S 21 „Die Demonstranten waren zutiefst friedlich"

Erstveröffentlicht: 
07.12.2010
Schlossgarten. Agierte die Polizei verhältnismäßig? Die Kritiker sagen Nein. Von Reiner Ruf

 

Der Polizeieinsatz im Stuttgarter Schlossgarten ist nach Auffassung von Sigrid Klausmann-Sittler völlig aus dem Ruder gelaufen. Die Ehefrau des Schauspielers und Stuttgart-21-Gegners Walter Sittler sagte gestern vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags aus: „Ich dachte, das ist wie Krieg." Klausmann-Sittler hatte am 30. September an dem Protest gegen den Baumfälleinsatz teilgenommen und war selbst von einem Wasserwerfer getroffen worden. „Der Wasserstrahl erwischte mich mit voller Wucht am Rücken", berichtete sie. „Ich wurde nach vorne katapultiert und war pudelnass." Noch nach Tagen habe sie unter Rückenschmerzen gelitten.

Für die Zeugin Klausmann-Sittler stellt sich der Polizeieinsatz als unverhältnismäßig dar, zumal die Demonstranten nach ihrer Beobachtung „zutiefst friedlich" agiert hätten. Anders hingegen die Polizei. So habe sie einen Demonstranten gesehen, der auf dem Boden lag und von einem Polizisten mit dem Schlagstock traktiert worden sei. Einem anderen Mann „ist das Blut vom Kopf heruntergelaufen". Auf die Frage des Abgeordneten Ulrich Müller (CDU) nach ihrer Einschätzung der Rechtslage im Schlossgarten antwortete die Zeugin: „Ich sehe die rechtliche Situation so, dass ich blockieren und sitzen kann, dann vielleicht weggetragen werde und dafür eine Verwarnung bekomme und etwas zahlen muss." Auf die Frage, ob die Menge mehrfach aufgefordert worden sei, den Weg frei zu machen, sagte sie, dies könne sie bestätigen. „Das habe ich mehrfach gehört." Sie sei weggegangen, aber nicht wegen der Aufforderung der Polizei, sondern aus Angst vor dem Wasserwerfer.

Der von den Regierungsfraktionen bestellte Sachverständige Thomas Würtenberger, Staatsrechtsprofessor an der Universität Freiburg, schloss vor dem Untersuchungsausschuss aus, dass es sich bei den Protesten im Schlosspark um eine Spontandemonstration gehandelt habe. Diese Feststellung ist aus Sicht der Regierungsmehrheit wesentlich, weil die Polizeiführung ihr Vorgehen mit dem Polizeigesetz begründet. Der Stuttgarter Polizeipräsident und Einsatzleiter Siegfried Stumpf hatte vor dem Untersuchungsausschuss geltend gemacht, der Protest im Schlossgarten könne sich nicht auf das Versammlungsrecht nach Artikel acht des Grundgesetzes berufen. Stumpf sprach vergangene Woche von „Verhinderungsblockaden", denen sich die Polizei ausgesetzt gesehen habe. Dieser Ansicht schloss sich gestern Würtenberger an. Die Blockaden seien nach dem Platzverweis durch die Polizei nicht nur rechtswidrig, sondern auch unfriedlich gewesen.

Zugleich räumte der Staatsrechtler aber ein, dass das bloße Sitzen und Sichwegtragen lassen laut Bundesverfassungsgericht keine Nötigung darstelle. Wenn durch die Sitzblockade mehrere Fahrzeuge hintereinander am Weiterkommen gehindert würden, sei dies rechtswidrig, aber noch nicht unfriedlich, sondern tatsächlich in einem „Zwischenbereich".

Der Mannheimer Polizeikommissar Thomas Mohr sagte vor dem Untersuchungsausschuss, er habe als Führer einer Einsatzgruppe keine gewalttätigen Demonstranten beobachten können. „Das war für mich eine ganz normale Bürgerschaft" - ganz anders, als er das von Einsätzen bei Fußballspielen oder von anderen Demonstrationen kenne. Das Vorgehen der Polizei war nach seiner Wahrnehmung auch nicht von Deeskalation geprägt: „Wir sind am 30. 9. von null auf dreihundert hochgefahren." Den Einsatz von Wasserwerfern habe er zuletzt in den 1990er Jahren bei den Kurdenprotesten erlebt. Intern habe man in der Polizei nach dem Schlossgarteneinsatz diskutiert, es müsse Druck auf die Polizeiführung in Stuttgart vorhanden gewesen sein. Wenn Polizeipräsident Stumpf aber sage, er habe die Entscheidungen allein getroffen, so glaube er ihm.

Matthias von Herrmann, der Sprecher der Parkschützer, warf der Polizei vor, sie habe zu Beginn des Einsatzes versucht, die Demonstranten zu provozieren. Schüler seien von Polizisten in Zivil, deren Leuchtwesten mit der Aufschrift „Polizei" von Parkas teilweise verdeckt waren, grundlos herumgeschubst worden. Dies hatte auch der Krimiautor Wolfgang Schorlau beobachtet. Sein Eindruck: „Da sollte eine Schlägerei provoziert werden, um Bilder der Gewalt zu erzeugen." Am Schlimmsten wertete er den Wasserbeschuss auf Schüler, die auf Bäume geklettert waren. „Das hätte Tote geben können", sagte Schorlau. Er selbst wurde mit Pfefferspray attackiert und bekam einen Schlag auf den Hinterkopf.