im Untersuchungsausschuss des Landtags konzentriert. An jenem Mittwoch, den 29. September, hatte Ministerpräsident Stefan Mappus kurzfristig die Polizeiführung sowie seine engsten Vertrauten im Kabinett - die Verkehrsministerin Tanja Gönner sowie Staatsminister Helmut Rau (alle CDU) - zu einer vertraulichen Runde in die Villa Reitzenstein gerufen. Um 16 Uhr kam man zusammen, eine gute Stunde dauerte die Besprechung, in der schließlich die Entscheidung fiel, schon am Vormittag des 30. September in den Park zu gehen.
Zuvor war offenbar geworden, dass der ursprüngliche Zeitplan für die geplante Baumfällaktion verraten und damit hinfällig geworden war. Mitarbeiter des Verkehrsministers entdeckten entsprechende Hinweise auf den Internetseiten der Parkschützer. Dort wurden die Stuttgart-21-Gegner aufgefordert am Donnerstag um 15 Uhr, besser noch 14 Uhr in den Park zu kommen.
Die Polizei war alarmiert, aber keineswegs einig, wie sie reagieren sollte. Stuttgarts Polizeipräsident Siegfried Stumpf plädierte dafür, den Einsatz auf den Vormittag, zehn Uhr, vorzuziehen. Landespolizeipräsident Wolf Hammann schrieb einen Vermerk, in dem er darauf hinwies, dass der Einsatz kaum mit verhältnismäßigen Mitteln zu bewältigen sei, wenn die Polizei im Park eine große Menschenmenge erwartete. Er sprach sich für eine Verschiebung aus.
Staatssekretär Hubert Wicker, der Amtschef des Staatsministeriums und in dieser Eigenschaft ein enger Mitarbeiter des Regierungschefs, bekam diesen Vermerk erst auf dem Weg ins Konferenzzimmer in die Hände. Auch Mappus habe zuvor nichts von dem Schriftstück gewusst. Nach Darstellung Wickers votierte Stumpf für ein Vorziehen des Polizeieinsatzes auf den Donnerstagvormittag, zehn Uhr. Während der Besprechung habe Landespolizeipräsident Hammann zwischenzeitlich mit der Polizeiabteilung im Innenministerium telefoniert, von der er erfuhr, dass zusätzliche und ausreichende Polizeieinheiten aus anderen Bundesländern beigebracht werden könnten. Damit seien die Bedenken des Polizeipräsidenten ausgeräumt gewesen.
Der Ministerpräsident, so Wicker, habe dem Vorschlag Stumpfs zugestimmt. „Wenn Herr Stumpf gesagt hätte, das gehe auf keinen Fall, wäre ihm der Ministerpräsident gefolgt", betonte Wicker. „Das letzte Wort hat die Polizei, das ist doch völlig klar." Zwar habe er in seinen dreieinhalb Jahren als Chef des Staatsministeriums noch keine derartige Besprechung mit der Polizei in der Regierungszentrale erlebt, aber es habe auch keinen vergleichbaren Polizeieinsatz gegeben. Die anderen Teilnehmer an der Besprechung haben laut Wicker „Fragen gestellt".
Der Staatssekretär räumte ein: „Es war klar, dass das kein einfacher Einsatz werden würde." Auch die Wasserwerfer seien angesprochen worden, allerdings nur in dem Sinn, dass sie zur Absicherung des umzäunten Baufeldes gebraucht würden. Der größte Druck, so das Kalkül der Polizeiführung, werde sich erst gegen Abend vor dem errichteten Bauzaun aufbauen.
Zum Wasserwerfereinsatzes begutachtete der Untersuchungsausschuss gestern erneut Videoaufnahmen. Der Theaterregisseur Volker Lösch sagte aus, er habe gesehen, wie ein Demonstrant mittels eines Wasserstrahls von einem Baum geschossen worden sei. In einem Funkspruch der am Einsatz beteiligten hessischen Polizei heißt es, ein Wasserwerfer versuche „teilweise, Personen von den Bäumen zu spritzen". Die Stuttgarter Polizeiführung legte mit Videoaufnahmen aus verschiedenen Blickwinkeln dar, dass diese Personen, die sich in unterschiedlicher Höhe hinter den Baumstämmen festklammerten, aus dem Blickwinkel der Wasserwerferbesatzungen nicht zu sehen gewesen seien. Als die Gefahr erkannt wurde, hätten die Wasserwerfer ihren Sprühregen abgesenkt beziehungsweise eingestellt. Zu Schaden gekommen sei niemand. Der Theaterregisseur Volker Lösch berichtet von seinen Erlebnissen. Er habe sich bei anderen Demonstranten untergehakt und gegen die Polizeikette gedrückt. Die Polizisten hätten ebenfalls gedrückt. „Von der Polizei ging eine unverhältnismäßige Lust zur Gewalt aus", sagte Lösch. „Es war klar, hier sollten Stärke und Macht demonstriert werden."