"Manifest" des Münchner Amokläufers belegt rechtsextreme Gesinnung

Erstveröffentlicht: 
08.06.2017
  • Obwohl die Ermittlungen abgeschlossen sind, kommen immer wieder neue Details zu den Hintergründen des Münchner Amoklaufs ans Licht.
  • Die bayerische Staatsregierung hat nun zum ersten Mal Auszüge aus dem "Manifest" des Amokläufers veröffentlicht - nach Nachhaken der Grünen.
  • Darin finden sich Schilderungen des Mobbings und eindeutig rechtsradikales Gedankengut. Das entfacht eine neue Debatte um die Tatmotive.
    Von Thomas Schmidt

     

    Die bayerische Staatsregierung hat zum ersten Mal Auszüge aus dem "Manifest" des Amokläufers vom Olympia-Einkaufszentrum veröffentlicht. Fast genau ein Jahr, bevor David S. am Abend des 22. Juli 2016 in München neun Menschen und dann sich selbst tötete, erstellte er auf seinem Computer ein zwei Seiten langes Dokument, das tiefe Einblicke in die krude Gedankenwelt des Attentäters erlaubt. Die Auszüge aus diesem Schriftstück belegen die rechtsextreme Gesinnung des Mörders und entfachen erneut eine Debatte über dessen Tatmotive.

     

    Obwohl die polizeilichen Ermittlungen bereits seit Monaten abgeschlossen sind, kommen immer wieder neue Details zu den Hintergründen der Tat ans Licht. Das liegt unter anderem an dem hartnäckigen Nachhaken der Grünen und deren Fraktionsvorsitzender Katharina Schulze im bayerischen Landtag. Nun hat das Innenministerium schriftlich auf eine ihrer parlamentarischen Anfragen reagiert und damit bislang unbekannte Informationen öffentlich gemacht.

     

    Demnach erstellte David S. am 24. Juli 2015 eine Datei mit der Bezeichnung "Mein Manifest.docx". Überschrieben war das Dokument wortwörtlich mit: "Die Rache an diejenigen die mich auf dem Gewissen haben." Nach dem Amoklauf fanden Ermittler das Schriftstück auf der Festplatte von David S. und werteten es aus.

    Den neuen Angaben des Ministeriums zufolge beschrieb der spätere Attentäter auf den zwei Seiten seine hoffnungslosen Tage an der Schule und rätselte, was er "verbrochen" habe, um derart von seinen Mitschülern gemobbt zu werden. Das Schriftstück offenbart aber auch eindeutig rechtsradikales Gedankengut. Der Stadtteil Feldmoching-Hasenbergl, in dem er aufgewachsen war, sei mit einem "Virus" infiziert. Der spätere Amokläufer schrieb über "ausländische Untermenschen", von "Kakerlaken" und Menschen, die er "exekutieren" werde.

    Noch am Tag des Amoklaufs speicherte David S. ein weiteres Dokument auf seinem PC. Der Name der Datei: "Ich werde jetzt jeden Deutschen Türken auslöschen egal wer.docx." Der Inhalt des Dokuments bestand aus den Sätzen: "Das Mobbing wird sich heute auszahlen. Das Leid was mir zugefügt wurde, wird zurückgegeben."

     

    David S. entwickelte eine tiefe Abneigung gegen Jugendliche mit Migrationshintergrund. Wiederholt äußerte er sich rassistisch im Internet. Laut der Aussage einer Zeugin aus dem Familienkreis sei er "sehr stolz" auf seine persischen Wurzeln gewesen, weil er davon ausgegangen sei, dass der Ursprung der Arier in Persien gewesen sei. Während einer Psychotherapie zeigte er den Hitler-Gruß, kritzelte Hakenkreuze in seinen Block und rief "Sieg Heil". Auf die Nachfrage einer anderen Patientin, ob er ein "Nazi" sei, soll er jedoch mit Nein geantwortet haben.

     

    Welche Rolle spielte die rechtsradikale Gesinnung bei der Amoktat? Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass David S. in rechtsextremistische Strukturen eingebunden war oder dass er auch nur Kontakt pflegte zu bekannten Rechten. Die Frage aber bleibt: Waren seine rechtsextremen Einstellungen Antrieb für den Amoklauf und einer der Gründe für die Auswahl seiner Opfer? Fast alle Getöteten hatten einen Migrationshintergrund, stammten aus albanischen oder türkischen Familien. "Wir haben zu wenige Informationen", kritisiert Grünen-Vorsitzende Schulze. "Wir sind es den Familien der Opfer schuldig, diese Tat vollständig aufzuklären."

     

    "Bei der Einordnung der Tat fehlt etwas"

     

    Das bayerische Landeskriminalamt, die Staatsanwaltschaft und die Staatsregierung sind alle zu der Überzeugung gelangt, dass es keine politische Motivation war, die David S. zum Amokläufer machte. Die Auswahl seiner Opfer sei dem "verallgemeinerten Feindbild der ehemaligen Mobber geschuldet", so das Ministerium. David S. habe bereits seit "frühester Kindheit unter teils massiven psychischen Störungen" gelitten. Die Hänseleien seiner Mitschüler hätten seine "krankheitsbedingt negative Lebenseinstellung" verstärkt. Er habe unter Angstzuständen und einer posttraumatischen Belastungsstörung gelitten. Ein kranker Geist also, dessen rassistischer Hass weniger auf einer politischen Ideologie fußte, sondern die Folge war von persönlichen Leid-Erfahrungen.

     

    Für Grünen-Chefin Schulze ist das aber nur ein Teil der Wahrheit. Sie fordert, dass sich der Innenausschuss des Landtags erneut mit der Radikalisierung des Amokläufers befasst. Das rechte Gedankengut von David S. sei nicht das einzige Tatmotiv, spiele aber eine wichtige Rolle - und diese werde nicht ausreichend beleuchtet. "Bei der Einordnung der Tat fehlt etwas", kritisiert Schulze. Grünen-Pressesprecher Holger Laschka fügt leicht säuerlich hinzu: "Erst auf Nachfragen kommen scheibchenweise Informationen. Bei jeder Anfrage ein bisschen mehr. Wenn wir nicht nachbohren würden, wüssten wir das alles nicht."