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                    07.06.2010        
        TEL AVIV/GAZA/BERLIN (Eigener Bericht) - Berlin nutzt die internationale 
Empörung über die israelischen Attacken auf die Gaza-Flottille zur 
Stärkung der deutschen Stellung in Nahost. Wie die deutsche Kanzlerin 
fordert, soll die EU an einer internationalen Untersuchung der 
Gewalttaten vom 31. Mai beteiligt werden. Damit erhielte Deutschland 
Chancen zu weiterer Einflussnahme auf den israelisch-palästinensischen 
Konflikt. Bereits seit Jahren baut die Bundesrepublik ihre Stellung im 
unmittelbaren Umfeld Israels systematisch aus - mit Militär- sowie 
Polizeieinsätzen im Namen der Vereinten Nationen und der EU. Ziel ist 
die vollständige Normalisierung deutscher Operationen im gesamten Nahen 
Osten. Zugleich intensiviert Berlin die Zusammenarbeit mit der 
Palästinensischen Autonomiebehörde und fordert die Beendigung der 
Blockade von Gaza - sie stärke letztlich nur die antiwestlichen Kräfte 
der Region, urteilen Regierungsberater. Die Bundesregierung verbindet 
dabei weiterhin Kooperationssignale an die arabischen Staaten, deren 
Beitrag zu den Exportgewinnen der Bundesrepublik stark wächst, mit enger
 Zusammenarbeit mit Israel - und verhindert damit jegliche 
Konsolidierung einer potenziellen Vormacht in den Ressourcengebieten in 
Mittelost.
Kein Übergang zur Tagesordnung
Wie die deutsche Kanzlerin verlangt, sollen Vertreter 
des sogenannten Nahost-Quartetts in die Untersuchung der Gewalttaten vom
 31. Mai, denen neun Menschen auf einem Schiff der Gaza-Flottille zum 
Opfer fielen, einbezogen werden. Dem Nahost-Quartett gehört neben den 
Vereinten Nationen, den Vereinigten Staaten sowie Russland auch die EU 
an. Über sie erhielte Deutschland Einfluss auf die Bewertung des 
israelischen Angriffs. Auch das Auswärtige Amt fordert weiterhin eine 
"umfassende, transparente und neutrale Untersuchung"; es könne "keinen 
normalen Übergang zur Tagesordnung geben", erklärt der deutsche 
Außenminister.[1] Unterfüttert wird die Forderung durch Berichte und 
Stellungnahmen in der regierungsnahen Presse. So druckt etwa die 
Frankfurter Allgemeine Zeitung einen Augenzeugenbericht, der brutale 
Operationen der israelischen Armee schildert und damit den Druck auf 
Israel unterstützt.[2]
Militär- und Polizeipräsenz
Die Forderung nach Beteiligung der EU an der 
Untersuchung der Attacke vom 31. Mai setzt die systematischen Bemühungen
 Berlins fort, die deutsche Stellung im unmittelbaren Umfeld Israels 
auszubauen. Diesem Zweck dient nicht nur die deutsche Teilnahme an 
UNIFIL, dem UN-Einsatz vor der Küste des Libanon; wie die 
Bundesregierung vergangene Woche beschlossen hat, bleiben deutsche 
Kriegsschiffe weiter im Rahmen von UNIFIL in Nahost stationiert. 
Außerdem ist die EU mit zwei Polizeiinterventionen im Nahen Osten 
präsent, an denen sich Deutsche beteiligen: In den Palästinensischen 
Autonomiegebieten ist EUPOL COPPS aktiv, während EUBAM RAFAH an der 
Grenze zwischen Ägypten und dem Gazastreifen wegen Israels Gaza-Blockade
 derzeit ruht.[3] Die Bundesregierung hat sich während der deutschen 
EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 bemüht, das 
Nahost-Quartett wiederzubeleben - mit Erfolg; seitdem ist Deutschland 
wieder stärker in die Nahost-Verhandlungen involviert. Beispielhaft für 
die deutschen Anstrengungen war nicht zuletzt die Durchführung der 
Konferenz zum Aufbau der palästinensischen Polizei und Justiz im Juni 
2008 in Berlin (german-foreign-policy.com berichtete [4]).
Deutsch-palästinensische Kooperation
Weitere Anstrengungen zur Ausweitung des deutschen 
Einflusses in Nahost hat Berlin erst vor wenigen Tagen gestartet. Am 18.
 Mai kam erstmals der neu gegründete Deutsch-Palästinensische 
Lenkungsausschuss in der deutschen Hauptstadt zusammen. Mit Hilfe des 
Ausschusses solle "das deutsche Engagement in den Palästinensischen 
Gebieten gebündelt und die deutsch-palästinensische Zusammenarbeit 
intensiviert werden", teilt das Auswärtige Amt dazu mit.[5] Die 
Zusammenkunft am 18. Mai wurde vom deutschen Außenminister und dem 
Premierminister der Palästinensischen Autonomiegebiete geleitet, mehrere
 Minister beider Seiten nahmen an ihr teil. Kein anderes Land unterhält 
eine vergleichbare Kooperation mit der Autonomiebehörde; Berlin sichert 
sich mit ihr eine exklusive Stellung bei den politischen Eliten in 
Ramallah. Signale einer engeren Zusammenarbeit mit der arabischen Welt 
sendet Berlin auch mit der Forderung aus, die Blockade des Gazastreifens
 durch Israel müsse unverzüglich aufgehoben werden. Es sei "für uns von 
zentraler Bedeutung", den "ungehinderten Zufluss von humanitären Gütern 
zu ermöglichen", erklärt der Bundesaußenminister.[6] Tatsächlich 
bemängeln Regierungsberater, die Blockade habe maßgeblich dazu 
beigetragen, "die Kontrolle der Hamas über das Territorium und die 
Bevölkerung des Gazastreifens zu befestigen".[7] Damit stärke sie 
letztlich nur antiwestliche Kräfte in Nahost.
Exportkunden
Mit ihren Signalen in Richtung arabische Welt wirbt 
die Bundesregierung auch um einen weiteren Ausbau der Kooperation mit 
den Golfdiktaturen, die in den vergangenen Jahren stark zugenommen hat. 
Deutlich zeigt dies die Handelsstatistik. War im Jahr 1999 noch Israel 
der mit großem Abstand wichtigste Abnehmer deutscher Exporte in Nah- und
 Mittelost (mit Lieferungen in einem Wert von 2,9 Milliarden US-Dollar) 
vor Saudi-Arabien, Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten, so 
lagen im Jahr 2008 die Emirate (8,2 Milliarden Euro) und Saudi-Arabien 
(5,2 Milliarden Euro) unter den Abnehmern deutscher Industrieprodukte 
weit vor Israel (3,9 Milliarden Euro), trotz der Sanktionen unmittelbar 
gefolgt von Iran (3,9 Milliarden Euro). Die Verschiebungen, die mit 
einer immer engeren Militärkooperation mit mehreren arabischen Staaten 
einhergehen (german-foreign-policy.com berichtete [8]), konsolidieren in
 wachsendem Maße die deutsche Stellung rings um den Persischen Golf und 
verschaffen der deutschen Mittelostpolitik damit ein immer stabileres 
eigenes Standbein.
Strategie der Spannung
Dennoch steht trotz der Berliner Kritik an den 
israelischen Attacken vom 31. Mai keinesfalls eine ernsthafte 
Einschränkung der deutsch-israelischen Kooperation bevor. Dies erfordert
 nicht nur das anhaltende deutsche Interesse an einer Zusammenarbeit mit
 der israelischen Militär- und Security-Industrie [9], die jüngst nicht 
nur den ersten Einsatz israelischer Drohnen durch die Bundeswehr 
ermöglichte - in Afghanistan -, sondern auch eine engere 
Militärkooperation: Im Mai traf erstmals ein Verband der deutschen 
Kriegsmarine in Israel ein und führte dort gemeinsam mit israelischen 
Schnellbooten Manöver durch. Vor allem aber sichert der anhaltende 
israelisch-arabische Konflikt fortdauernde Spannungen im Nahen und 
Mittleren Osten, die die Konsolidierung einer möglichen Vormacht in den 
mittelöstlichen Ressourcengebieten verhindern [10] - und damit den 
westlichen Zugriff auf die Region sicherstellen sollen [11].
[1] Gaza: Forderung nach umfassender und transparenter
 Aufklärung; www.auswaertiges-amt.de
[2] Aktion Himmelswind; Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 06.06.2010
[3], [4] s. dazu Die Stunde der Europäer
[5] "Zukunft für Palästina" - Erster Deutsch-Palästinensischer Lenkungsausschuss in Berlin; www.auswaertiges-amt.de 14.05.2010
[6] Gaza: Forderung nach umfassender und transparenter Aufklärung; www.auswaertiges-amt.de
[7] Muriel Asseburg: Ending the Gaza blockade; www.swp-berlin.org 27.05.2010
[8] s. dazu Boomdiktaturen und Militärpartner am Golf (II)
[9] s. dazu Eine nützliche Beziehung
[10] s. dazu Die Ordnung am Golf und Beziehungspflege
[11] s. dazu Gleichgewicht der Schwäche
[2] Aktion Himmelswind; Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 06.06.2010
[3], [4] s. dazu Die Stunde der Europäer
[5] "Zukunft für Palästina" - Erster Deutsch-Palästinensischer Lenkungsausschuss in Berlin; www.auswaertiges-amt.de 14.05.2010
[6] Gaza: Forderung nach umfassender und transparenter Aufklärung; www.auswaertiges-amt.de
[7] Muriel Asseburg: Ending the Gaza blockade; www.swp-berlin.org 27.05.2010
[8] s. dazu Boomdiktaturen und Militärpartner am Golf (II)
[9] s. dazu Eine nützliche Beziehung
[10] s. dazu Die Ordnung am Golf und Beziehungspflege
[11] s. dazu Gleichgewicht der Schwäche
