Vom Rabatt ein paar Prozent

DER SPIEGEL 12/1991
Erstveröffentlicht: 
18.03.1991

Deutschlands feinster Industriekonzern beschäftigt die Staatsanwaltschaft. Über 100 Fahnder schleppten Akten aus Büros und Privatwohnungen von Daimler-Benz-Managern. Der Verdacht: Der Konzern soll illegal Militärfahrzeuge ins Ausland verkauft, leitende Mitarbeiter sollen ungerechtfertigt Provisionen eingestrichen haben.

 

Es waren schwere Zugmaschinen ganz besonderer Art, insgesamt 20 Stück, die Deutschlands führender Industriekonzern an den Irak lieferte: Sattelschlepper mit Tiefladern, ausgerüstet für den Transport von 75 Tonnen und mehr. Noch im Juli vergangenen Jahres gingen die letzten der 20 bestellten Schwerlaster, Typ MB 3336/A, in Richtung Bagdad.

Bei einem Daimler-Geschäftspartner, der Firma Marrel in Wülfrath, waren die Tieflader für eindeutige Zwecke umgerüstet worden. Die Acht-Achser, auf denen sich natürlich auch harmlose Baufahrzeuge transportieren lassen, wurden von den Stuttgartern ohnehin als Panzertransporter angeboten; in Wülfrath aber erhielten sie darüber hinaus eine Sonderausstattung - die Tieflader wurden für den Transport von Raketen präpariert.

Ganz offensichtlich war es ein Geschäft mit Kriegsgerät, für das eine Ausfuhrgenehmigung des Bundesamts für Wirtschaft in Eschborn erforderlich gewesen wäre. Diese Genehmigung lag nicht vor: Für die Daimler-Leute waren es einfach Tieflader, die sie an das Saddam-Regime lieferten, ausgerüstet für ein "Projekt 144".

Daß hinter dem harmlos klingenden Namen mehr steckte, hätte auch das Management erfahren können: "Projekt 144", so fanden die Nachrichtendienste heraus, war die Tarnbezeichnung für Scud-Raketen, jene Waffen, die der Despot Saddam Hussein im Golfkrieg auf Israel und Saudi-Arabien abfeuern ließ.

Die Erkenntnis alarmierte Fahnder, die bereits vor Monaten bei einem Besuch der Firma Marrel entdeckt hatten, daß Daimler-Transporter in Wülfrath militärisch aufgerüstet wurden. Die Wuppertaler Staatsanwaltschaft hat mittlerweile gegen Marrel ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die recherchierenden Experten nutzten die Gelegenheit, um sich weitere Beweise zu verschaffen - die großangelegte Daimler-Aktion der Stuttgarter Staatsanwaltschaft in der vergangenen Woche.

Den ganzen Tag über, am Donnerstag der vergangenen Woche, waren mehr als 100 Staatsanwälte, Zoll- und Steuerfahnder sowie Kripobeamte im Einsatz. Sie durchsuchten Büros der Daimler-Zentrale in Untertürkheim und die Wohnungen mehrerer leitender Mitarbeiter des Stuttgarter Konzerns. Es war eine der spektakulärsten Aktionen, die sich je gegen ein Unternehmen dieser Größenordnung und dieses Ansehens richteten, und sie bringt den Daimler-Konzern in ein böses Licht.

Der Verdacht der Staatsanwälte: Zum einen sei das Unternehmen Daimler-Benz in illegale Waffengeschäfte mit Ländern in Spannungsgebieten verstrickt. Zum anderen hätten sich, mit gänzlich anderen Geschäften, mehrere leitende Mitarbeiter persönlich bereichert: Ein paar Gleichgesinnte auf den obersten Etagen des größten und angesehensten Industrieunternehmens der Bundesrepublik sollen Millionen von Mark über Jahre hinweg von - zumeist ausländischen - Geschäftspartnern als "Kickbacks" erhalten haben, als eine Art Provision für die Vermittlung von Geschäften, bei denen Außenstehende ungerechtfertigt verdienten.

Ganz systematisch hätten leitende Daimler-Mitarbeiter auf Kosten des Unternehmens Gelder abgezweigt. Und, noch toller: Die Fahnder suchen auch nach einer Wohnung, die eigens dafür angemietet worden sei, verräterische Unterlagen - insbesondere Belege über die Provisionszahlungen - aufzubewahren. Eine Mitarbeiterin, deren Name die Staatsanwälte kennen, soll den Schlüssel zu der Wohnung aufbewahren.

Die Strafverfolger waren anonym mit Informationen gespickt worden. Eine Anzeige, die dem SPIEGEL vorliegt, führt über zehn Schreibmaschinenseiten vielerlei brisante Details aus. Die Einzelheiten lassen keinen Zweifel daran, daß der Informant auf der Leitungsebene des Konzerns arbeitet. Der Stuttgarter Oberstaatsanwalt Klaus Bieneck: "Der Inhalt ist so konkret, daß wir nach der Strafprozeßordnung gezwungen waren, die Verfolgung einzuleiten."

"Sie können mir die rechte Hand abhacken, wenn ich je in solche Geschäfte verwickelt war", sagt Werner Niefer, Chef von Mercedes-Benz, des Automobilbereichs im Daimler-Konzern. Auch Niefer war in Presseberichten der vergangenen Woche in den Verdacht geraten, zu den Leuten zu gehören, die heimlich kassierte Gelder unter sich aufgeteilt haben sollen.

"Alles, was die Staatsanwälte bei mir im Büro mitgenommen haben", so der Mercedes-Chef, "kann nur beweisen: Der Niefer hat damit nichts zu tun."

Daß der Konzern vor der Annexion Kuweits Lkw in den Irak geliefert hat, bestreitet auch Niefer nicht. Doch Mercedes-Benz hat sich stets darauf berufen, daß für normale Fahrzeuge - die also nicht eindeutig für militärische Zwecke umgerüstet sind - keine Genehmigung nach dem Außenwirtschaftsgesetz erforderlich ist.

Die Zollfahnder, die in der vergangenen Woche an der Massen-Durchsuchung teilnahmen, waren jedoch so erfolgreich, daß Niefer und seine Leute ein paar neue Erklärungen brauchen werden. Die schon zuvor bei Daimler-Partner Marrel sichergestellten Unterlagen belegen deutlich, daß die nach Bagdad exportierten Tieflader für das "Projekt 144" umgerüstet wurden - als mobile Abschußrampen für Scud-Raketen.

So erhielten die Tieflader hydraulische Stelzen, die dem Fahrzeug Standfestigkeit geben. Darüber hinaus wurden die Zugmaschinen und Tieflader mit Einrichtungen bestückt, die eine Rakete aus der Waagerechten in Schräglage oder in die Senkrechte bringen können. Selbst technische Zeichnungen der Raketen auf den Daimler-Fahrzeugen waren in Wülfrath vorhanden.

Die Fahnder hoffen nun, aus den beschlagnahmten Unterlagen weitere Belege für dunkle Waffengeschäfte des Konzerns zu finden - schließlich haben sie am Donnerstag zentnerweise Material abgeschleppt.

Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft hat sich bislang als nicht gerade übereifrig erwiesen, wenn es um den größten Steuerzahler der Region, den Daimler-Konzern, ging. So wollte ein Staatsanwalt das Verfahren wegen eines noch weitgehend ungeklärten Verkehrsunfalls in Rom, den Werner Niefer verursacht hatte, gegen eine Geldbuße von 60 000 Mark einstellen.

Ein Richter lehnte dies ab, gewiß kein alltäglicher Vorgang in der deutschen Justiz (SPIEGEL 3/1991). Erst nach Anzeigen von Privatpersonen, die sich auf diesen Bericht bezogen, wurde nun ein Ermittlungsverfahren gegen jenen Staatsanwalt eingeleitet, der Niefer mit einer für dessen Einkommen bescheidenen Geldbuße davonkommen lassen wollte.

Ihre lange praktizierte Zurückhaltung hatten die Staatsanwälte erstmals vor gut drei Wochen aufgegeben. Sie durchsuchten Büro und Privathaus von Mister Mercedes, wie Werner Niefer sich gern nennen läßt.

Niefer steht gemeinsam mit seiner Frau Vera im Verdacht, "in nicht unerheblichem Maße Steuern hinterzogen zu haben" (Oberstaatsanwalt Johannes Häcker). Aus Daimler-Kassen soll ein Teil des aufwendigen Aus- und Umbaus der Nieferschen Privatvilla auf dem Stuttgarter Killesberg bezahlt worden sein.

Das Unternehmen soll nicht nur die schußsicheren Fenster, sondern auch den Einbau von Kaminen finanziert haben. Der Hausherr aber habe den geldwerten Vorteil beim Fiskus nicht angemeldet.

Noch härter schlugen die Strafverfolger dann nach der anonymen Anzeige aus der vorvergangenen Woche zu. Eile war geboten.

Aus dem Lkw-Werk in Wörth - so der Informant - sollten Sattelzugmaschinen samt dazu gehörenden Tiefladesattelanhängern (75 Tonnen Nutzlast) zum Gesamtpreis von über 35 Millionen saudischen Riyal (umgerechnet etwa 15 Millionen Mark) nach Saudi-Arabien verschifft werden.

Der Schiffsraum für die schwere Fracht, hieß es, sei schon gebucht. Bei diesen Fahrzeugen handele es sich eindeutig um Panzertransporter. Eine Genehmigung für den Export militärischer Fahrzeuge aber liege bei Daimler-Benz nicht vor.

Bei ihrer Durchsuchungsaktion im Lkw-Werk Wörth entdeckten die Fahnder in der Tat die 17 Zugmaschinen, fertig für den Export. Und sie fanden in Angebotskopien für Riad und in anderen Geschäftsunterlagen mehrfach den Hinweis "Non-Civilian-Version".

Einen ähnlichen Hinweis auf die militärische Version der Daimler-Transporter fanden die Ermittler auch auf Unterlagen über einige Dutzend bereits abgewickelte Exportgeschäfte mit Ländern im Nahen Osten. Aus den Akten ging ferner hervor, daß viele der Schwertransporter in der Schweiz bei der Firma Arbon & Wetzikon AG (NAW) mit Hydraulik und anderen Spezialeinrichtungen ausgerüstet wurden.

An der NAW ist neben der Schweizer Rüstungsschmiede Oerlikon-Bührle auch Daimler-Benz mit 40 Prozent beteiligt. Es handelt sich um eine Firma für die Herstellung von schweren Spezialfahrzeugen und Panzerteilen.

Für die geplante Lieferung der Tieflader an Saudi-Arabien hat der Konzern eine Erklärung parat. Der Auftrag, so Vorstandsmitglied Helmut Werner am Freitag vergangener Woche, sei im Auftrag der Alliierten eingegangen, die gegen Saddam Hussein kämpften. Die erste Anfrage habe Daimler im Dezember 1990 erhalten.

Mercedes habe die Auflieger für die Sattelfahrzeuge - die eindeutig Kriegsgerät sind - bei einem französischen Unternehmen (der Firma Lohr) bestellt. Das französische Unternehmen habe die Exportgenehmigung für die Auflieger dann von der französischen Regierung nach Anfrage erhalten. "Aus der damaligen französischen Sicht war das sehr verständlich", so Werner, der bei Daimler den Nutzfahrzeugbereich betreut. "Die Franzosen waren ja sehr involviert in der Golfregion."

Die Mercedes-Benz AG trat dann, laut Werner, "aufgrund der kritischen Situation" am 8. und am 11. März an das Bundeswirtschaftsministerium heran und fragte an, wie das Ministerium die mögliche Lieferung solcher Fahrzeuge zu beurteilen gedenkt. Am 14. März sei die Antwort dann in Stuttgart eingegangen - am Tag der Durchsuchung also.

"Mit Wirkung vom 14. 3. 1991 werde der Export von Sattelzugmaschinen nach Saudi-Arabien möglicherweise genehmigungspflichtig", verlas Werner die Mitteilung des Ministeriums. Das heißt, bis zum 13. März war das Geschäft nicht genehmigungspflichtig, so die weitere Interpretation des stellvertretenden Mercedes-Chefs.

Die Auseinandersetzung zeigt, in welche Schwierigkeiten Daimler durch seine Rüstungsgeschäfte kommt. Ob der Export der Daimler-Fahrzeuge genehmigungspflichtig sei, so ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums in Bonn, sei nicht klar - Geschäfte im Zwielicht also.

Seit der deutsche Rüstungskonzern Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB) 1989 unter den Stern von Daimler-Benz geriet, arbeitet der früher so bodenständige Automobilkonzern auf vermintem Gelände. Die jüngste Fahndung im Konzern läßt ahnen, wie rasch das angesehene Unternehmen beschädigt werden kann.

Allzu bereitwillig haben sich die Daimler-Leute besonders auf Geschäfte mit dem unberechenbaren Diktator in Bagdad eingelassen. Nach der internationalen Entrüstung über die deutsche Beteiligung an der Giftgasproduktion muß Daimler sich nun massive Kritik an seiner Hilfe für die militärische Aufrüstung des Irak gefallen lassen.

Die Daimler-Tochter MBB hat sich als vielseitiger Helfer der Iraker erwiesen. Das Angebot reichte von im Ausland aufgerüsteten Hubschraubern bis zur Beteiligung an der Entwicklung des 1,6-Milliarden Mark teuren Militärforschungszentrums in Mosul. Auf Umwegen gelangten sogar MBB-Studien über eine hochgefährliche Waffe mit der Sprengkraft einer kleinen Atombombe, der FAE-Bombe, nach Bagdad.

Selbst wenn die Iraker Raketen aus Bayern erhielten, waren die Geschäfte - selbstredend - völlig legal. Über die 1972 gegründete Verkaufsgesellschaft Euromissile (MBB-Anteil: 50 Prozent) kaufte Saddam rund 10 000 Panzerabwehr-Raketen der Systeme "Hot" und "Milan", sowie 1050 "Roland"-Flugabwehr-Raketen.

Ganz so störungsfrei wie früher werden solche Geschäfte in Zukunft, so scheint es, nicht mehr ablaufen. Die Sensibilität wächst allenthalben. Das Bonner Wirtschaftsministerium - nicht Bundespräsident Richard von Weizsäcker wie berichtet - bat vor der deutschen Industriemesse in Seoul die Daimler-Tochter Dasa, das Modell eines Tornado-Kampfflugzeugs vom Stand zu entfernen.

Nervig für die Manager aus Untertürkheim sind auch die vielen Mahnwachen der Rüstungsgegner, die seit Januar vor Daimler-Filialen aufkreuzen. Konzernchef Edzard Reuter ging deshalb im Februar in die Offensive.

Kein wirtschaftliches Thema in der Bundesrepublik sei, so Reuter, "mit mehr Heuchelei, Feigheit und Opportunismus durchsetzt" als der Rüstungsexport. Politiker sollten "zu ihrer eigenen Verantwortung stehen und sich nicht in die Büsche schlagen, sobald ein derartiges Thema in die Schlagzeilen gerät".

Vergangenen Monat informierte erstmals die Konzernleitung die Mitarbeiter in einem dreiseitigen Sonder-Info über die Daimler-"Standpunkte zur aktuellen Diskussion um den Export sensibler Güter".

Frühere Lieferungen an den Irak "erfolgten danach mit vollem Wissen der politisch Verantwortlichen und im Rahmen der gesetzlichen Regelungen". Sicherlich sei es aber richtig, so die Daimler-Information, "daß man aus dieser Erfahrung lernen und genau Überlegungen anstellen muß, wie denn eine verantwortungsvolle Exportpolitik auszusehen hat".

Bei all dem gerät ein wenig aus dem Blick, daß selbst die Fahrzeugsparte des Konzernriesen seit Jahren in zweifelhafte Rüstungsaktivitäten verwickelt ist. Exakt zählen die Daimler-Manager in internen Statistiken ("Lieferungen Mil. Fahrzeuge") auf, wieviel sie an die Armeen in aller Welt geliefert haben. Danach wurden von 1976 bis 1986 genau 12 645 militärische Fahrzeuge in den Iran verkauft, der Kriegsgegner Irak erhielt 6737 Geländewagen, Unimogs und Armeelaster. Libyen bekam 7460 Wagen, und in das Krisengebiet Pakistan gingen 6648 militärische Fahrzeuge.

Daß gerade Exportgeschäfte, bei denen immer ein Teil im dunkeln bleibt, bedenkenlose Mitarbeiter geradezu herausfordern, sich dabei selbst zu bedienen, ist zumindest naheliegend. Die Staatsanwaltschaft jedenfalls suchte in der vergangenen Woche nicht nur nach Belegen für illegale Rüstungsgeschäfte. Sie ging auch dem Verdacht persönlicher Bereicherung einzelner Daimler-Leute nach.

Allein bei dem jüngsten geplanten Geschäft mit Saudi-Arabien sollen heimliche Provisionszahlungen von 3,5 bis 4 Millionen Mark fällig werden. Es geht um die Lieferung der 17 Sattelschlepper, die das saudische Verteidigungsministerium bestellt hat. Die Tieflader sind für den Panzertransport umgerüstet.

Die Provisionen soll sich, einer in Stuttgart vorliegenden Anzeige zufolge, ein ganzer Klub von Daimler-Mitarbeitern mit saudischen Partnern teilen. Zu diesem Klub sollen demnach insbesondere führende Männer des Vertriebs gehören: etwa Peter Fietzek, stellvertretender Vorstand bei Mercedes-Benz, zuständig für den Vertrieb Nutzfahrzeuge, oder Eberhard Herzog, stellvertretender Mercedes-Vorstand, zuständig für den Vertrieb Pkw. Mehrere weitere Vertriebsleute - Hauptabteilungsleiter, Abteilungsleiter - sollen ebenfalls dabeisein.

Er könne sich nicht vorstellen, sagt Mercedes-Benz-Chef Niefer, daß Daimler-Mitarbeiter stille Provisionen kassierten: "Die müßten ja Tinte gesoffen haben."

Ein anderer Insider dagegen meint, es gebe "im Vertrieb hundert Möglichkeiten, in die eigene Tasche zu wirtschaften". Und zumindest einer dieser Möglichkeiten gehen die Staatsanwälte jetzt nach.

Daimler-Mitarbeiter, so die These der Fahnder, könnten ihr internes Wissen um Kalkulationen und Preise Außenstehenden zugänglich gemacht haben. In das Geschäft mit Personenwagen oder Lkw sind bei Mercedes oft sogenannte Berater ("Consultants") eingeschaltet, die für bestimmte Kunden im Ausland Fahrzeuge kaufen.

Der Consultant kann beispielsweise für Daimler nach Saudi-Arabien Fahrzeuge vermitteln. Er verlangt einen Rabatt von 10 oder 15 Prozent, weil der Importeur angeblich auf diesem Abschlag besteht. Der Consultant erhält diesen Rabatt, verkauft den Wagen aber zum vollen Preis an seinen Kunden. Sein Kontaktmann im Daimler-Vertrieb weiß das, macht aber mit, weil er von den abgezweigten 10 oder 15 Prozent etwas abbekommt.

So ähnlich könnte es nach Ansicht der Fahnder bei dem jüngsten Geschäft mit Saudi-Arabien geplant gewesen sein. "Ein Kinderspiel", meint ein Insider.

Daß sich nicht nur bei Rüstungs-Deals nebenbei etwas verdienen läßt, haben findige Geschäftemacher bei Daimler längst bewiesen. Der Fahrzeughandel auf dem "grauen Markt", also außerhalb der offiziellen Vertriebskanäle, hat einige Leute reich gemacht.

Seit langem schon hegen Zollfahnder den Verdacht, daß jährlich mehrere tausend Mercedes-Fahrzeuge weltweit auf grauen Märkten verschoben werden. Beteiligt sind dabei nicht nur einige Händler mit zweifelhaftem Ruf.

Der Schacher ist nach Ansicht von Experten in diesen Ausmaßen nur möglich, weil Mercedes-Manager mithelfen und mitverdienen. Nur einige kleine Schiebergeschäfte konnten bislang aufgedeckt werden. Welche Dimensionen die Kungeleien mit Mercedes-Modellen wirklich haben, blieb bislang verborgen.

Wie solche Geschäfte ablaufen, zeigt der Fall Juan Vicens. Der gebürtige Spanier war jahrelang bei Daimler-Benz als Gruppenleiter (interner Aufgabenbereich EX 7 A) für den Verkauf in einigen afrikanischen Ländern wie ZaIre und Burundi zuständig. Bei seinen dunklen Geschäften bewies Vicens viel Einfallsreichtum und eine gehörige Portion Chuzpe.

Wichtige Voraussetzung für die obskuren Geschäfte war stets, daß die Importeure in Übersee weit mehr Fahrzeuge bestellten, als sie selbst absetzen konnten.

Diese Übermengen schleuste Vicens dann in andere Länder, die von Mercedes-Benz nur unzulänglich versorgt wurden. Seine Geschäftspartner waren einige Graumarkthändler.

In der Bundesrepublik haben sich seit vielen Jahren rund 50 bis 60 solcher Händler etabliert. Was einige von ihnen absetzen, könnte sogar manchen Vertragshändler vor Neid erblassen lassen. Spitzenverkäufer der grauen Branche bringen es schon mal auf 300 Fahrzeuge im Jahr.

Unverzichtbar ist dabei immer ein Partner bei Daimler, ein Mann wie Vicens. Er habe sich, schrieb Vicens beispielsweise am 12. Juni 1988 an einen süddeutschen Graumarkthändler, aus seinem afrikanischen Kontingent "ein paar Pkws" reservieren lassen. "Melden Sie sich bald, wenn Sie Interesse haben."

Neben den Dienstgeschäften wickelte Vicens am Schreibtisch in der Stuttgarter Daimler-Zentrale nebenbei auch seine privaten Mercedes-Geschäfte ab - per Telefon. Den schriftlichen Teil erledigte Vicens daheim.

Als Absender wählte der Mann mit dem ausgeprägten Geschäftssinn den Decknamen Harrogate oder den Namen der Firma Impcar SA, die offiziell in Barcelona residiert und an der Vicens mitverdient. Gelegentlich wurde auch schon mal Vicens Ehefrau unter ihrem Mädchennamen Burow aktiv.

"Mme. Burow", wie sie sich auf den Telefaxen zuweilen nannte, zeigte sich in Gelddingen besonders penibel. Sie habe, schrieb sie einem Graumarkthändler im Juni 1988, von ihm einen Scheck erhalten, "leider stimmen die Beträge nicht mit meiner Kalkulation überein".

Für die Vermittlung von einem 300 SEL, einem 560 SEL und zwei Mercedes vom Typ 500 SEL hatte der Händler am 23. Mai 1988 einen Scheck über den Betrag von 5923 Mark ausgestellt - zuwenig, wie Frau Vicens befand. Bei der von Vicens geforderten Provision von zwei Prozent des Listenpreises fehlten noch 1037,93 Mark.

Das Geschäft gedieh prächtig, so daß der Spanier bald ein Prozent mehr Kickback verlangte. Wie ein Händler plante Vicens bereits im September den Absatz für das kommende Jahr.

"Morgen bekomme ich", so hieß es beispielsweise in einem Telefax an einen Händler mit dem Decknamen Cartouche, "wieder Besuch (Vertretungen aus Afrika)". Da die Zeit "bei mir bis zum Urlaub sehr knapp wird", mahnte der Mercedes-Mann unter seinem Tarnnamen Harrogate, müsse er mit dem Händler dringend die Jahresplanung 1989 besprechen und die "Rabatt-Gruppen und Zahlungsziele der zu entrichtenden NA's festlegen" - mit NA sind "Nützliche Abgaben" gemeint, wie die diskrete Umschreibung von Schmiergeldern lautet.

Entsprechend den Absatzplanungen von Vicens und seinen Abnehmern gaben dann Importeure ihre Bestellungen für das kommende Jahr im Werk ab. Es war ein lohnendes Geschäft auch für sie. Auf Mercedes-Limousinen im Ausland werden Rabatte von bis zu 15 Prozent gewährt.

Bei den von Vicens verschobenen Mengen war der Nebenverdienst, steuerfrei versteht sich, in manchem Monat erheblich höher als das Mercedes-Salär. In nur einer Woche im Juli 1988 stellte Harrogate seinem Abnehmer Cartouche für sechs gelieferte Mercedes (Typ 300 SEL bis Typ 560 SEL) 10 850,45 Mark an Provision in Rechnung.

Der schwunghafte Autohandel war für Vicens mitunter schon eine nervenaufreibende Angelegenheit. "Nehmen Sie es mir bitte nicht übel", telexte er beispielsweise an einen Abnehmer, "aber die paar Idioten im Werk lassen mir keine Ruhe. Gestern war sogar Frl. Neuschäfer wieder da und mahnte, wann dieser Wagen abgeholt wird."

Den Vorgesetzten des tüchtigen Mercedes-Mannes kann nicht verborgen geblieben sein, daß Vicens den grauen Markt bediente. So viele Limousinen, wie er verkaufte, wären in Burundi oder ZaIre niemals abzusetzen gewesen.

Auch aus Vicens' Bestell-Listen geht eindeutig hervor, daß die Fahrzeuge nicht für den afrikanischen Markt vorgesehen waren. Sie hatten weder Spezialfilter noch die besonderen Federungen, die dort nötig sind. Manche Fahrzeuge wurden sogar mit tiefer gelegten Fahrwerken bestellt, für Autos auf afrikanischen Straßen keine empfehlenswerte Ausstattung.

In den besten Vicens-Jahren bei Daimler-Benz boomte der japanische Markt für deutsche Luxuslimousinen. Da die Stuttgarter damals in Japan über kein eigenes Vertriebsnetz verfügten, konnten sie selbst nicht genügend Fahrzeuge hinüberschaffen. Die Nebengeschäfte von Mitarbeitern dürften da nicht ungelegen gewesen sein.

Vicens mußte bald darauf dennoch gehen. Der Zoll war auf einige seiner dubiosen Exportgeschäfte aufmerksam geworden, da ließ Mercedes ihn fallen. Vicens bekam eine Abfindung und wechselte die Seiten: Er wurde Graumarkthändler, natürlich mit Partner in der Zentrale.

In Untertürkheim arbeiten nach Ansicht der Ermittler viele Daimler-Leute nach der Vicens-Methode. Sollten die Staatsanwälte aus den in der vergangenen Woche beschlagnahmten Papieren neue Belege für derartige Praktiken finden, müßte im Konzern das große Aufräumen beginnen.

Noch beruht die spektakuläre Ermittleraktion der vergangenen Woche für Daimler-Sprecher Matthias Kleinert nur auf "unglaublichen Unterstellungen". Doch die Vorwürfe wegen Lieferung militärischer Ware in den Osten sind so massiv, daß nun Daimler-Benz stichhaltig beweisen muß, daß alles - wie Kleinert sagt - "rechtmäßig und legal" zuging.

Konzernchef Reuter hat bereits angedeutet, wie darüber hinaus künftig die lästigen Debatten um Rüstungsgeschäfte vermieden werden könnten: Er verlangt eine europaweite Regelung der Exportkontrolle bei Waffenlieferungen. Damit aber ist lediglich die Verantwortung weitergeschoben - eine solche Regelung wird es in wirkungsvoller Form mit Briten, Franzosen und Italienern kaum geben.

Die Vorwürfe, daß sich an den umstrittenen Rüstungsgeschäften nun zu allem Ärger auch noch leitende Daimler-Leute bereichert hätten, wischt Kleinert vorerst noch mit schwerer Entrüstung und leichter Hand beiseite. Anonyme Anzeigen, so Sprecher Kleinert, hätten nur das Ziel, Mercedes-Benz-Chef Niefer in Mißkredit zu bringen.

Schwere Zeiten in jedem Fall für den bulligen Mercedes-Lenker. Ein Leben lang ist es bei dem Schwaben immer nur bergauf gegangen. Im vorvergangenen Jahr, mit der Berufung zum Chef der Daimler-Autotochter Mercedes-Benz, war der Gipfel erreicht.

Doch dann ging es Schlag auf Schlag - der Busunfall in Rom mit dem häßlichen Nachspiel in Stuttgart, die Steuerfahnder in der heimischen Wohnstube, und nun die massive Aktion der Staatsanwaltschaft.

Anlaß für Niefer, 62, womöglich in Kürze in den nicht ganz freiwilligen Vorruhestand überzuwechseln? Niefer, der Kämpfer, sagt, er denke gar nicht daran zurückzutreten. Jetzt schon gar nicht. "Das sähe ja aus, als wäre ich schuldig."


DER SPIEGEL 12/1991