Ärger wegen Vortrag
Linke wollen den Politologen Jesse nicht an der Uni haben
Zahlreiche linke Gruppen haben etwas gegen einen Vortrag des Politikwissenschaftlers Eckhard Jesse in der Universität. Sie fordern die Ausladung des 62-jährigen Extremismusforschers.
Jesse, der an der er Technischen Universität Chemnitz lehrt, 
soll am Mittwoch, 10 November, 20.15 Uhr in Hörsaal 1015 auf Einladung 
des Studium Generale und der Katholischen Akademie der Erzdiözese zum 
Thema "Politischer Extremismus – was ist harter, was ist weicher 
Extremismus?" sprechen.
Jesses Gegner werfen den Veranstaltern vor, "einen ungeheuerlichen Akt 
von Geschichtsrevisionismus" zuzulassen: Der Rahmen einer Veranstaltung 
zum Gedenken an Verfolgte des Naziregimes werde dazu missbraucht, gegen 
die Partei Die Linke zu hetzen und diese mit der NPD "in ein und 
dieselbe extremistische Ecke" zu stellen. Zudem sei Jesse auch als 
Person untragbar, weil er für die Zeitschrift "Mut" arbeite und sich 
antisemitisch äußere.
Jesses Vortrag ist Teil einer Vortragsreihe zum Ausstellungsprojekt 
"Deportation nach Gurs 1940. Das Schicksal der Badener jüdischen 
Glaubens in der Nazi-Zeit". Die Aufforderung zu Jesses Ausladung ist 
unterzeichnet von elf linken Gruppierungen, darunter der 
Linke-Kreisverband, die DGB-Hochschulgruppe, die Verdi-Jugend Südbaden 
und die Studierendenvertretung Usta der Pädagogischen Hochschule. Auch 
in der Vollversammlung der Studierenden der Universität am 
Donnerstagabend wurde mit großer Mehrheit ein Antrag contra Jesse 
verabschiedet.
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Der parteilose Jesse, nach eigener Aussage Anhänger Helmut Schmidts und 
Doktorvater vieler Sozialdemokraten, war vom Bundesverfassungsgericht 
ehemals als Gutacher im NPD-Verbotsverfahren vorgesehen und Vorsitzender
 der Deutschen Gesellschaft für Politikwissenschaft. Gegen die nun 
erhobenen Vorwürfe verwahrt er sich entschieden, auch wenn sie ihn nicht
 überraschen: "Ich bin ja Extremismusforscher." Dass er die NPD für 
antidemokratisch halte, daraus habe er nie einen Hehl gemacht. Zwar 
vergleiche er Links- und Rechtsextremismus, aber er setze sie nicht 
gleich: "Dieser Vergleich polarisiert natürlich." Zu Jesses Kritikern 
zählt auch der renommierte Journalist Heribert Prantl ("Süddeutsche 
Zeitung"), der seine Bestellung zum NPD-Gutachter kritisierte und ihm 
vorwarf, Rechtsextremismus zu bagatellisieren. Der einstige 
"Süddeutsche"-Autor Jesse klagt darüber, dass er heute nicht mehr für 
die renommierte überregionale Tageszeitung schreiben dürfe. Was die 
Zeitschrift "Mut" betreffe, so sei diese in der Tat von 1971 bis 1983 
vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft worden, und das 
zurecht. Danach habe aber eine komplette Wandlung stattgefunden. Das 
Heft stehe heute für eine weltanschauliche Pluralität und habe namhafte 
Autoren, darunter zum Beispiel den Historiker Peter Steinbach, 
wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte deutscher Widerstand in 
Berlin, der Freiburger Staatsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde oder 
der 2009 verstorbene Lord Ralf Dahrendorf.
Jesse selbst bezeichnet sich gegenüber der BZ als "offenen, liberalen 
Menschen" und will am Mittwoch in der Freiburger Universität auf jeden 
Fall über seine Extremismus-Theorien reden. Jens Awe vom Studium 
Generale ist überrascht über die Vehemenz des linken Protests, auch wenn
 er gewusst habe, dass Jesse ein rotes Tuch für linke Gruppen sei. Die 
Veranstaltung – so der Stand am Freitagnachmittag – will er auf jeden 
Fall stattfinden lassen, auch wenn er besorgt ist, weil es am Ende des 
Protestschreibens heißt: "Wir werden nicht zulassen, dass Jesse eine 
Bühne für seine rechts-konservativ motivierte Pseudowissenschaft 
erhält." Nur wenn das Rektorat entscheide, dass es zu riskant sei, werde
 der Vortrag abgesagt.
Das Rektorat indes will nicht intervenieren und geht davon aus, dass im 
Vorfeld geprüft wurde, dass sich der Vortragende auf der 
freiheitlich-demokratischen Grundordnung bewege, so Unisprecher 
Rudolf-Werner Dreier. Jens Awe findet, dass die Gegner, sollten sie den 
Vortrag mit anschließender Diskussion verhindern, genau das bestätigen 
würden, was man unter weichem Extremismus verstehe. "Das hielte ich für 
ein starkes Stück." Die Polizei will den Vortrag wenn nötig schützen, 
sagt Polizeipressesprecher Karl-Heinz Schmid: "Wir beobachten das 
Ganze."
Jens Awe findet die Vorwürfe ungerechtfertigt. Auch der Freiburger 
Politologe Ulrich Eith hält eine Ausladung für nicht angemessen. Jesse 
greife sehr konservative Themen auf, sei aber kein Wissenschaftler, der 
außerhalb des demokratischen Spektrums agiere. "Ich kenne Eckhard Jesses
 wissenschaftliche Arbeiten und halte ihn für unverdächtig, 
rechtsextreme Positionen zu vertreten." Der Historiker Wolfram Wette, 
der im Dezember selbst einen Vortrag in der Reihe hält, nennt Jesse zwar
 "einen konservativen Hardliner" und begrüßt die Wachsamkeit der 
Studierenden, ihn auszuladen hält er gleichwohl für falsch. "Darüber zu 
reden ist das beste konfliktschlichtende Instrument." Das findet auch 
Monika Rappenecker, Studienleiterin an der Katholischen Akademie: "Ich 
halte Jesses Thesen für diskutabel und habe kein Problem damit zu sagen:
 ‘Lasst es uns diskutieren.’"

