Ein Unternehmer sieht den Rechtsstaat in Gefahr - weil Berlins Senat nicht entschieden genug gegen Gewalt an der Rigaer Straße vorgehe.
Von A. Dinger und S. Pletl
Wer wissen will, welche Stimmung an der Rigaer Straße herrscht, sollte den Offenen Brief von Bauunternehmer Christoph Gröner an den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) lesen. Gröner baut mit seinem Unternehmen, der CG Gruppe, in dem Friedrichshainer Kiez einen Komplex mit mehr als 100 Mietwohnungen – für elf bis 13 Euro pro Quadratmeter. Vielen Linken ist das Bauprojekt ein Dorn im Auge. So wurde der Unternehmer beispielsweise am Rande eines Interviews, das Gröner dem Rundfunk Berlin Brandenburg (RBB) gab, massiv von Vermummten bedrängt.
Doch das sei nur die Spitze des Eisberges gewesen. In seinem Brief an Müller schreibt er: "Wir sind an einem Punkt, wo sich Unternehmen weigern, mit uns zusammenarbeiten, weil sie Angst haben vor Gewalt". Fahrzeuge der CG Gruppe und von Firmen, die mit ihr zusammenarbeiten, würden angezündet und "ein Wachmann wurde krankenhausreif geschlagen". Gröner schreibt: "Wenn die Politik jetzt nicht einschreitet, sich klar positioniert und den Rechtsstaat glasklar zum Kompass des Handelns von Personen und Behörden macht, dann ist genau dieser Rechtsstaat in Gefahr." Den Offenen Brief schickte Gröner Anfang dieser Woche ins Rote Rathaus sowie an mehrere Senatoren. Der Zeitpunkt war bewusst gewählt: In den vergangen Tagen hatte es wieder Auseinandersetzungen an der Rigaer Straße zwischen Linksautonomen und der Polizei gegeben.
Zehn-Punkte-Plan für die Rigaer Straße
Wegen Problemen wie diesen ist der Berliner SPD-Innenpolitiker Tom Schreiber mit einem Zehn-Punkte-Plan an die Öffentlichkeit getreten. Darin geht es sowohl um mehr Polizeipräsenz rund um die umstrittenen Häuser als auch um die Einbindung der Nachbarschaft sowie Gespräche mit der Sympathisanten-Szene der Linksautonomen. "Wir müssen wie beim 1. Mai die Anwohner einbeziehen und den Gordischen Knoten endlich durchschlagen", sagt Schreiber der Berliner Morgenpost. Sein Papier bezeichnet der Politiker als Diskussionsgrundlage. "Ich plädiere für ein dreistufiges Konzept, das Repression, Deeskalation und Prävention beinhaltet", sagt Schreiber, der sich seit Jahren mit der Rigaer Straße beschäftigt und dafür ebenfalls bereits massiv bedroht wurde.
Obwohl der zuständige Innensenator Andreas Geisel auch in der SPD ist, sieht man in der Innenverwaltung das Konzept Schreibers skeptisch. "Der Zehn-Punkte-Plan ist durch die Bank im Konjunktiv geschrieben. Er spricht von müsste, könnte, sollte. Wir müssen aber sagen: Wir werden. Und genau das tun wir", sagt Martin Pallgen, Sprecher der Innenverwaltung. Nur beim "Wie", bleibt man in der Innenverwaltung seltsam unkonkret.
Klar sei , dass es eine Lösung geben müsse, die über den reinen Polizeieinsatz hinausgehe, sagt Pallgen. Man sei aus diesem Grund schon seit einiger Zeit etwa mit dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg im Gespräch. In einem Punkt gibt die Innenverwaltung Schreiber aber Recht: "Wir brauchen in der Rigaer Straße eine starke, gemeinsame Stimme der friedlichen Anwohnerinnen und Anwohner. Es kann nicht sein, dass eine gewaltbereite Minderheit die friedliche Mehrheit im Kiez dominiert."
Doch die Anwohner ins Boot zu holen, dürfte schwerer werden als gedacht. Viele halten sich zurück, haben Angst, sich in der Öffentlichkeit zu äußern. Ein Hausmeister sagt: "Es ist erschreckend, dass eine Hand voll Leute einen ganzen Kiez in Aufruhr bringen kann und der Staat hier machtlos zuschaut." Erst kürzlich waren wie berichtet in der Tiefgarage eines der neu gebauten Häuser viele Autos demoliert worden, der Lack zerkratzt, Scheiben eingeschlagen, Spiegel abgerissen und auch Reifen zerstochen worden. Der Schaden: mehrere zehntausend Euro. "Offenbar blinder Hass. Denn es waren vom Kleinwagen bis zur Luxuslimousine alle Arten Fahrzeuge beschädigt worden", sagt der Hausmeister.
Es gibt in der Straße aber auch versöhnliche Töne
Seit die Polizei unter Innensenator Frank Henkel (CDU) im vergangenen Jahr mit 500 Beamten an der Rigaer Straße 94 anrückte, herrscht im Kiez Ausnahmezustand. Mehr noch, weil ein Gericht nachträglich feststellte, dass die Räumung rechtswidrig war. Dass die Innenverwaltung unter SPD-Mann Geisel nun auf Deeskalation setzen möchte, wird im Kiez begrüßt. "Ich habe nichts gegen die Hausbesetzerszene oder die Alternativen. Und wenn sie sich in ihren Häusern wohl fühlen, dann ist das ihre Sache", sagt Anwohner Michael S. Er wünscht sich dennoch, dass endlich beide Seiten aufeinander zugehen. Das sollte auch ohne Polizei gehen.
So sieht es auch Torsten Buhl, der für die Linken in der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg sitzt. "Was ich mir wünschen würde, wäre, dass die Polizei endlich umdenkt und eine Deeskalationsstrategie umsetzt. Dass dies in der Vergangenheit oft nicht so war, konnte ich bereits sehr oft persönlich erleben", sagt Buhl. "Ich sehe jedoch positiv in die Zukunft, dass es bald ruhiger wird", so Buhl weiter.
Diese Einschätzung teilen die Sicherheitsbehörden nicht. Sie rechnen damit, dass die Konflikte eher zunehmen werden. So beobachte man mit Sorge, dass die linksautonome Szene der Hauptstadt sich für den G20-Gipfel in Hamburg Anfang Juli warmlaufe. Die Rigaer Straße habe man dabei besonders im Blick, sagt ein Sicherheitsexperte.