Aachen: Drogenrazzia: Fall spielt offenbar tief in Neonazi-Szene

Erstveröffentlicht: 
02.06.2017

Aachen. Alles ging blitzschnell. Tür einschlagen, Blendgranate werfen, Verdächtige außer Gefecht setzen. Das gelang den Spezialkräften der Polizei bei den beiden Großrazzien am Mittwoch in Aachen reibungslos. Doch sie hatten noch ein weiteres Ziel: Den oder die vorhandenen Computer unbedingt sichern, bevor sie zerstört werden konnten.

 

Auch das klappte. Bei der Auswertung der Daten dürften die Ermittler manches finden, was für sie von Interesse ist. Einerseits zu dem, weswegen sie eigentlich da waren: Drogenhandel im großen Stil. Die jetzt in Untersuchungshaft sitzenden Verdächtigen – 37, 34, 29, 24 und 23 Jahre alt – sollen daran beteiligt gewesen sein, seit Jahren Amphetamine und andere Drogen über das sogenannte Darknet – einen anonymisierten und nur mittels Spezialsoftware zugänglichen Teil des Internets – vertrieben zu haben.

 

In ihren langen Ermittlungen fanden die Aachener Kriminalpolizisten im Auftrag der Staatsanwaltschaft nach eigenen Angaben heraus, dass auf diesem Weg 20 Kilo Amphetamine den Besitzer wechselten. Mehrere Kilo „frischer Ware“ wurden auch noch bei den Hausdurchsuchungen am Mittwoch gefunden.

Wohin floss das Geld?

 

Die Computer könnten auch helfen, das Geld – rund 160.000 Euro soll die Bande mindestens eingenommen haben – zu finden. Das ist nämlich noch nicht entdeckt worden, was auch daran liegt, dass die Geschäfte in der Internetwährung „Bitcoin“ getätigt wurden. „Bei Bitcoins sind die Ermittlungen noch schwieriger als bei Bargeld“, sagt Jost Schützeberg, Sprecher der Staatsanwaltschaft Aachen.

 

Und die Computer könnten noch ganz andere Dinge hervorbringen: Nach Informationen unserer Zeitung sind alle fünf Männer in der Neonazi-Szene aktiv oder stehen ihr zumindest nahe. Darunter sind die Brüder Timm und Robert M. Timm M. war unter anderem früher Mitglied der nun verbotenen „Kameradschaft Aachener Land“. Sein jüngerer Bruder bewegte sich in der militanten Szene der „Autonomen Nationalisten“ und gilt mit einem weiteren Bruder als einer der Gründer der Ortsgruppe Aachen der „Identitären Bewegung“ (IB).

 

Die vom Verfassungsschutz beobachtete, rechtsextreme IB tritt als eine Art popkulturelle, völkisch-nationalistische Jugendbewegung auf. Statt klassisch fremdenfeindlich aufzutreten, nutzt sie eine veränderte Argumentation. Statt eines plumpen „Ausländer raus!“ fordert sie intellektuell schöngefärbt die „Remigration“ von Ausländern. Nicht selten haben die Vertreter der IB eine neonazistische Vergangenheit oder gehören äußerst rechten Burschenschaften an, lediglich das Auftreten wirkt moderner als zuvor unter Neonazis. Dabei ist die IB gar keine Bewegung, sondern zählt laut Experten lediglich ein paar hundert Mitglieder bundesweit. Aufmerksamkeit versucht man mit möglichst medienwirksamen Aktionen zu erzielen.

 

In Aachen fiel die Gruppe dadurch auf, dass sie Banner mit unterschwellig fremdenfeindlichen Botschaften unter anderem zwecks propagandistischer Fotosession kurzzeitig an einem Zaun am Dom und an der Burg Frankenberg aufhängte. In den vergangenen Monaten waren die IB und die Neonazigruppe „Syndikat 52“ (S52), der Roberts Bruder Timm angehören soll, durch Aufklebeaktionen aufgefallen.

 

Obschon die IB vorgibt, nichts mit Neonazis zu tun haben zu wollen, erstaunte, dass zuweilen in verschiedenen Vierteln der Stadt auf gleichen Routen sowohl Aufkleber der IB also auch von S52 gemeinsam verklebt worden waren. Erstens scheint also vieles dafür zu sprechen, dass die Netze zwischen IB und Neonazi-Szene in der Region deutlich engmaschiger sind, als das vorgegeben wird. Und zweitens wäre man da wieder beim Geld aus den Drogendeals: Denn schon bei den jüngsten Aktionen stellte sich die Frage, wie die Unmengen an Hochglanzaufklebern finanziert werden konnten.

 

Werden mit Drogengeldern also Neonazi-Umtriebe im großen Stil finanziert? Das werden die Ermittler sicher ins Visier nehmen. Dass es sich bei den Männern, gegen die sie jahrelang ermittelten, um Rechtsextreme handelt, war ihnen nach Informationen unserer Zeitung schon früh klar. Und so wurde auch der Staatsschutz mit ins Ermittlungsboot genommen.

 

Sollten sich derlei Dinge bestätigen, wäre das schon kurios. Rechtsextreme fordern stets härtere Strafen für Drogenhändler – bis hin zur Forderung nach der Todesstrafe. Dass dennoch immer mal wieder Neonazis wegen Drogenhandels verurteilt wurden, galt bisher eher als Seltenheit. Zumal der Aachener Fall eine ganz andere Größenordnung hat. Über den wird denn auch in einschlägigen rechten Foren hitzig diskutiert.

 

Letztlich könnten die Computer Aufschluss darüber geben, ob die Bande noch größer ist als jetzt bekannt. Schließlich rückte die Polizei am Mittwoch mit drei Haftbefehlen an. Drei Männer wurden dann noch zusätzlich eher per Zufall festgenommen. Bei zweien von ihnen sah der Haftrichter ausreichend Gründe, um sie in U-Haft festzusetzen.

 

Doch auch das ist vermutlich längst noch nicht das Ende dieser Geschichte.