Kundgebung gegen antimuslimischen Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und Elitarismus!
Am Mittwoch, den 29. September 2010 will der Rassist Thilo Sarrazin in der Münchner Reithalle auftreten. Dagegen wollen wir mit einer Kundgebung in direkter Nähe zum Veranstaltungsort protestieren!
Der mittlerweile zurückgetretene Bundesbankvorstand
fiel in den letzten Monaten bereits öfter durch seine rassistische
Hetze vor allem gegen Muslim_innen und seine Abwertung von sozial
bedürftigen Menschen auf. Mit dem Erscheinen seines Buches „Deutschland
schafft sich ab“ hat sich eine gesellschaftliche Debatte eröffnet, die
in weiten Teilen rassistisch geführt wird und in der bis dato latente
Ressentiments weiter Teile der deutschen Mehrheitsbevölkerung offen und
deutlich ausgesprochen werden.
Nach Bekanntwerden der Veranstaltung
der Deutschen Verlags-Anstalt mit Sarrazin in den Räumen des Münchner
Literaturhaus* kam es zu ersten Protesten, woraufhin das Literaturhaus
verkündete, es wolle die Veranstaltung nicht wie geplant als Lesung,
sondern als Diskussionsveranstaltung, zu der auch noch „Spezialisten zu
Einwanderungspolitik und Hirnforschung“ eingeladen werden sollen,
durchführen. Wir glauben nicht, dass dies irgendetwas an der Tatsache
ändert, dass sich das Literaturhaus hier einen offenkundigen Rassisten
aufs Podium holt. Selbst wenn „Einwanderungsexpert_innen und
Hirnforscher_innen“ die besseren Argumente präsentieren können, ist die
zentrale symbolische Aussage des Abends, die Anerkennung rassistischer
Positionen als sagbar und diskutabel. Wir fordern vom Literaturhaus die
Ausladung Sarrazins und den grundsätzlichen Verzicht auf weitere
Veranstaltungen mit Rassist_innen!
Sarrazin und seine Thesen
Sarrazins
Rassismus ist schon seit längerem offenkundig. Im September 2009 gab er
der Zeitschrift „lettre international“ ein Interview in dem er gegen
„türkische“ und „arabische“ Migrant_innen hetzte. Sarrazin verknüpfte
schon damals rassistische, biologistische und sozialdarwinistische
Ressentiments zu einer kruden Wahnvorstellung: Die „intelligenten
Deutschen“ würden durch die höhere Geburtenziffern „weniger
intelligenter“ muslimischer Migrantinnen zunehmend marginalisiert, die
„Türken¹“ hätten die Absicht durch ihre höheren Geburtenzahlen die Macht
in Deutschland zu übernehmen. Sarrazin geht hierbei davon aus,
Intelligenz werde (zum Teil) vererbt. Dabei rekuriert er
unmissverständlich auf ein Konzept von „Rasse“, in dem er Muslim_innen
eine durchschnittlich niedrige, „Deutschen“ oder „osteuropäischen Juden“
eine höhere durchschnittliche Intelligenz zuschreibt².
Muslimische
Migrant_innen seien außerdem weder „integrationswillig“ noch
„intergrationsfähig“. Er zeichnet das Bild einer „muslimischen Kultur“,
die er als gänzlich verschieden und unvereinbar mit der „aufgeklärten,
westlichen Kultur“ darstellt. Die rassistische Projektion auf die
„Anderen“ gibt ihm und mit ihm der deutschen Mehrheitsbevölkerung die
Möglichkeit sich selbst als tolerant und emanzipiert zu inszenieren ohne
es selbst zu sein. So weiß Sarrazin zu berichten, dass „türkische
Jungen nicht auf weibliche Lehrer(sic!) hören, weil ihre Kultur so ist“
(lettre international Interview September 2009) und Muslim_innen
grundsätzlich eine „agressive Mentalität“ hätten (ebd.). Dieser
offenkundige Schwachsinn wird noch deutlicher, wenn man sich ansieht,
mit welch abwertender Terminologie Sarrazin über muslimische Frauen
spricht. Er begreift sie als Objekte ohne selbstständiges und
selbstbewusstes Denken und Handeln, sie tauchen bei ihm nur im
„Verheiratet-Werden“ und im „Kinder-Kriegen“ auf. Letzteres beschreibt
er in einer technizistischen Sprache als „ständige Produktion neuer
kleiner Kopftuchmädchen“. Die Muslima wird nicht geboren, sie wird
„produziert“, sie ist nicht Subjekt selbstbewussten Handelns, sondern
auf ihr Äußeres reduzierte Reproduktionsmaschine im Kampf gegen die
„deutsche Intelligenz“. Ekelhafter kann mensch Rassismus und Sexismus
wohl kaum noch miteinander verbinden. Weiterhin fordert er Migration
nach Deutschland nur noch für „Hochqualifizierte“ zuzulassen und
Migrant_innen in Deutschland von staatlichen Sozialleistungen
auszuschließen: Forderungen, die vor dem Hintergrund der rassistischen
deutschen Migrationspolitik, der faktischen Abschaffung des Grundrechts
auf Asyl nach den Pogromen von Rostock-Lichtenhagen. des europäischen
Grenzregimes von Frontex und co und der vielen hundert Menschen die auf
dem Weg nach Europa alljährlich ums Leben kommen, zynischer nicht sein
könnten.
Gesellschaftliche Debatte
Doch
Sarrazins Thesen sind nicht einzig das Werk eines vom Wahn besessenen
Spinners, Sarrazin findet breiten gesellschaftlichen Anklang, er spricht
millionenfach vorkommende Ressentiments deutlich aus und kann an
latente und offene rassistische, sexistische und antiegalitäre
Vorstellungen und Feindbilder anknüpfen. Seine Popularität besteht genau
darin, dasjenige zu formulieren und zu verkörpern, das den
Rassist_innen in ihrem Irrationalismus als offenkundige Wahrheit gilt.
Doch so wenig die Rassist_innen über diejenigen aussagen können, die sie
zum Objekt ihres hasserfüllten Wahns machen, so viel sagen ihre
rassistischen Projektionen doch über sie selbst und ihre Gesellschaft
aus. Genau aus diesem Grund darf es nun nicht darum gehen, darüber zu
beratschlagen, wie Muslim_innen denn nun „wirklich sind“ oder
langwierige Debatten über Integrationspolitik zu führen, die in
Deutschland doch seit jeher meist nur Verlängerungen und Fortführungen
rassistischer Empörung sind und nur dann geführt werden, wenn wieder
irgendeine Betroffenheit über irgendein Vergehen irgendeines Menschen
ohne deutschen Pass medial aufgebauscht wird. Mensch denke dabei nur an
die rassistische Hetze in Folge der Münchner „U-Bahn-Schläger“ vor
einigen Jahren, die ihren Bogen von den aufmarschierenden Neonazis der
„Bügerinitiative Ausländerstopp“ bis weit hinein in die „Mitte der
Gesellschaft“ spannte.
Die einzige Art, wie mensch unserer Meinung
nach sinnvoll auf diese Debatte reagieren kann, ist es, den
gesellschaftlich weit verbreiteten Rassismus ernst zu nehmen, ihn zu
kritisieren und zu versuchen, antirassistische und emanzipatorische
Inhalte zu verwirklichen.
Antimuslimischer Rassismus und deutsche Mehrheitsbevölkerung
Gerade
der Rassismus gegen Muslim_innen hat im letzten Jahrzehnt, im Zuge des
11.September, der Kriege in Afghanistan und im Irak und der medial
ständig präsenten „Terrorgefahr“ durch muslimische Fundamentalist_innen
deutlich an Relevanz gewonnen. Im antimuslimischen Rassismus gelingt es
der deutschen Mehrheitsbevölkerung, wie in kaum einem anderen
rassistischen Ressentiment, sich gerade über die rassistische Projektion
auf die „Muslime“ als aufgeklärt, tolerant, demokratisch und bisweilen
gar als feministisch zu inszenieren. Zentraler Bestandteil dieses
Denkens ist die Vorstellung einer „originär muslimischen Kultur“ die als
monolithischer und unveränderlicher Block betrachtet wird und die
einzig mit Attributen wie „vormodern“, „patriarchalisch“, „sexistisch“
„homophob“, „undemokratisch“, „fundamentalistisch“, „unaufgeklärt“ etc.
in Zusammenhang gebracht wird. Innerhalb einer solchen, von vielen
verinnerlichten, Vorstellungswelt spielt die konkrete gesellschaftliche
Realität in der Muslim_innen und diejenigen, die von den Rassist_innen
zu solchen erklärt werden, leben, die sie prägt und die sie prägen gar
keine Rolle mehr. Es ist egal ob Muslim_innen in Obergiesing, Mekka,
Istanbul, Tehran oder Jakarta leben, ob sie religiös sind oder nicht, ob
sie Automechaniker_innen, Physiker_innen, Hausbesetzer_innen oder was
auch immer sind, sie werden als Teil eines ihnen von den Rassist_innen
zugeschriebenen Kollektivs gesehen, das sie als fundamental von deren
eigener moderner „westlicher“ Identität Verschiedenes auffasst. Mit
diesem Ausschluß der Anderen, wird das eigene kollektive Selbst
konstruiert. Besonders kuriose Blüten treibt dieses Schauspiel
regelmäßig dann, wenn deutsche Rechte, denen die patriarchale
Kleinfamilie als einzige „natürliche“ Form des Zusammenlebens gilt, die
brav Sonntag morgens in die Kirche gehen und die den sprichwörtlichen
„starken Mann der mal hart durchgreift“ wie den Messias herbeisehnen,
auf die Idee kommen, den Muslim_innen mit Waffengewalt den säkularen
Staat, die Frauenbefreiung und die Moderne - also all das gegen das sie
selbst stehen - beibringen zu wollen.
Doch besonders in der
aktuellen Debatte, in der Muslim_innen fast grundsätzlich als Hartz 4
Empfänger_innen dargestellt werden, ist deutlich zu Tage getreten, wie
fatal sich die Ressentiments gegen Muslim_innen und gegen sozial
Schwache miteinander verbinden können. Zum einem dient Sarrazins These
der höheren durchschnittlichen Intelligenz der deutschen
Mehrheitsbevölkerung der Festsetzung und Zementierung ihres status quo
bzgl. politischer, sozialer und ökonomischer Teilhabe gegenüber von
Muslim_innen, andererseits läuft er im Endeffekt auf nichts anderes
hinaus, als einer rassistischen Vorstellung einer Hierarchie zwischen
verschiedenen „Ethnien“ oder „Rassen“. Dass Sarrazin auch noch die
Vorstellung „jüdischer Gene“ aus der antisemitschen Mottenkiste kramt,
erscheint vor diesem Hintergrund nicht mehr als verwunderlich, läuft
doch schließlich ein großer Teil wahnhafter Projektionen und
Vorstellungswelten auf die eine oder andere Weise auf den
Antisemitismus hinaus.
Weitere Dimension
In
vielen europäischen Ländern haben sich erfolgreich rechte Parteien
etabliert, die als „Islamkritik“ getarnten antimuslimischen Rassismus
als zentrales Fundament ihrer Politik begreifen, wie etwa die
niederländische PVV um Gert Wilders, die schweizer SVP, deren Mitglieder
massgeblich an der Kampagne für das „Minarettverbot“ beteiligt waren,
der französische Front National um Jean-Marie Le Pen, oder die
österreichische FPÖ, die zuletzt dadurch auf sich aufmerksam machte,
dass sie unter dem Titel „Moschee baba“ ein Onlinespiel ins Internet
stellte, bei dem mensch im Stile der Mohrhuhnspiele, Moscheen und
Muezzine abknallen sollte und das für ein Verbot von Burkas und
Minaretten in Österreich werben soll. Auch in Deutschland gibt es eine
Vielzahl antimuslimisch- rassistischer Gruppen, die bekanntesten unter
ihnen sind wohl PRO Köln und PRO NRW, aber auch viele lokale
rassistische Mobilisierungen, oft gegen den Bau von Moscheen oder
muslimische Kulturzentren haben starken Zulauf, so etwa auch in München,
wo gegen den geplanten Moscheebau am Gotzinger Platz agitiert wurde.
Auch die Münchner PI-Gruppe, die sich über den rassistischen Weblog
„Politically Incorrect“ zusammen gefunden hat, kann in München viele
Menschen zu ihren Veranstaltungen mobilisieren. Die rassistischen
Ressentiments sind in Deutschland quer durch alle Parteien verstreut,
Potentiale für dezidiert antimuslimisch-rassistische Parteien sind
vorhanden.
Dies unterstreicht einmal mehr die Notwendigkeit eines
konsequenten Kampfes gegen Rassismus mit all seinen Facetten und
Widerlichkeiten zu führen.
Gegen Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und Elitendenken! Für eine befreite Gesellschaft!
Kundgebung: Mi. 29.9./19 Uhr Infanteriestraße
Tram 12 oder Bus 53: Ausstieg Infanteriestraße