Pforzheimer Behörden und Justiz mitschuldig
Deutsche Presseagentur übernimmt Bericht des Stadtblatts
Ein ganzer Stoßtrupp von Nazis hat einen hilflosen Döner-Besitzer in der Nordstadt angegriffen. Die mit Stahlknüppeln schwer bewaffneten Banditen trugen Jacken mit der Aufschrift "Klagt nicht, kämpft". Sie drohten, das kleine Geschäft anzuzünden und zu zerstören. Der türkische Inhaber konnte sich mit Kunden gerade noch in den Laden retten und die Tür verriegeln. Als die herbeigerufene Polizei endlich kam, waren die Nazi-Schläger verschwunden. Die Suche nach ihnen blieb erfolglos. Der Überfall fand bereits am Freitag, den 21. Mai gegen 21.30 Uhr statt und wurde von der Polizei bis jetzt (8. Juni) nicht bekannt gegeben.
Warum die Beamten bei einem so massiven Verbrechen keine großräumige Fahndung eingeleitet haben, bleibt ein Rätsel. Lediglich die Nebenstraßen seien durchsucht worden, so ein Polizist. Und dies, wenn man weiß, welche Großaufgebote die "Ordnungshüter" bei weit weniger schlimmen Vorkommnissen in Marsch setzen. Der Überfall kam erst durch einen "Zufall" an die Öffentlichkeit, weil der Grüne Bundestagsabgeordnete Memet Kilic auf einer Veranstaltung darüber berichtete. Warum hat die Polizei bis jetzt geschwiegen? Währenddessen muss der angegriffene Türke wohl um sein Leben fürchten.
Der Inhaber Murat Aktas schilderte uns sein bisher schrecklichstes Erlebnis: "Aus allen Ecken kamen Gruppen von Nazis und stürmten dann gemeinsam auf meinen Laden zu. Es waren rund 50 Personen. Sie hatten etwa zwei Meter lange Stahlstangen dabei und brüllten: "Wir zünden dich an." Zum Glück konnte ich mich mit Kunden im Geschäft einschließen, bis die Polizei kam. Eine Frau fiel vor Schreck in Ohnmacht. Natürlich habe ich jetzt Angst. Aber ich will mich nicht beugen, sonst haben die Nazis ja ihr Ziel erreicht. Schließlich habe ich mein Geschäft selbst aufgebaut, arbeite hier und zahle ordentlich meine Steuern. Ein weiteres Problem ist, dass jetzt viele Kunden nicht mehr zu mir kommen, weil sie Angst vor den Nazis haben. Das ist sehr schlecht für mein Geschäft. Aber ich gebe nicht auf. Ich finde es traurig, dass so etwas im Jahr 2010 noch in Deutschland passieren kann. Die Sache ist auch schlimm für das Ansehen von Pforzheim. Ich habe zwar von Anschlägen in anderen Städten gehört, aber ich hätte nie gedacht, dass es mich selber treffen könnte.
So wie mein Geschäft jetzt ein Symbol für den Widerstand geworden ist, so ist die Gaststätte "Pflaumenbaum" ein Symbol für die Nazis. Alle Pforzheimer sollten sich gegen diese kleine Minderheit der Rechtsextremen Gewalttäter wehren und zusammenstehen. Wir wollen deshalb eine Demonstration veranstalten. Ich hoffe sehr, dass viele Menschen kommen. Wir müssen ein gemeinsames Zeichen setzen. Denn ein anderes Mal werden andere Ausländer oder Menschen mit längeren Haaren die Opfer. Das war ja noch vor 70 Jahren in Deutschland mit den Juden schlimm genug. Alle Menschen haben ein Recht zu leben. Zum Glück wird mein Geschäft jetzt von Videokameras überwacht. Einen Polizei-Posten an meinem Laden gibt es jedoch nicht. Warum die Polizei den Vorfall so lange verschwiegen hat, ist mir nicht klar".
Wie wir von jugendlichen Zeugen erfahren haben, sollen sich die Nazi-Schläger in Richtung der einschlägig bekannten Kneipe "Pflaumenbaum" in der Hohenzollernstraße zurückgezogen haben. In diesem Lokal gibt es regelmäßig eine Nacht mit Musik der Gruppe "Böhse Onkelz". Diese gelten unter Neo-Nazis als Kultband. Der Besitzer des "Pflaumenbaum" ist ein bekannter Pforzheimer Gastwirt mit guten Kontakten zur Stadtverwaltung. Ob die Polizei das Lokal durchsucht hat, ist uns bisher nicht bekannt. Die Story über den Anschlag erschien in allen großen türkischen Zeitungen. Das Image von Pforzheim ist wieder einmal ruiniert. Wie auch durch den alljährlichen Nazi-Aufmarsch auf dem Wartberg, der von den Behörden weder unterbunden noch behindert wird. Auf der Webseite der "Pforzheimer Zeitung" konnten nach dem Bericht über den Anschlag jetzt Unbekannte ausländerfeindliche Parolen verbreiten. Die Kommentare wurden mindestens drei Tage lang nicht gelöscht.
Die Umtriebe und Gewalttaten von Neo-Nazis in Pforzheim reißen nicht ab. Der jetzige Angriff auf den Döner-Mann ist wohl das Resultat eines zu laschen Vorgehens der hiesigen Behörden gegen die rechtsextremen Verbrecher. Was soll werden, wenn Neo-Nazis in Pforzheim nur zu milden Bewährungsstrafen verurteilt werden, wie kürzlich durch den CDU-Richter Hermann Meyer? Die "Ex-Goldstadt" entwickelt sich immer mehr zur Nazi-Hochburg im Land. Jedes Jahr am 23. Februar (dem Gedenktag der Bombenzerstörung) dürfen die Rechtsextremen von "Herz für Deutschland" und dem "Heidnischen Sturm" auf dem Wartberg mit einer "Mahnwache" im martialischen Fackelschein ungestört für ihre Ziele werben. Die vorwiegend jungen Gegendemonstranten werden hingegen kriminalisiert und durch Polizei-Großeinsätze behindert. Die Behörden machen sich so für die schlimmen Übergriffe auf ausländische Mitbürger mitschuldig. Die Verantwortlichen bei Stadt, Polizei und Justiz scheinen nichts dazu zu lernen. Und derweil wird das Image unserer Stadt in ganz Deutschland immer schlechter. Und Pforzheim wird von der Gold- zur Nazi-Stadt. Unfassbar.
Übrigens gab uns der Pressesprecher der Pforzheimer Polizei Wolfgang Schick (CDU) auf unsere Anfrage am 8.6. keine Auskunft.
Dieser Stadtblatt-Bericht über den jetzigen Überfall wurde von vielen Newsseiten (auch türkischen) im Internet übernommen.
Aufgrund von Hinweisen des Stadtblatts berichtete jetzt auch die Deutsche Presseagentur dpa über den Anschlag. Erst als die dpa anfragte, bestätigte die Pforzheimer Polizei die Tat. Dem Stadtblatt wurde die Auskunft verweigert. Der Staatsschutz ermittle wegen Bedrohung, Sachbeschädigung und Körperverletzung, berichtet die Presseagentur. Fünf Verdächtige seien wieder frei gelassen worden.
"Regiert jetzt in dieser unterirdischen Stadt endgültig der Mob? Haben wir in Pforzheim eine gesetzlose, rechtsfreie Zone? Das Verteilen von Strafzetteln scheint mir derzeit das einzigste zu sein das funktioniert!", so ein Beobachter. fit
Ich glaube, dass unüberhörbares Beschweigen von Neonazi-Aktivitäten als klammheimliche Zustimmung missverstanden werden könnte. Das dürfen wir nicht zulassen.
Wolfgang Thierse, zum 1.5.2010