Linke unter Generalverdacht

Gesellschaftspolitisches Engagement, wie hier bei den Blockaden gegen einen Naziaufmarsch in Dresden, wird als »extremistisch« verunglimpftFoto: Björn Kietzmann
Erstveröffentlicht: 
01.12.2010

Linke unter Generalverdacht
Hintergrund. Aktuelle Ausprägung und politische Funktion des Extremismusansatzes


Von Ulla Jelpke und Gerd Wiegel

 

Aus Protest gegen eine Antiextremismuserklärung, die von allen nominierten Projekten zu unterzeichnen war, hat das Alternative Kultur- und Bildungszentrum (AkuBIZ) aus Pirna den mit 10000 Euro dotierten Sächsischen Demokratiepreis abgelehnt. Diese demonstrative Verweigerung hat eine Debatte ins Licht der Öffentlichkeit gerückt, mit der antifaschistische Initiativen seit der schwarz-gelben Regierungsübernahme verstärkt konfrontiert sind, die aber als ideologisches Kampfinstrument des Konservatismus sehr viel älter ist: die Extremismustheorie und die mit ihr verbundene Gleichsetzung von rechts und links. Was es mit dieser »Theorie« auf sich hat, von wem und mit welchem politischen Interesse sie vertreten wird, wollen wir im Folgenden klären. Zunächst wollen wir aber einen Blick auf die aktuelle politische Ausprägung dieser Debatte werfen, die in immer weiteren Bereichen die politischen Handlungsmöglichkeiten von radikalen Linken einschränken soll.


Neuer Radikalenerlaß

Seit 2001 werden mit Bundesmitteln Projekte gefördert, die dem immer stärkeren Anstieg rechter Gewalt und dem Vordringen der extremen Rechten entgegenwirken sollten. Den Konservativen waren diese Projekte schon immer ein Dorn im Auge, wurde doch hier eine staatliche Finanzierung von Antifastrukturen vermutet. Seit dem Eintritt von CDU/CSU in die Bundesregierung 2005 wurden die Programme politisch zurechtgestutzt. Seitdem Union und FDP regieren, wurde die ganze Ausrichtung der Programme verändert. Aus Programmen gegen »Rechtsextremismus« sollen laut Koalitionsvertrag Programme gegen »Extremismus« werden. Folgerichtig hat die konservative Bundesregierung jetzt Projekte gegen »Linksextremismus« und Islamismus an den Start gebracht, um auch so die von ihr vertretene Gleichsetzung von rechts und links zu dokumentieren. Systematisch wird aktuell von Regierungsseite versucht, den Extremismusansatz in allen nur denkbaren Bereichen zu implementieren: Das vom Innenministerium finanzierte Bündnis für Demokratie und Toleranz, das bisher vor allem in den Bereichen extreme Rechte, Integration und NS-Erinnerung tätig ist, soll sich verstärkt um das Thema »Linksextremismus« kümmern. Auch die Bundeszentrale für politische Bildung soll das Thema »Linksextremismus« stärker in ihrem Onlineangebot berücksichtigen. Und das Bundesamt für Verfassungsschutz (VS) will mehr Personal für den besagten Bereich einstellen.

Alle diese teils hektischen Aktivitäten sind Ausdruck einer ideologischen Aufrüstung, mit der linke Politik und linke politische Ansätze kriminalisiert werden sollen. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU), deren Ministerium für die bisherigen Bundesprogramme gegen rechts verantwortlich ist, ist eine der eifrigsten Verfechterinnen dieses Konzeptes und exerziert gerade dessen rücksichtslose Umsetzung vor. So sollen alle Projekte, die über die erwähnten Bundesprogramme staatliche Gelder erhalten, eine Erklärung unterschreiben, in der sie sich nicht nur selber zur »freiheitlich-demokratischen Grundordnung« bekennen, sondern sich zugleich verpflichten, alle Kooperationspartner auf ihre Verfassungstreue zu überprüfen. Ausdrücklich wird dazu die Lektüre des Verfassungsschutzberichtes angeraten. Auch wenn diese Wiederauflage des Radikalenerlasses aus den 70er und 80er Jahren, mit dem damals Linke verfolgt und aus dem öffentlichen Dienst gedrängt werden sollten, eher als Farce erscheint, hat sie doch deutlich negative Auswirkungen für linke und antifaschistische Projekte. So wurde einem Projekthaus in Potsdam, das auch Gelder aus dem Bundesprogramm bekommt, zeitweilig der Geldhahn zugedreht, weil einem Projektpartner »extremistische« Kontakte unterstellt wurden. Der Fall des antifaschistischen a.i.d.a.-Archivs aus München ging durch die Presse: Aufgrund der Erwähnung im bayrischen Verfassungsschutzbericht wurde das vom »Bündnis für Demokratie und Toleranz« zweifach ausgezeichnete und von der Stadt München geförderte Projekt im Jahr 2009 aus dem Beratungsnetzwerk zum Thema extreme Rechte in Bayern geschmissen und verlor seine Gemeinnützigkeit beim Finanzamt. Die gerichtlich erstrittene Streichung aus dem VS-Bericht im September 2010 nützte dann auch nichts mehr, womit deutlich wird, daß es um politische Säuberungen geht.

Da der Extremismusansatz eher für schlichte Gemüter gedacht ist, verwundert auch seine Umsetzung in der Provinz nicht: Der Bürgermeister des sächsischen Limbach-Oberfrohna wollte einen Runden Tisch zum Thema Demokratie in seinem Ort abhalten und lud auch die demokratisch gewählte NPD dazu ein. Die daraufhin einsetzenden Proteste beantwortete er damit, daß er nicht nur die NPD, sondern auch die LINKE auslud, da er beide jetzt als extremistische Parteien bezeichnete, die entsprechend gleich zu behandeln seien.


Theorie nach Hufeisenschema

Inhaltlich und theoretisch knüpft der wissenschaftlich höchst umstrittene Extremismusansatz an die Totalitarismustheorie an. »Totalitarismus« und »Extremismus« unterscheiden sich im Sinne der Vertreter dieser Ansätze durch die Stichworte Realität bzw. Potentialität: Mit »Totalitarismus« werden historisch oder gegenwärtig reale Herrschaftssysteme beschrieben, wogegen »Extremismus« auf Bewegungen und Parteien angewandt wird, die in Opposition zum liberalen Verfassungsstaat stehen.

Im Extremismusansatz erscheint der politische Raum als ein Hufeisen, dessen äußere Enden sich einander annähern. Mit diesem Bild soll die inhaltliche und formale Nähe der Extreme von rechts und links verdeutlicht werden. Die beiden führenden Vertreter des Extremismusansatzes in der Bundesrepublik, Uwe Backes von Dresdner Hannah-Arendt-Institut und Eckhard Jesse, Professor für Politikwissenschaft an der Universität in Chemnitz, definieren den Begriff folgendermaßen: »Der Begriff des politischen Extremismus soll als Sammelbezeichnung für unterschiedliche politische Gesinnungen und Bestrebungen fungieren, die sich in der Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates und seiner fundamentalen Werte und Spielregeln einig wissen, sei es, daß das Prinzip menschlicher Fundamentalgleichheit negiert (Rechtsextremismus), sei es, daß der Gleichheitsgrundsatz auf alle Lebensbereiche ausgedehnt wird und die Idee der individuellen Freiheit überlagert (Kommunismus), sei es, daß jede Form von Staatlichkeit als ›repressiv‹ gilt (Anarchismus).«

Wichtigstes Merkmal ist hier die Ablehnung der Werte und Normen des »demokratischen Verfassungsstaates«. Unter der Hand enthält die Definition auch gleich eine spezifische Auslegung des Grundgesetzes, in dem das Verhältnis von Gleichheit und Freiheit mit einem Primat auf Freiheit ausgelegt wird.

Neben der Ablehnung des liberalen Verfassungsstaates nennen Backes/Jesse weitere Merkmale des Extremismus, die sie in einer allen extremistischen Kräften gemeinsamen Denkstruktur sehen: »Alle extremistischen Doktrinen erheben auf die eine oder andere Weise den Anspruch auf exklusiven Zugang zur historisch-politischen Wahrheit – gleichgültig ob man sich auf die Gesetze der Natur oder der Vernunft beruft.« Diese inhaltliche Gleichsetzung wird noch um einen Punkt weitergetrieben: »Ihr strategisches Waffen­arsenal ist weitgehend austauschbar: kein Mittel der extremen Linken, das nicht auch bereits von der extremen Rechten angewendet worden wäre – und umgekehrt.«

Somit erscheint also rechter und linker Extremismus in der Wahl seines Gegners (liberaler Verfassungsstaat) und der Wahl seiner Mittel und Agitationsstruktur als gleich. Erübrigt hat sich mit dieser Definition jede weitere inhaltliche Dimension. Entscheidend ist nicht das Wofür sondern das Wogegen, womit die politische Mitte, der liberale Verfassungsstaat, zum einzigen Maßstab wird, jedoch nicht inhaltlich, sondern rein auf die Form bezogen.


»Extremismus der Mitte«

Dieses Abstrahieren von jeglicher inhaltlichen Bestimmung ist für die Extremismustheorie konstitutiv. Das gesamte Gebäude würde zusammenbrechen, wenn die inhaltliche Dimension stärker in den Mittelpunkt rücken würde. Vehement wenden sich Backes/Jesse gegen Vorstellungen, die von einem »Extremismus der Mitte« sprechen und damit andeuten, daß sich Inhalte etwa der extremen Rechten auch in der Mitte des politischen Raums finden lassen, ja teilweise von hier sogar ihren Ausgang nahmen. Erinnert sei nur an die hohe Zustimmung, die die rassistischen Thesen Thilo Sarrazins auch innerhalb seiner eigenen Partei erhalten, wo eine Mehrheit der Genossen einen Ausschluß des Exbundesbankers aus der SPD ablehnt. Daß die Sarrazin-Debatte keineswegs ein Ausrutscher war, zeigt die aktuelle Studie »Die Mitte in der Krise«, die Leipziger Wissenschaftler im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung Mitte Oktober veröffentlichten. Mehr als jeder dritte Deutsche hält demnach Deutschland für »in einem gefährlichen Maß überfremdet« und ist der Überzeugung, Migranten kämen nur nach Deutschland, »um unseren Sozialstaat auszunutzen«. Besonders von den Anfeindungen betroffen sind Muslime. Ihre freie Religionsausübung wollen bundesweit 58,4 Prozent »erheblich eingeschränkt« sehen, in Ostdeutschland gar über 75 Prozent. Auch antidemokratische Einstellungen nehmen wieder zu. Jeder vierte Befragte wünscht sich »eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert«, und 13 Prozent hätten gerne einen »Führer«, der Deutschland »zum Wohle aller mit starker Hand regiert«. Jeder vierte befürwortet ein »hartes und energisches Durchsetzen deutscher Interessen gegenüber dem Ausland«, und 40 Prozent wünschen sich »Mut zu einem starken Nationalgefühl«. Die Zustimmung zu rassistischen und antidemokratischen Aussagen ist also weitaus größer, als die bisherige Wählerschaft faschistischer oder rechtspopulistischer Parteien wie der NPD oder »Pro-NRW«. Vielmehr ergibt sich bei Themen wie Asyl und Einwanderung oder auch Nationalstolz eine vielfältige inhaltliche Nähe zwischen der sogenannten demokratischen Mitte und dem rechten »Extremismus«. Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Horst Seehofer begründete seine demonstrativ erhobene Forderung nach einem Einwanderungsstopp für Türken gerade mit dem Postulat seines Vorgängers Franz Josef Strauß, es dürfe rechts der Union keine demokratisch legitimierte Partei geben. Die dahinter stehende Logik, die Unionsparteien müßten sich solche Positionen zu eigen machen, um nicht der extremen Rechten das Feld zu überlassen, bewegt sich genau im Rahmen dieses Extremismusverständnisses.

Würde man den Verfassungsstaat inhaltlich definieren, könnte man sehen, daß sich die radikale Linke gerade auf seine zentralen Werte bezieht, während die extreme Rechte sie ablehnt:

Demokratie: Die Linke steht für eine Ausweitung der Demokratie auch auf wirtschaftliche Entscheidungen oder für Menschen ohne deutschen Paß oder durch Formen direkter Demokratie, wogen die Rechte demokratische Rechte generell einschränken und abschaffen will.

Menschenrechte: Radikale Linke beziehen sich positiv auf die allgemeinen Menschenrechte und beklagen, daß diese nicht allen Menschen in Deutschland gewährt werden. Die extreme Rechte bestreitet dagegen, daß es überhaupt so etwas wie Menschenrechte gibt.

Sozialer Rechtsstaat: Die radikale Linke tritt vehement für die Ausweitung sozialer Rechte ein, sie steht für die Verteidigung bürgerlicher Rechte nach dem Motto »Freiheit statt Angst«. Die extreme Rechte will soziale Rechte exklusiv an Herkunft und Geburt knüpfen und tritt für den starken, allwissenden Staat ein.


Frage der Definitionsmacht

Jedoch geht es im Extremismusansatz, wie deutlich geworden sein sollte, nicht um Inhalte, sondern um das Bekenntnis zum liberalen Verfassungsstaat. Auch dessen Bestimmung erfolgt ja nicht inhaltlich. Den Maßstab gibt nicht seine jeweilige Realität, sondern sein Ideal ab. Während etwa beim Kommunismus den Kritikern der Totalitarismustheorie vorgeworfen wird, sie würden mit dem Verweis auf die hehren Ziele des Kommunismus – das Ideal – die Realität des Realsozialismus verharmlosen, wird im Gegenzug von den Anhängern der Totalitarismustheorie immer nur der Idealtyp des liberalen Verfassungsstaates herangezogen. Egal, welche inhaltliche Veränderung dieser Verfassungsstaat im Rahmen der aktuellen Sicherheitsdebatte nimmt, welche Grundrechte weiter eingeschränkt und abgebaut werden – an seiner Definition und am Selbstverständnis wird sich nichts ändern.

Schlußendlich reduziert sich die Frage nach Extrem und Mitte schlicht auf die Macht, diese Definition durchzusetzen. In einem Handlexikon zur Politikwissenschaft heißt es dazu ganz offen von Manfred Funke, einem Vertreter dieses Ansatzes: »Üblicherweise bezeichnet sich kein Extremist als Extremist. Er erhält vielmehr dieses Werturteil zugewiesen von den Inhabern der Definitionsherrschaft über die zentralen Standards einer Gesellschaftsordnung, die ihre Bestandsgefährdung zurückweist, indem sie den vermuteten bzw. erkannten Zerstörer der Basisstabilität als ›Extremisten‹ markiert und ihn damit von jeder unerwünschten Einflußnahme auszugrenzen versucht.«

Als Personen am rührigsten bei der Verbreitung des Extremismusansatzes sind sicherlich die schon erwähnten Politikwissenschaftler Uwe Backes und Eckhardt Jesse. Backes/Jesse geben seit 1989 das »Jahrbuch Demokratie & Extremismus« heraus, das teilweise über die Bundeszentrale für politische Bildung vertrieben wird. Die enge Verbindung des Extremismusansatzes und seiner Propagandisten mit dem Verfassungsschutz wurde kürzlich durch eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE dokumentiert. Hier räumte die Bundesregierung ein, daß das Bundesamt in den letzten Jahren öfter größere Teile der Auflage des Jahrbuches aufkaufte, um sie Journalisten, Bibliotheken, Wissenschaftlern und politischen Bildungseinrichtungen zur Verfügung zu stellen. Der Inlandsgeheimdienst versorgt also Meinungsbildner mit einem fragwürdigen wissenschaftlichen Ansatz: eine besondere Form der Querfinanzierung und politischen Propaganda.

Das durch die sächsische CDU dominierte Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung soll die Vergangenheit der DDR vor allem unter dem Blickwinkel des Totalitarismus untersuchen. Dieser Ansatz lag auch der Enquete-Kommission des Bundestages zur Aufarbeitung der DDR zugrunde. Das heißt, hier wird mittels der Totalitarismustheorie die DDR mit dem Nationalsozialismus verglichen. Die Funktion ist die nachträgliche völlige Diskreditierung der DDR als »Unrechtsstaat« und gleichzeitig, quasi als Nebeneffekt, eine Relativierung der Nazivergangenheit. Wenn DDR und »Nationalsozialismus« verglichen, sogar mit einem Begriff – eben totalitär – bezeichnet werden können, dann kann der Faschismus in Deutschland nicht so schlimm gewesen sein.


Immunisierung gegen Kritik

Die Immunisierung des liberalen Verfassungsstaates gegen jede Kritik ist eine zentrale Funktion der Extremismustheorie, die somit nicht zufällig vor allem im Rahmen des Verfassungsschutzes angesiedelt ist. Führende Vertreter dieser Theorie, wie Backes und Jesse, haben eine eindeutige Affinität zum rechten Konservatismus, publizierten etwa zusammen mit dem rechtsaußen stehenden Historiker Rainer Zitelmann und befürworten im Sinne eines politischen Gleichgewichts die Etablierung einer demokratischen Partei rechts von der Union. So ist es nicht verwunderlich, daß insbesondere die politische Linke im Zentrum der Wahrnehmung von Jesse oder Backes steht. Jesse, immerhin einer der wichtigen Berater der sächsischen Landesregierung, betont z.B. immer wieder, daß es bei der Auseinandersetzung mit der extremen Rechten keinesfalls zu einer Zusammenarbeit mit der extremen Linken kommen dürfte. So wurden von ihm natürlich die antifaschistischen Blockaden anläßlich der Nazidemo im Februar 2010 in Dresden verurteilt, weil sich hier »Linksextremisten« beteiligt hätten. Und natürlich lehnt er alle Bündnisse ab, in denen die zumindest in Ostdeutschland als echte Volkspartei existierende Linkspartei vertreten ist, weil auch sie von ihm als extremistisch bewertet wird.

Wir möchten noch einen Punkt dieser politischen Funktionalität der hier behandelten Theorien ansprechen, der für die alltägliche politische Auseinandersetzung und für die beschriebene Immunisierung des Staates gegen Kritik wichtig ist. Anknüpfend an einen Punkt der klassischen Totalitarismusdefinition, der die vermeintlich zentral gelenkte Wirtschaft »totalitärer« Syteme betrifft, gibt es eine Reihe von Vertretern neoliberaler Wirtschaftskonzepte, die jeglichen Eingriff des Staates in die Wirtschaft als Eingriff in die Freiheit interpretieren. Klassisch findet man diese Vorstellung bei marktradikalen Theoretikern wie Milton Friedman und Friedrich von Hayek. In diesem Verständnis bedeutet jeder Eingriff des Staates in den allein über den Markt zu regelnden Wirtschaftsprozeß einen Eingriff in die Freiheit der Marktteilnehmer und damit den Beginn einer »totalitären« Reglementierung. Der so formulierte Totalitarismusverdacht richtet sich jedoch nicht nur gegen die staatlich gelenkten Wirtschaften der sozialistischen Länder, sondern auch gegen die keynesianische Wohlfahrtspolitik bis in die siebziger Jahre. Eines von Hayeks Büchern, in denen er sich mit dem Keynesianismus auseinandersetzt, hat den bezeichnenden Titel »Weg in die Knechtschaft«.

Es zeigt sich, daß schon eine grundsätzliche Kritik am vorherrschenden Wirtschaftsmodell des liberalen Staates mit dem Extremismus- bzw. Totalitarismusverdacht belegt werden kann. Das bekommt auch die Partei DIE LINKE bei der jährlichen Vorstellung des Verfassungsschutzberichts zu spüren. Neben der wahllosen Aneinanderreihung von inkriminierten Zitaten wird hier besonders auf die von der LINKEN geforderte Transformation des kapitalistischen Wirtschaftssystems verwiesen. Ja, es wird gar eine unauflösliche Verbindung von kapitalistischer Marktwirtschaft und parlamentarischer Demokratie behauptet, womit das kapitalistische Wirtschaftssystem in den Rang eines Verfassungsgebots gehoben wird. Daß das Grundgesetz gerade keine bestimmte Wirtschaftsverfassung vorsieht und insofern den Weg zu einer sozialistischen Transformation nicht versperrt, wird von den Adepten des Extremismusansatzes bewußt ignoriert. Es handelt sich mithin um den Versuch, jegliche Kritik am kapitalistischen Wirtschafssystem zu diskreditieren und potentiell zu kriminalisieren. Allein aus diesem Grund darf es keinerlei positiven Bezug auf diesen Ansatz von links geben.

Ulla Jelpke ist innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag. Gerd Wiegel ist Fachreferent für Rechtsextremismus/Antifaschismus der Linksfraktion