Wir sind eine Gruppe aus der radikalen Linken in München, die seit 
vielen Jahren besteht und in der Antiglobalisierungsbewegung und in 
antimilitaristischen Bewegungen aktiv war. Die Realität der letzten 
Jahre sieht allerdings etwas anders aus: Unsere Gruppe ist wesentlich 
kleiner geworden, wir treffen uns weniger regelmäßig und für gemeinsame 
Aktionen bleibt wegen zunehmendem Stress im kapitalistischen 
(Arbeits-)Alltag wenig Zeit. Darüber hinaus erzeugen die aktuellen 
gesellschaftlichen Entwicklungen bei uns Ratlosigkeit, wo man politisch 
ansetzen könnte.
Vielleicht erscheint es daher etwas überraschend, dass nun gerade von 
uns ein Text kommt, der versucht, einen breiteren Überblick über 
gegenwärtige politische Dynamiken und ihre Wechselwirkungen zu geben. 
Aber nicht trotz, sondern gerade wegen der Situation, in der wir uns 
befinden, haben wir den Versuch unternommen, aktuelle gesellschaftliche 
Entwicklungen und die Rolle der radikalen Linken zu analysieren, um der 
verbreiteten Desorientierung und den daraus resultierenden Alternativen 
der Apathie oder der Feuerwehrpolitik wenigstens ein Stück weit zu 
entkommen.
Der vorliegende Text ist aus heterogenen Positionen und kontroversen 
Diskussionen, die wir im Laufe des letzten Jahres geführt haben, 
entstanden. Diese Skizze erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, 
kann aber vielleicht trotzdem als Ausgangspunkt für eine gemeinsame 
Diskussion um Fluchtlinien einer radikalen emanzipatorischen Politik 
dienen. Wir würden uns über Reaktionen, Kritik und Diskussionsbeiträge 
freuen!
Do you remember global war?
Um den gegenwärtigen Zustand ansatzweise zu erfassen, ist ein Blick 
zurück unumgänglich und für uns scheint es (vielleicht auch biographisch
 bedingt) Sinn zu machen, bis ins Jahr 2001 zurückzugehen: Im Sommer 
2001 hatte die sogenannte Antiglobalisierungsbewegung mit den Tagen von 
Genua ihren Höhepunkt erreicht, als 300.000 Menschen gegen den G8-Gipfel
 in der italienischen Hafenstadt auf die Straße gingen und sich 
Massenproteste und militanter Widerstand auf eine Weise und in einer 
Dimension verbanden, wie sie viele von uns vorher nie erlebt hatten.
Doch der kurze Sommer des antikapitalistischen Protests endete mit dem 
11. September und danach brach der lange Herbst des „global war on 
terrorism“ an. Genau dieses Paradigma des „globalen Krieges“ stellt 
immer noch eine  bestimmende Konstante unserer Gegenwart dar, die 
inzwischen tief im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert ist. Hier 
können nur einige wenige Aspekte des „globalen Krieges“ gestreift 
werden: Die Reaktion der USA und ihrer Verbündeter auf 9/11 hat neben 
spektakulären Feldzügen mit hunderttausenden Toten eine neue Form der 
hybriden Kriegsführung hervorgebracht, die heute in ihrer Kombination 
von Großangriff und verdeckten Operationen, Drohnenkrieg und 
zivil-militärischer Zusammenarbeit den Alltag in ganzen Weltregionen 
bestimmt. In Afghanistan und Irak, Jemen und Somalia, Libyen und Syrien,
 Tschad, Niger und Mali, um nur einige der Schauplätze zu nennen.
Die Motive für das westliche „Eingreifen“ aufzuschlüsseln, bleibt 
schwierig: Während anfangs neben der „Vergeltung“ für 9/11 
kapitalistische Interessen und die neokonservative Hybris des „nation 
building“ im Vordergrund standen, scheinen diese Motive „des Westens“ 
inzwischen eher einer Art Feuerwehr- und Killer-Logik gewichen zu sein, 
der zufolge „Brandherde“ zu löschen sind und der „Feind“ nirgends vor 
(präventiver) „Vergeltung“ sicher sein darf. Zugleich sind die 
Schauplätze des „globalen Krieges“ immer auch Austragungsort 
geostrategischer Machtkämpfe einer kaum überschaubaren Anzahl von 
Akteuren, die in wechselnden Konstellationen eigene politische 
Interessen durchzusetzen versuchen: Der rasche Wechsel von Konfrontation
 zu Kooperation zwischen Russland und der Türkei im Hinblick auf Syrien 
ist hier nur ein Beispiel.
Global war reloaded
Auf den ersten Blick hat der „global war on terrorism“ George W. Bushs 
von 2001 allerdings recht wenig mit der Realität des Jahres 2017 zu tun.
 Um den „globalen Krieg“ als kontinuierliches Phänomen zu begreifen, 
müssen zwei Aspekte berücksichtigt werden: die Metamorphosen des 
„Feindes“ und die (eng damit verbundene) Ausweitung der Kampfzonen. Im 
Zuge des „globalen Krieges“ entstand mit dem ‚Islamischen Staat‘ (IS) 
ein neuer politischer Akteur der Gegenwart, der den ursprünglichen Feind
 „des Westens“, Al-Quaida, angesichts seiner territorialen 
Machtentfaltung, seiner globalen Medienpräsenz und nicht zuletzt seiner 
Attraktivität für Menschen auch in Europa, wie einen mäßig gelungenen 
Prototypen wirken lässt. Zugleich sind die heutigen Kriegsschauplätze 
nur begreifbar, wenn wir die Aufstände der Menschen in zahlreichen 
arabischen Staaten 2011 und das weitgehende Scheitern ihrer 
emanzipatorischen Ambitionen durch brutale Repression, militärische 
Eskalation und ausländische Intervention mit einkalkulieren: Erst durch 
das Scheitern des „arabischen Frühlings“ gerieten z.B. Libyen und Syrien
 in den Sog des „globalen Krieges“.
Trotz aller Veränderungen bleiben eine Reihe von Tendenzen festzuhalten,
 die den „globalen Krieg“ seit 2001 charakterisieren. Dieser Krieg  
reproduziert sich selbst auf stets erhöhter Stufenleiter: Er produziert 
„Feinde“, Kriegsgründe und Krieger, die zu töten und zu sterben bereit 
sind. Er generiert Kriegsgesellschaften, in denen stets neue Feinde und 
Krieger heranwachsen und in denen ein auf Dauer gestellter 
Ausnahmezustand herrscht, der die Überwindung der Kriegslogik unendlich 
erschwert und emanzipatorische Veränderung gänzlich unmöglich erscheinen
 lässt.
In der aktuellen Phase des „globalen Krieges“ scheinen sich alle 
düsteren Prophezeiungen seiner Apologeten zu bewahrheiten: Nach den 
Anschlägen von Paris, Brüssel, Nizza und zuletzt Berlin im Dezember 
2016, scheint dieser Krieg zumindest partiell tatsächlich in die 
europäischen Metropolen eingezogen zu sein –  nicht nur weil hier Bomben
 explodieren oder LKWs in Menschengruppen rasen, sondern auch weil viele
 der Attentäter in Europa aufgewachsen sind oder hier zu dem wurden, was
 sie sind. Durch soziale Medien und globale Rekrutierungsstrategien ist 
es dem IS gelungen, Menschen in den „westlichen“ Gesellschaften zu 
mobilisieren. Angeblich haben sich bisher etwa 5000 Europäer*innen dem 
IS in Syrien oder dem Irak angeschlossen, hinzu kommen viele, die das 
reaktionäre Projekt des IS indirekt unterstützen oder zumindest 
begrüßen.
Die gegenwärtige Phase des globalen Krieges zeichnet sich also nicht nur
 durch eine Ausweitung der Kriegsgebiete aus, sondern auch durch eine 
Zuspitzung der Widersprüche: In den Staaten des Westens werden heute 
nicht mehr nur die Killer „des Westens“ produziert, sondern auch ihr 
Pendant der Gegenseite – dem westlichen Drohnenpiloten steht der 
islamistische (Selbstmord-)Attentäter gegenüber, wobei der 
phänomenologische Unterschied dieser beiden Figuren vor allem darin 
besteht, dass letzterer bereit ist, nicht nur Unschuldige, sondern auch 
sich selbst aus dem Leben zu reißen, während ersterer aus sicherer 
Distanz agiert und die Unschuldigen (meist) nicht primär anvisiert, 
sondern als „Kollateralschäden“ akzeptiert.
Beide Formen der Kriegsführung ähneln sich ansonsten grundlegend: Es ist
 ein immer währender Krieg, in dem man verdeckt agiert und in dem stets 
aus dem Hinterhalt zugeschlagen werden kann. Es ist ein Krieg, der 
keinen Unterschied macht zwischen Kämpfer*innen und Zivilist*innen, ein 
Krieg, in dem die Angst der Gegenseite vor jederzeit möglicher 
„Vergeltung“ ein zentrales Ziel darstellt. So ist der Ausnahmezustand 
(ob offiziell wie in   Frankreich oder inoffiziell wie in der BRD) der 
neue Normalzustand geworden und das Leben der Menschen wird immer 
stärker geprägt von Terrorangst und neuen Sicherheitsgesetzen, dauernden
 Polizeirazzien und angeblich vereitelten Anschlägen und einem immer 
weiter wachsenden antimuslimischem Rassismus.
Uns erscheint es heute wichtig, als radikale Linke Position zum Projekt 
des IS zu beziehen, ohne dabei die globalen Machtverhältnisse und die 
extreme Asymmetrie der militärischen Auseinandersetzung aus dem Blick zu
 verlieren. Der IS ist ein Produkt des „globalen Krieges“, sowohl seine 
Ziele, als auch seine Mittel sind extrem reaktionär. Seine Attraktivität
 gerade für junge Männer hat oft wenig mit Religion und viel mit dem 
Versprechen einer brutalen und sexistischen Selbstermächtigung zu tun, 
die auf einem radikalen Bruch mit den Gesellschaften basiert, in denen 
die potentiellen Anhänger leben. So wenig die gesellschaftlichen 
Bedingungen als alleinige Erklärung oder gar Rechtfertigung für die 
Taten von IS-Kämpfern herhalten können, so wenig darf der Zusammenhang 
zwischen sozialer Ausgrenzung und Marginalisierung einerseits und der 
Sehnsucht nach reaktionärer Selbstermächtigung andererseits ignoriert 
werden. Bisher aber fehlt uns eine klare und radikale Haltung, die eine 
allgemeine linke Religionskritik mit einer konkreten Praxis gegen 
Fundamentalisten jeder couleur verbindet.
Der „globale Krieg“ stellt uns also vor zahlreiche Herausforderungen: 
Dem Ausnahmezustand und der Kriegslogik in unseren Gesellschaften 
entgegenzutreten, den IS und sein ideologisches Umfeld als Faktor nicht 
nur an fernen Kriegsschauplätzen, sondern auch hierzulande einzuordnen 
und zu bekämpfen. Angesichts der aktuellen Bedeutung des „globalen 
Krieges“ ist es ebenso erstaunlich wie bedauerlich, dass der 
zwischenzeitliche antimilitaristische Fokus von Teilen der radikalen 
Linken inzwischen wieder weitgehend verloren gegangen zu sein scheint – 
wenig wäre gerade nötiger, als eine klare inhaltliche Position gegen 
jeden Krieg und eine Praxis, die diesem Ziel Rechnung trägt.
Vom Krieg zur Krise
Den zweiten zentralen Faktor, der unsere Gegenwart prägt, stellt neben 
dem „globalen Krieg“ sicherlich die offenkundige Krise des 
kapitalistischen Akkumulationsregimes seit 2007 dar. Auch hier würde 
eine präzise Beschreibung der grundlegenden Sachverhalte schnell jeden 
Rahmen sprengen – deshalb nur einige grobe Pinselstriche: Ausgehend von 
einer Überakkumulationskrise in den 2000er Jahren bildete sich in den 
USA eine gigantische Spekulationsblase auf dem Immobilienmarkt, deren 
Platzen ab Herbst 2007 zu einer Bankenkrise („Lehmann Brothers“) führte,
 die sich schnell ausweitete. Durch die „Rettungsaktionen“ zahlreicher 
Staaten wurden und werden private Risiken sozialisiert und aus der 
Bankenkrise wurde vielerorts eine „Staatsschuldenkrise“. Dieser wird in 
Europa, insbesondere auf Druck Deutschlands, mit drakonischen 
Austeritätsprogrammen begegnet, wodurch die Volkswirtschaften 
zahlreicher Staaten vor allem des europäischen Südens in die Rezession 
getrieben werden.
Die implementierten „Strukturreformen“ zerstören große Teile der 
sozialen Sicherungssysteme, lassen die (Jugend-) Arbeitslosigkeit in 
schwindelerregende Höhen schnellen und zwingen die betroffenen Staaten 
zu radikalen Privatisierungsprogrammen, wodurch öffentlicher Besitz de 
facto zwangsversteigert wird. Die fundamentale Krise des Kapitalismus 
ist heute keineswegs vorüber: stetig wachsende Spekulationsblasen an den
 Finanzmärkten, mangelndes realwirtschaftliches Wachstum und eine 
Überakkumulationskrise, die ständig in Deflation zu münden droht, 
welcher die EZB durch Minuszinsen und ein Anleihenkaufprogramm in 
Billionenhöhe gegenzusteuern versucht, wodurch sie die Spekulation 
abermals anheizt.
Um zu begreifen, dass die aus der Akkumulationskrise resultierende 
spekulative Blasenbildung auch ohne den ganz großen Crash alltäglich auf
 unsere Lebenswirklichkeit durchschlägt (und das nicht nur in den 
krisengebeutelten Ländern Südeuropas), genügt ein Blick auf die 
Entwicklung der Immobilienpreise in deutschen Großstädten. 15% 
Preissteigerung in Städten wie Berlin und München im Jahr 2015 hat nur 
bedingt etwas mit Zuzug und mangelndem (öffentlichen) Wohnungsbau zu 
tun: Großanleger versuchen die offensichtlichen Risiken auf dem 
Aktienmarkt durch massenhafte Immobilienkäufe im Rahmen zu halten – mit 
dramatischen Folgen für alle, die zur Miete wohnen.
Die Kontinuität der Krise seit 2007 ist ein Faktum – was sich seit 
Ausbruch der Krise allerdings völlig verkehrt hat, sind die politischen 
Vorzeichen: Während wir 2008 über die Potentiale emanzipatorischer 
Veränderung angesichts der offensichtlichen Delegitimierung des 
neoliberalen Kapitalismus diskutierten, hoffen wir heute vielleicht den 
einen oder anderen kleinen Kampf gegen die Durchsetzung einer 
radikalisierten neoliberalen „Reformagenda“ erfolgreich zu bestreiten – 
der Kapitalismus aber ist in der Offensive.
Es existiert heute kein gemeinsamer Kampf gegen die Krise, geschweige 
denn gegen jenes Akkumulationsregime, das sie ausgelöst hat. Die meisten
 Kämpfe finden auf lokaler, regionaler oder maximal auf nationaler Ebene
 statt, von transnationaler Solidarität gegen die Austeritätsprogramme 
der Troika kaum eine Spur. Als die griechische Bevölkerung nach Jahren 
des Straßenprotestes versuchte, ihrer Ablehnung der Sparprogramme durch 
die Wahl einer linkssozialdemokratischen Regierung („Syriza“) Ausdruck 
zu verleihen, wurde diese von den großen sozialdemokratischen Parteien 
und Gewerkschaften Europas derart im Regen stehen gelassen, dass sie 
schließlich alle bitteren Pillen schluckte und nun jene 
Austeritätsprogramme umsetzt, die zu verhindern sie angetreten war. 
Damit hat nicht nur Syriza politischen Selbstmord begangen, sondern die 
sozialdemokratischen Parteien und Gewerkschaften der großen europäischen
 Staaten haben deutlich gemacht, dass sie nicht einmal eine graduelle 
Entschärfung der neoliberalen Agenda anstreben und somit politisch 
völlig obsolet sind.
Dass selbst der IWF die Austeritätsprogramme für Griechenland für nicht 
zielführend hält und einen Schuldenschnitt anmahnt, macht nur noch 
deutlicher, was ohnehin auf der Hand liegt: Im Fall Griechenlands ging 
es immer zuerst um eine politische Machtfrage. Schäuble und Co. ging es 
darum, deutlich zu machen, dass es keine Alternative zum herrschenden 
Wirtschaftssystem gibt, ganz gleich, wen die Leute wählen. Damit 
markiert das Scheitern der Syriza-Regierung in Griechenland aber auch 
jenen Punkt, an dem die traditionellen Muster der politischen 
Repräsentation im Parlamentarismus vollkommen ins Leere laufen.
Natürlich gab es in den letzten Jahren verschiedene Bewegungen in 
zahlreichen Ländern, die sich explizit oder implizit auch gegen den 
Kapitalismus, seine Krise und die Krisenbearbeitung der herrschenden 
Eliten gestellt haben: die Platzbesetzungen in Spanien, die 
Occupy-Bewegung in den USA, die Proteste gegen die weitere 
„Deregulierung“ des Arbeitsmarktes in Frankreich usw. Was aus unserer 
Sicht aber oft fehlte, waren Resonanzeffekte in anderen Regionen und der
 explizite Versuch, auf das große Ganze ab zu zielen. Ein wesentlicher 
Grund dafür war sicher der Umstand, dass zentrale politische Akteure, 
die eine Transnationalisierung ermöglichen könnten, sich faktisch von 
jeder Form internationaler Solidarität verabschiedet haben. Ein 
europäischer Streik gegen die immer weiter voranschreitende 
„Deregulierung“ des Arbeitsmarktes oder für einen europäischen 
Mindestlohn ist heute – zumindest aus deutscher Sicht – eine bloße 
Chimäre: „Sozialpartnerschaft“ und Standortdenken prägen die politische 
Agenda der DGB-Führung. Ohne gesellschaftliche Institutionen als 
Transmissionsriemen, aber sind ‚große Themen’ schwer anzugehen, 
dementsprechend verlagern sich Bewegungsakteure zumeist auf kleinere, 
oft lokale Konflikte, anhand derer aber wiederum Netzwerke 
transnationaler Solidarität nur schwer aufgebaut werden können.
Wohl auch aufgrund mangelnder internationaler Solidarität ist der 
anfangs gerade in den besonders betroffenen Ländern Südeuropas starke 
Widerstand abgeebbt. Er ist von der großen politischen Bühne 
verschwunden, oder aber, wie z.B. im Fall von Podemos in Spanien, so 
kanalisiert worden, dass er mittelfristig in die politische Maschinerie 
integriert werden kann. Ein Gefühl der Ohnmacht scheint um sich zu 
greifen. Verantwortlich dafür ist eine Krise der Repräsentation: 
Demonstrationen, Proteste, Riots, Wahlen – alles bleibt weitgehend 
wirkungslos, was die Spardiktate betrifft.
In der Krise offenbart der neoliberale Finanzkapitalismus damit einen 
seiner zentralen Wesenszüge: Er ist ein deterritorialisiertes 
Regulationsregime, in dem nicht nur die „Wertschöpfungsprozesse“, 
sondern auch die herrschende Klasse immer weniger in einem 
nationalstaatlichen Gefüge verankert sind. Während fordistische Eliten 
noch in einem hohen Maß auf nationalstaatlich organisierte Prozesse der 
„Wertschöpfung“ (=Ausbeutung) und Hegemoniebildung angewiesen waren und 
ein enger Nexus zwischen dem wachsenden Konsumniveau breiter 
Gesellschaftsschichten und den Profiten der Kapitalist*innen bestand, 
sind diese Kopplungen heute außer Kraft gesetzt.
Diese Tatsache ist zwar den meisten Menschen in Europa nicht explizit 
bewusst, doch ein implizites, oft verzerrtes Bewusstsein existiert sehr 
wohl und leistet oft jener Tendenz der (imaginären) 
Reterritorialisierung Vorschub, die allerorts von reaktionären Kräften 
betrieben wird: Stärkung der nationalen (oder regionalen) Identitäten 
als Gegenmittel zum faktischen Bedeutungsverlust nationaler Räume im 
Hinblick auf die wirtschaftliche, politische und soziale Regulation.
Vor dem Hintergrund der hier nur knapp umrissenen Dynamiken von Krise 
und Krieg wollen wir nun auf die konkreten gesellschaftlichen 
Widersprüche und Kämpfe zu sprechen kommen, die die gegenwärtige 
Situation prägen: die globalen Migrationsbewegungen und die Renaissance 
des Nationalismus in Europa und den USA.
Von der Krise zum Rechtsruck: ‚Brexit‘ und Trump
Mit Großbritannien hat sich eines der wirtschaftlich und politisch 
wichtigsten Länder aus der europäischen Gemeinschaft verabschiedet. Der 
Ausgang des Brexit-Referendums lief dabei gegen die herrschende 
kapitalistische Vernunft: Der globale Finanzplatz London droht durch den
 EU-Austritt schweren Schaden zu nehmen, an den Finanzmärkten kam es in 
Folge des Brexits zu harten Einbrüchen und der Wert des Pfunds fiel auf 
ein Rekordtief. All dies war völlig vorhersehbar und trotzdem nicht 
entscheidend für den Ausgang des Referendums.
Offensichtlich wird die EU immer weniger mit dem Versprechen wachsenden 
Wohlstands und einer Angleichung der ökonomischen und sozialen 
Verhältnisse assoziiert. So haben die nostalgische Sehnsucht nach der 
„guten alten Zeit“ des fordistischen Wohlfahrtsstaates sowie die 
Ressentiments gegenüber der EU und der mit ihr verbundenen Einwanderung,
 die von den Brexit-Apologeten zum Sündenbock für das gescheiterte 
neoliberale Modell in Großbritannien gemacht wurde, gesiegt. Mit dem 
britischen Votum für den EU-Austritt triumphiert der Nationalismus 
gegenüber einer Globalisierung neoliberaler Prägung.
Die Hoffnung auf eine Restauration des nationalen Wohlfahrtsstaates, die
 manche Austrittsbefürworter getrieben haben mag, bleibt angesichts der 
transnational agierenden Kapital- und Finanzmarktakteure und der  
wirtschaftsliberalen Agenda der britischen Eliten utopisch: Die 
britische Regierung versucht bereits jetzt durch Steuerdumping einer 
drohenden Kapitalflucht zu begegnen.
Während die politische Klasse Europas noch schockiert nach London 
starrte, ereignete sich jenseits des Atlantiks ein politisches Desaster,
 das noch weit höhere Wellen schlägt: Donald Trump zog ins Weiße Haus 
ein. Ohne hier genauer auf die Gründe für Trumps Wahlsieg und seine 
ebenso  reaktionäre wie gefährliche Politik eingehen zu können, liegt 
eines auf der Hand: Der Brexit und die Wahl Trumps folgen dem gleichen 
Muster. Beide stehen für die Aufkündigung des herrschenden politischen 
Konsenses, der „den Westen“ in den letzten Jahrzehnten prägte: 
Neoliberalismus, Freihandel und relativer gesellschaftlicher 
Liberalismus werden durch ein reaktionäres Projekt ersetzt, das auf 
Nationalismus, partiellen Protektionismus und gesellschaftlichen 
Rollback setzt.
Trump hat schnell klar gemacht, wie ernst er die Rhetorik seines 
Wahlkampfes meinte: Seine innenpolitische Agenda vom geplanten Mauerbau 
an der Grenze zu Mexiko  über Abschiebungen „illegaler“ Migrant*innen 
bis zum Einreiseverbot für Muslime schafft ein gesellschaftliches Klima 
des offenen Rassismus. Während innenpolitisch also eine Verwandtschaft 
zwischen Trumps Programm und dem europäischer Neonationalisten wie Orban
 konstatiert werden könnte, sind die außenpolitischen Auswirkungen der 
Präsidentschaft Trumps noch kaum abschätzbar: Angesichts 
apokalyptisch-faschistoider Berater à la Bannon erscheint jede Form 
außenpolitischer Eskalation, bis hin zu einem Krieg gegen China denkbar.
Die deutsche Regierung nimmt das Gepolter aus Washington zum Anlass, um 
eine radikale Erhöhung der Militärausgaben zu fordern; mit dem Argument,
 nur so seien die USA dauerhaft auf ihre „Solidarität“ in der NATO zu 
verpflichten. Wenn es überhaupt ein außenpolitisches Problem mit Trump 
gibt, dann nur, weil er aufgrund seiner angeblichen Nähe zu Putin 
Russland gegenüber nicht zu einer harten Haltung in der Lage sei.
Nur eine Fraktion der herrschenden Klasse scheint uneingeschränkt 
optimistisch in die Zukunft zu blicken – die US-(Finanz-)Wirtschaft: Der
 Dow Jones feiert ein Allzeithoch nach dem anderen. Milliardäre und 
ehemalige Goldman-Sachs-Banker in Kabinett und Beraterstab werden u.a. 
mit Steuersenkungen dafür sorgen, dass sich auch im neuen 
Regulationsregime Profit erwirtschaften lässt; durch die völlige 
„Privatisierung“ der Bildung, eine Förderung fossiler Energieträger oder
 eben durch den Bau einer 3000 Kilometer langen Mauer.
Ähnliche reaktionäre Tendenzen wie in Großbritannien und den USA 
zeichnen sich u.a. in Frankreich, den Niederlanden, Österreich und 
zahlreichen Staaten Osteuropas ab, so dass ohne Zweifel von einer 
politischen Zeitenwende gesprochen werden kann. Wer dachte, die 
Freihandelsdoktrin der letzten Jahrzehnte sei innerhalb des 
kapitalistischen Systems inzwischen alternativlos, sieht sich eines 
Besseren belehrt: Das Dogma der letzten Jahrzehnte lautete TINA („there 
is no alternative“), das neue lautet gewissermaßen „there is an 
alternative – and it’s even worse!“
Angesichts dieser bedrohlichen Welle vollzieht sich gerade eine paradoxe
 Verschiebung der Perspektiven: Das bisher von linken Kräften politisch 
bekämpfte Projekt des Neoliberalismus, das gerade vor dem Hintergrund 
der aktuellen ökonomischen Krise und der immer deutlicher werdenden 
ökologischen Krise jeden letzten Rest politischer Legitimität verspielt 
zu haben schien, erfährt angesichts von Trump und Co. eine 
Relegitimierung. Die Tatsache, dass gerade die verheerenden 
gesellschaftlichen Konsequenzen von zwei bzw. drei Jahrzehnten 
Neoliberalismus den Nährboden für den reaktionären Rollback bereitet 
haben, dem wir uns zur Zeit gegenübersehen, droht in den Hintergrund zu 
geraten.
Wir sind als Linke nicht gewillt, zwischen neoliberaler Pest und 
nationalistischer Cholera zu wählen, sondern wir wollen eine völlig 
andere Gesellschaft. Wir müssen versuchen, uns von den jüngsten Siegen 
des Neonationalismus nicht den Blick auf jene Tatsache verstellen zu 
lassen, die ihnen zugrunde liegt: die umfassende Legitimationskrise des 
kapitalistischen Akkumulationsregimes der letzten Jahrzehnte und die 
daraus resultierende Repräsentationskrise des politischen Systems. Dass 
diese Repräsentationskrise z.Z. nur reaktionären Projekten zum Erfolg 
verhilft, ist auch Ausdruck der eklatanten politischen Schwäche der 
institutionellen Linken. Für uns als radikale Linke sollte beides, die 
Repräsentationskrise des bestehenden Systems und das Vakuum auf der 
Linken, Ansporn sein politisch zu intervenieren.
Aufrüsten der Festung Europa
Nicht nur der Brexit machte die schwindende Bindekraft der EU zuletzt 
deutlich: Auch in der sogenannten ‚Flüchtlingskrise‘ konnten sich die 
EU-Staaten lange nicht auf ein gemeinsames Vorgehen verständigen. 
Während das sogenannte ‚Dublin-System‘ unter dem Druck der 
Migrationsbewegungen zwischenzeitlich faktisch zusammengebrochen war, 
gelang es der EU nicht, sich auf ein neues Verfahren der Aufnahme und 
Verteilung der geflüchteten Menschen zu einigen. Auch die auf die 
Flüchtlingsbewegungen folgende Abschottung der Grenzen entlang der 
Balkanroute setzte sich zunächst in Form nationaler Alleingänge durch.
Erst mit dem ‚Türkei-Deal‘ gelang es der EU die Initiative in der 
„Flüchtlingsabwehr“ wieder zurück zu gewinnen. Für die „Sicherung“ der 
europäischen Außengrenzen und die Internierung der Geflüchteten in 
großen Auffanglagern an der syrisch-türkischen Grenze zahlt die EU der 
Türkei bis zu 6 Milliarden Euro. Außerdem wurden der türkischen 
Regierung zunächst die Aufhebung der Visapflicht und Fortschritte bei 
den EU-Beitrittsverhandlungen in Aussicht gestellt. Alle Geflüchteten, 
die es auf eigene Faust bis nach Griechenland schaffen, sollen umgehend 
wieder zurück geschoben werden. Seit Abschluss des ‚EU-Türkei-Deals‘ 
schweigen die europäischen Regierungen zu allen Verletzungen der 
Menschenrechte und autoritären Entwicklungen im Land: Das autoritäre 
AKP-Regime verwandelt sich unter der despotischen Führung von Erdoğan in
 eine brutale Diktatur, die den Militärregimes in der jüngsten 
türkischen Vergangenheit in nichts nachsteht.
Durch den ‚Türkei-Deal‘ werden die flüchtenden Menschen gezwungen, sich 
auf immer gefährlichere und teurere Passagen zu begeben. Die 2016 noch 
einmal stark gestiegene Zahl der Toten im Mittelmeer ist eine direkte 
Konsequenz der europäischen Abschottungspolitik. Doch auch die 
Abdrängung der Migrationsrouten ins Bürgerkriegsland Libyen mitsamt der 
hochgefährlichen anschließenden Bootspassage durch das zentrale 
Mittelmeer scheint den EU-Strategen als Abschreckung nicht ausreichend: 
Als nächstes soll ein Deal mit Libyen ähnlich dem Türkei-Deal her, 
ungeachtet der Tatsache, dass das Land vom Bürgerkrieg zerrissen ist und
 keine der konkurrierenden ‚Regierungen‘ überhaupt das gesamte 
Territorium kontrolliert. Die EU wird hier wohl „nation building“ im 
Zeichen der „Flüchtlingsabwehr“ betreiben. Wer es trotz allem hierher 
schafft, soll dann möglichst bald wieder abgeschoben werden, auch wenn –
 wie in Afghanistan – im Herkunftsland ein Krieg tobt, der jedes Jahr 
mehr Zivilist*innen das Leben kostet.
Nach dem Sommer der Migration
Der „globale Krieg“ brach nicht nur punktuell in Gestalt der jüngsten 
Anschläge ins Bewusstsein der Menschen in Europa, weitaus nachhaltiger 
prägte er das Jahr 2015 auf indirektem Weg durch die 
Migrationsbewegungen: Millionen von Menschen sahen sich gezwungen ihre 
Herkunftsländer zu verlassen und einige von ihnen versuchten sich nach 
Europa durch zu schlagen, in der Hoffnung dort Schutz und die Chance auf
 ein Leben in Würde zu finden. Es ist kein Zufall, dass unter den 
Herkunftsländern der Geflüchteten, die letztes Jahr nach Deutschland 
kamen, Syrien, Afghanistan und Irak ganz vorne rangierten. Alle drei 
Länder sind Schauplätze des „globalen Krieges gegen den Terror“.
Auf eine geopolitische Analyse der genannten Konflikte soll hier 
verzichtet werden. Uns scheint es an dieser Stelle wichtiger zu sein, 
nach den Perspektiven für eine antirassistische Politik zu fragen.
Nachdem das massenhafte Sterben an den EU-Außengrenzen in der  
Vergangenheit jenseits antirassistischer und linker Kreise nur für wenig
 Empörung und Protest gesorgt hatte, veränderte sich der herrschende 
Diskurs in der BRD im Sommer 2015. Viel mehr Refugees als in den letzten
 Jahren versuchten nach Deutschland zu gelangen und anders als viele von
 uns erwartet hätten, beteiligten sich tausende Menschen spontan an 
Begrüßungs- und Hilfsaktionen. So erfreulich dies war, so heuchlerisch 
war die offizielle Begleitmusik von Merkels „Wir schaffen das“ über den 
omnipräsenten Neologismus der „Willkommenskultur“ bis zu Gaucks 
unerträglichem Gewäsch vom „hellen Gesicht Deutschlands“.
Linke Versuche in der Welle der Hilfsbereitschaft antirassistischen 
Forderungen Nachdruck zu verleihen, entpuppten sich bald als schwierig: 
Viele wollten helfen, waren aber nicht für ein weitergehendes 
politisches Handeln zu gewinnen. Helfer*innenkreise und antirassistische
 Gruppen interagierten nur punktuell, Radikalisierungsprozesse der 
Helfer*innen angesichts der offensichtlichen Unmenschlichkeiten der 
deutschen Flüchtlingspolitik blieben lange Zeit die Ausnahme. Ob sich 
dies nun angesichts der Abschiebeoffensive ändern wird, bleibt 
abzuwarten, zumindest scheint es in vielen Helfer*innenkreisen zu 
rumoren.
Auch der andere logisch erscheinende politische Schulterschluss, nämlich
 der mit Menschen, die als Refugees oder Arbeitsmigrant*innen nach 
Deutschland gekommen sind, scheint sich bisher nur partiell 
einzustellen. Als kollektives politisches Subjekt wurden die Flüchtenden
 vor allem dort medial sichtbar, wo ihnen auf ihrem Weg die Weiterreise 
verwehrt wird (Calais, Idomeni usw.). Am Ziel ihrer Reise angekommen, 
verwandelt sich das politische Agieren oft in Praktiken des 
Alltagswiderstandes und verschwindet so aus dem medialen Fokus. Auch 
erschweren der prekäre Aufenthaltsstatus, die Alltagsprobleme in den 
Erstaufnahmelagern und Gemeinschaftsunterkünften und das deutsche 
Asylrecht, mit seiner strategischen Spaltung der Geflüchteten in 
möglichst viele Untergruppen mit unterschiedlichem Status, Prozesse der 
politischen Selbstermächtigung.
Dennoch gibt es einige ermutigende Beispiele für den Versuch von 
Migrant*innen und linken Gruppen gemeinsam für elementare (soziale) 
Rechte zu kämpfen, wie zum Beispiel die Protestcamps und Hungerstreiks 
von Geflüchteten in der Münchener Innenstadt, die eindrucksvollen 
Protestmärsche Geflüchteter, das Protestcamp am Oranienburger Platz in 
Berlin, die antirassistischen Aktionstage gegen das zentrale 
Abschiebelager in Bamberg im Sommer 2016 und die jüngsten 
Demonstrationen gegen Abschiebungen nach Afghanistan, sind wichtige 
Beispiele für gemeinsame Kämpfe von Refugees und einheimischen 
Aktivist*innen. Allerdings fehlt bei allen diesen Kämpfen die breite 
gesellschaftliche Solidarisierung, die im Herbst 2015 angesichts der 
Ankunft von zehntausenden Geflüchteten am Münchener Bahnhof so 
eindrucksvoll zum Ausdruck kam. Trotzdem: Refugees sind durch ihre 
Kämpfe in den letzten Jahren auch hier zu einer wichtigen politischen 
Bewegung geworden, die sich nicht nur an antirassistischen Kämpfen 
beteiligt.
Migration und Klassengesellschaft
Jenseits der politischen Kämpfe, die gemeinsam mit Geflüchteten, 
Migrant*innen und all jenen geführt werden müssen, die bereit sind sie 
zu unterstützen, stellt sich die Frage, welche längerfristigen 
gesellschaftlichen Entwicklungen sich im Kontext von Migration und 
Sozialabbau absehen lassen: Auch in Deutschland erscheint eine weitere 
Unterschichtung der Gesellschaft mit den dazugehörigen Tendenzen der 
Verelendung wahrscheinlich. Neben Hartz IV-Bezieher*innen, 
Aufstocker*innen, prekär Beschäftigten und einer rapide zunehmenden Zahl
 von „Altersarmen“, werden zunehmend Menschen treten, die als 
„Ausreisepflichtige“ oder „EU-Ausländer“ keinerlei Anspruch auf 
Sozialleistungen und keine Chance auf einen regulären Job haben. Es 
drohen Szenarien, wie sie bis vor kurzem z.B. aus Italien bekannt waren,
 wo hunderte obdachlose Geflüchtete rund um die Bahnhöfe großer Städte 
auf der Straße schlafen oder in leerstehende Gebäude einziehen, um in 
regelmäßigen Abständen vertrieben, aber eben nicht untergebracht zu 
werden.
Die Unterschichtung der Gesellschaft bietet aus Sicht des deutschen 
Kapitals mit Sicherheit einige Vorzüge. Die Forderung deutscher 
Arbeitgeberverbände nach ‚Lockerung’ des Mindestlohns für Geflüchtete 
ist nur ein Beispiel. Die sozialpolitische Kehrseite der Medaille, die 
um sich greifende Verelendung, ist aus Sicht der kapitalbesitzenden 
Klasse wenig wünschenswert, da der relative soziale Friede hierzulande 
eine wesentliche Grundlage der Herrschaft eben dieser Klasse darstellt. 
Diese Ruhe wird man sich nicht nehmen lassen wollen und so droht auch 
vor dem Hintergrund von Illegalisierung, Prekarisierung und Sozialabbau 
eine ähnliche Entwicklung wie jene, die der „globale Krieg“ katalysiert.
Der Ausnahmezustand wird also einen Doppelcharakter annehmen, da die 
Innenstädte nicht nur eine Front im „globalen Krieg gegen den Terror“, 
sondern auch im nationalen/lokalen Krieg gegen die „gefährlichen 
Klassen“ sein werden – den ‚südosteuropäischen Einbrecherbanden‘ zum 
Beispiel, vor denen Bremens Polizeichef 2016 warnte.
Die Anschläge von Paris, Brüssel, Nizza und Berlin, die Übergriffe der 
Kölner Silvesternacht und die tägliche rassistische Berichterstattung 
haben im hegemonialen Diskurs einen spezifischen ‚Tätertypus’ entstehen 
lassen: der junge muslimische Mann, als potentieller Klein- und 
Gewaltkrimineller, Vergewaltiger und Terrorist.  Hier drohen 
Kriegsrhetorik, Terrorangst, die Zerschlagung sozialstaatlicher 
Sicherungssysteme und der wachsende (antimuslimische) Rassismus, eben 
jene Täter real hervorzubringen, vor denen dann Sonderkommandos und 
Sondergesetze „Schutz“ versprechen.
Die AfD als Krisenprofiteur
Das politische Kapital aus der Zuspitzung der verschiedenen 
Krisenprozesse schlägt bisher die radikale Rechte: Spätestens mit den 
Wahlerfolgen der AfD in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und 
Baden-Würtemberg im März 2016 sehen wir uns einem gesellschaftlichen 
Rechtsruck gegenüber, der in den Pegida-Demonstrationen Ende 2014 seinen
 Anfang genommen hat. Aus der Kleinpartei mit neoliberaler und 
erzkonservativer Agenda, ist innerhalb eines Jahres eine Partei 
geworden, die sich als Sammlungsbewegung am rechten Rand des 
Parteienspektrums zu etablieren scheint und die Rolle des FN in 
Frankreich oder der FPÖ in Österreich übernehmen könnte. Mit einer 
Mischung aus völkischem Nationalismus, Islamophobie, Wertkonservatismus 
und extremem Neoliberalismus kann die AfD sowohl bei den gutbürgerlichen
 Sozialrassisten punkten, die vor ein paar Jahren Sarazins Publikum 
bildeten, als auch bei Teilen der Deklassierten und Prekären, 
beziehungsweise jenen, die dieses Schicksal auf sich zukommen sehen.
So ist es der AfD längst gelungen, weit über das klassisch 
rechtsradikale Lager hinaus breite Schichten der Bevölkerung unter ihrem
 Dach zu sammeln und für ihr reaktionäres Projekt zu mobilisieren. Die 
AfD vereint ein breites gesellschaftliches Spektrum von 
fundamentalistischen Christen, über konservative Professoren und 
Publizisten, reaktionäre Teile des Adels, mittelständische Unternehmen 
und Familienbetriebe, weiße Facharbeiter*innen und 
Kleingewerbetreibende, bis hin zu prekären Niedriglöhner*innen und 
Hartz-IV-Empfänger*innen.
Erstaunlich ist, dass es der AfD trotz ihrer offen neoliberalen Agenda 
gelingt, sowohl unter Gewerkschaftsmitgliedern als auch in armen 
Stadtteilen überproportional viele Wähler*innenstimmen zu holen. So hat 
die AfD in Baden-Württemberg mit einem Anteil von 30 Prozent der Stimmen
 von Arbeitnehmer*innen die SPD als ‚Arbeiterpartei‘ weit hinter sich 
gelassen. Die inhaltlich stark neoliberal geprägte Partei schafft es 
also, sich auch als soziale Alternative zu den etablierten Parteien zu 
präsentieren und so u.a. das Vakuum zu füllen, das der Niedergang der 
SPD hinterlassen hat.
Doch die AfD ist nicht nur eine Wahl-, sondern auch eine 
Bewegungspartei: Mit Pegida, den Demos für Alle, den 
Tausend-Kreuze-Märschen und den zahlreichen lokalen Ausschreitungen 
gegen Flüchtlingsunterkünfte, existiert eine vielfältige soziale 
Bewegung von rechts, die der AfD als Resonanzraum und 
Mobilisierungspotenzial dient.
Auf dem politischen Parkett gelingt es der AfD erfolgreich mit einer 
Strategie des kalkulierten Tabubruchs den politischen Diskurs immer 
weiter nach rechts zu verschieben. Nach jeder krassen Ansage einer 
AfD-Protagonist*in in den Medien – Schießbefehl an der Grenze, 
Rehabilitierung des Begriffs „völkisch“, Wende der Erinnerungspolitik um
 180 Grad usw. – erfolgt eine partielle Korrektur durch eine andere 
AfD-Politiker*in, jedoch ohne tatsächliche Distanzierung, um dann wieder
 gemeinsam das neu eröffnete diskursive Terrain zu besetzen. Einen 
negativen Einfluss auf die Wählergunst haben die zahlreichen mit der 
Partei verbundenen politischen Skandale und internen Konflikte bisher 
nicht: Die AfD scheint eher wegen als trotz ihrer konsequenten 
Radikalisierung so erfolgreich zu sein.
Die Reaktionen von Seiten der Sozialdemokratie, der Gewerkschaften und 
der Partei ‚Die Linke‘ auf diesen gefährlichen Trend schwanken bisher 
zwischen Hilflosigkeit und Anbiederung an die verlorene Klientel. Anders
 die CSU: Sie liefert sich in Sachen Flüchtlingspolitik einen Wettstreit
 mit der AfD um die Enttabuisierung rechtsextremer Positionen. Die 
Verbreitung rassistischer und nationalistischer Rhetorik im etablierten 
politischen Diskurs, ist ein weiterer Baustein auf dem Weg zur 
Normalisierung des „Rechtsrucks“. So bleibt die angebliche 
„Flüchtlingskrise“ trotz stark sinkender Flüchtlingszahlen immer noch 
das alles dominierende politische Konfliktthema. Der AfD ist es 
gelungen, das bisherige politische Parteienspektrum aufzubrechen und die
 Krise der ehemaligen „Volksparteien“ dramatisch zu verschärfen.
Radikale Linke waren bisher nicht dazu in der Lage, auf diese 
Entwicklung eine adäquate Antwort zu geben: Klassische Antifa-Strategien
 im Umgang mit dem neuen Rechtspopulismus, die vor allem auf die 
Recherche und Skandalisierung von personellen Überschneidungen und 
Querverbindungen ins offen neonazistische Spektrum setzen, bleiben  
weitgehend wirkungslos. Kampagnen wie ‚Nationalismus ist keine 
Alternative‘ und die Mobilisierungen gegen AfD-Parteitage in Stuttgart 
oder in Werl/NRW entwickeln wenig Ausstrahlungskraft über die radikale 
Linke hinaus.
Notwendig erscheint uns eine offensive und möglichst breit getragene 
gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der AfD als Motor und 
wirkmächtigstem Ausdruck des aktuellen rechten Projekts. Um die soziale 
Selbstbemäntelung der Partei – gemeinsam mit ihrem Nationalismus, 
Rassismus, Antifeminismus und Antisemitismus – anzugreifen, erscheint es
 notwendig, die soziale Frage von links wieder in den Fokus unserer 
Politik zu rücken und mit den Fragen von Migration und „globalem Krieg“ 
 zu koppeln. Angesichts der weiter bestehenden Krise des Kapitalismus 
und der politischen Repräsentation sowie der reaktionären 
gesellschaftlichen Tendenzen finden wir es wichtig, überzeugende eigene 
Inhalte formulieren und konkrete soziale Alternativen entwickeln.
Was tun?
Die gegenwärtige Orientierungslosigkeit und Marginalität der radikalen 
Linken hat zahlreiche Ursachen: Da ist zum einen der sich immer weiter 
steigernde Verwertungsdruck, der zu wachsendem Stress (z.B. im Studium) 
und Prekarität führt, so dass vielen schlicht die Zeit fehlt, sich 
politisch zu engagieren. Zugleich verstärkt der Neoliberalismus die 
Individualisierung und untergräbt die Bereitschaft zum kollektiven 
Handeln.
Allerdings ist es nicht nur die neoliberale Subjektivität, die 
kollektives politisches Handeln marginalisiert, es ist auch die Tendenz 
in der deutschen radikalen Linken Alltagsprobleme als individuelle 
Probleme zu begreifen und sich so zwar einen theoretischen 
Antikapitalismus auf die Fahnen zu schreiben, aber diesen kaum in 
konkrete Kämpfe gegen die kapitalistischen Zumutungen im hier und jetzt 
zu übersetzen. Im Gegenteil: Oft werden konkrete (z.B. 
gewerkschaftliche) Auseinandersetzungen als Ausdruck reformistischer 
Realpolitik belächelt, die das große Ganze ohnehin nicht ändern könnten –
 ganz so als ob die faktische Passivität diesen Auseinandersetzungen 
vorzuziehen sei, da so zumindest die theoretischen Ideale nicht in 
Mitleidenschaft gezogen würden. Diese Form der Selbstreferenzialität 
erscheint uns in vielen anderen europäischen Ländern weit weniger 
verbreitet und eine wesentliche Blockade für eine radikale Linke in der 
BRD, bei dem Versuch wieder gesellschaftliche Relevanz zu erlangen.
Zuletzt fehlte es uns zudem oft an Resonanzräumen: Entweder die radikale
 Linke dominierte eigene (meist recht überschaubare) Kampagnen und blieb
 dann weitgehend unter sich (wie z.B. bei der Mobilisierung gegen den 
AFD-Parteitag in Stuttgart), oder aber andere politische Kräfte 
initiierten Kampagnen und die radikale Linke blieb vollkommen unsichtbar
 (wie z.B. bei den Anti-TTIP/CETA-Protesten). Besonders deutlich wurden 
die gegenwärtigen Probleme in Sachen Bündnispolitik anlässlich der 
Proteste gegen den G7 2015 in Garmisch: Das zunächst von relativ 
radikalen Kräften geprägte Bündnis wurde von Campact gespalten, um 
Zeitpunkt, Ort und Charakter des Protests eigenständig bestimmen zu 
können. Radikale Kräfte im Bündnis waren zurecht empört, was aber wenig 
half, zumal Campact etwa 10 Mal so viele Leute nach München 
mobilisierte, wie die radikalen Kräfte nach Garmisch. In Zeiten von 
Profi-Campaigner*innen (nicht selten prekarisierte Genoss*innen) 
scheinen unsere traditionellen Vorstellungen von Bündnispolitik nicht 
mehr richtig zu greifen.
Der Mangel an „echter“ – sprich: produktiv-konfliktgeladener –  
Zusammenarbeit über Spektrengrenzen hinweg wird ergänzt durch das 
weitgehende Fehlen internationaler Kooperation. Die Versuche 
internationaler Kampagnen und Mobilisierungen blieben zuletzt von sehr 
begrenztem Erfolg: Blockupy Frankfurt hat zwar als Event funktioniert, 
weil v.a. auch mit militanten Aktionsformen ein Zeichen gesetzt wurde, 
allerdings blieben die beteiligten internationalen Netzwerke sehr 
überschaubar und somit auch die aus den Ereignissen resultierende 
Dynamik sehr begrenzt.
Um einen Weg aus unserer derzeit marginalen Position zu finden, halten 
wir es für zentral die soziale Frage wieder ins Zentrum unseres Handelns
 zu rücken. Das heißt zum einen die Dinge, die uns direkt und alltäglich
 betreffen, wieder verstärkt zum Gegenstand unserer Politik zu machen: 
Gentrifizierung und Verdrängung in unseren Stadtteilen, Prekarisierung, 
Arbeitshetze und Lohndumping an unseren Arbeitsplätzen oder 
Maßnahmenterror und Kürzungen auf ALG II, Altersarmut als 
Zukunftsperspektive für die Bevölkerungsmehrheit usw. Die an all diesen 
Punkten zu entwickelnden Kämpfe werden nicht in jedem Fall höchsten 
revolutionären Ansprüchen gerecht werden, sie werden zu ‚lokal‘, zu 
‚reformistisch‘ zu sehr geprägt von der minimalistischen Agenda 
potentieller Bündnispartner wie Gewerkschaften, Mietervereine o.ä. sein.
 Dennoch tun genau diese Auseinandersetzungen Not, wenn die radikale 
Linke nicht zum jugendkulturellen Nischenphänomen werden will, das 
einzig durch seinen – allerdings sehr wichtigen – antifaschistischen 
Aktivismus politisches Profil gewinnt.
Dabei gilt es bei aller Bündnisfähigkeit und Offenheit gegenüber 
moderaten Kräften die eigene Radikalität nicht aufzugeben: Eine 
(post-)autonome Linke als integraler Bestandteil und radikaler Flügel 
einer breiten sozialen Bewegung – dieses Ideal sollten wir nicht 
aufgeben, auch wenn es derzeit scheint, als ob uns nicht nur die Stärke,
 sondern auch die soziale Bewegung insgesamt fehlt.
Die soziale Fragen ins Zentrum rücken heißt aber auch die sich 
verschärfenden sozialen Widersprüche in jenen Politikfeldern in den 
Blick zu nehmen, die wir gezwungenermaßen weiterhin beackern werden: Die
 AfD ist eben nicht nur als rassistisches, nationalistisches und 
antifeministisches Projekt zu bekämpfen, sondern verstärkt auch als  
autoritäre Spielart der kapitalistischen Vergesellschaftung. Die 
Deklassierten unter den Wählern der AfD haben ganz offensichtlich viel 
reaktionäre Scheiße in ihren Köpfen, doch zwei Facetten ihrer Weltsicht 
sind nicht gänzlich von der Hand zu weisen: Die soziale Schere geht 
immer weiter auf und weder die etablierten Parteien noch die Medien oder
 die zentralen Akteure der Zivilgesellschaft repräsentieren bzw. 
artikulieren das (ebenso berechtigte wie unreflektierte) Gefühl 
wachsender Teile der Bevölkerung beschissen zu werden. Dass gerade eine 
Partei neoliberaler Hardliner zum Artikulationsorgan dieses Gefühls 
wird, ist eine Absurdität und muss als solche thematisiert werden. 
Wollen wir die soziale Frage aber zu einem wesentlichen Aspekt unseres 
Kampfes gegen Rechts machen, stellt sich die Frage, wer hier ein 
geeigneter Bündnispartner ist: SPD und Grüne mögen gegen den völkischen 
Rassismus der AfD sein, sozialpolitisch sind sie aber für vieles von dem
 verantwortlich, woraus die AfD jetzt Kapital schlägt.
Wir müssen versuchen, an neuralgischen Punkten deutlich zu machen, wie
die verschiedenen Formen der Ausbeutung, Unterdrückung und Ausgrenzung 
verschränkt sind, und dieses Bewusstsein zum Ausgangspunkt eines 
gemeinsamen Kampfes um soziale Rechte machen: Fortschreitende 
Gentrifizierung und die Verdrängung der bisherigen Bewohner*innen eines 
Stadtteils kann z.B. verknüpft werden mit dem Kampf migrantischer 
Tagelöhner*innen um Wohnraum und dem Kampf von Geflüchteten gegen ein 
Lagersystem, das jeder Vorstellung eines selbstbestimmten Lebens 
diametral entgegensteht. Das Ziel ist ein gemeinsames: Wohnraum für 
Alle! Wir finden es wichtig, dass sich derlei lokale Kämpfe in eine 
größere, internationale Bewegung einbinden, sonst bleiben sie punktuell 
und ohne eine  radikale Perspektive.
Genau solche Formen internationaler, spektrenübergreifender 
Zusammenarbeit wird es brauchen, wenn wir jener Tendenz begegnen wollen,
 die sich derzeit überall in Europa abzeichnet: ein politisches Feld, 
das durch die Opposition von elitärem neoliberal-aufgeklärtem Mainstream
 und erstarkendem pseudo-antielitärem Nationalismus geprägt ist und in 
dem links des Neoliberalismus ein Vakuum klafft. Die radikale Rechte 
repräsentiert wachsende Teile der subalternen Klassen: Die einst von 
Gewerkschaften und linken Parteien mit geschaffene und repräsentierte 
Klassenidentität ist deren Transformation zu „New Labour“ zum Opfer 
gefallen und allzu oft durch einen Rückgriff auf nationalistische und 
rassistische Identifikationsmuster ersetzt worden.
Wir stehen also vor einem Paradox: Während die Krise des globalen 
Kapitalismus seit 2007 und die offensichtliche Krise der politischen 
Repräsentation in Europa und den USA, die sich in dem weitgehenden 
Vakuum links des Neoliberalismus manifestiert, eigentlich ein idealer 
Ausgangspunkt für linke Bewegungen sein müsste, erscheinen diese zu sehr
 in Abwehrkämpfen verfangen und von sich überschlagenden 
Negativentwicklungen desorientiert. Als ersten Schritt hin zu mehr 
gesellschaftlicher Relevanz sollten wir als radikale Linke unser 
Auftreten überdenken: Statt Szeneritualen, Verbalradikalismus und 
jugendkulturell geprägter Selbstdarstellung geht es darum, einen 
Politikstil entwickeln, der Offenheit für alle Interessierten, 
Bereitschaft zur Diskussion, aber auch Durchsetzungsfähigkeit 
signalisiert, wo es uns wichtig ist.
Grundlegend ändern wird sich die Situation allerdings erst, wenn ein 
europäisches (und globales) linkes Projekt erkennbar wird, das eine 
konkrete Alternative zum neoliberalen Projekt EU entwirft – und zwar 
nicht in konstruktivem Dialog um kosmetische Veränderungen, sondern in 
radikaler Konfrontation. Der Blick zurück auf die 
Antiglobalisierungsbewegung kann hierbei durchaus sinnvoll sein, nicht 
um Vergangenes zu glorifizieren, sondern um an die Stärken des letzten 
transnationalen Bewegungszyklus in Europa, mit seinen Sozialforen und 
Gipfelprotesten anzuknüpfen und dabei die alten Fehler nicht zu 
wiederholen.
Mail: akg11@riseup.net


