Schock, Sorgen, Schmiererei - In Borsdorf ist Anti-Terror-Aktion Thema Nummer eins

Erstveröffentlicht: 
11.04.2017

Der Anti-Terror-Einsatz im Asylheim Borsdorf (Landkreis Leipzig) vom vergangenen Sonnabend sorgt weiter für hitzige Debatten im 8000-Einwohner-Ort. Am Sonntag hatten Unbekannte einen diffamierenden Schriftzug gegen Bürgermeister Ludwig Martin (CDU) an einen Supermarkt gesprüht.

 

Borsdorf. Nach dem Anti-Terror-Einsatz in der Borsdorfer Flüchtlingsunterkunft ist die Polizeiaktion das Gesprächsthema Nummer 1 in dem 8000-Einwohner-Ort im Kreis Leipzig. In der Nacht zum Sonnabend waren Spezialkräfte des Landeskriminalamtes in der Containerunterkunft angerückt und hatten einen Mann aus Nordafrika festgenommen, der im Verdacht steht, eine schwere staatsgefährdende Straftat vorbereitet zu haben.


Zum Ermittlungsstand hielten sich die Behörden weiter bedeckt. Wenigstens wurde inzwischen die Verantwortlichkeit geklärt: Die Staatsanwaltschaft Dresden ist für das Verfahren zuständig. Unter der Hand kursieren weiter Hinweise, wonach der festgenommene Marokkaner vorgehabt habe, die russische Botschaft in Berlin mit einer Bombenattrappe zu bedrohen. Dies wurde allerdings offiziell weder bestätigt noch dementiert. 

 

Borsdorfer Bürgermeister von Dienstreise zurück


In Borsdorf selbst hat Bürgermeister Ludwig Martin (CDU) nach seiner Rückkehr von einer Dienstreise aus Italien umgehend mit dem Betreiber der Flüchtlingsunterkunft, der Abub GmbH, gesprochen. „Wie ich dort erfuhr, ist die Lage im Heim ruhig“, informierte er. „Der Sicherheitsdienst wurde beauftragt, aufmerksam zu sein, damit das Haus nicht von außen angegriffen wird, was nicht ausgeschlossen werden kann.“ Die Abub GmbH, die auch andere Einrichtungen dieser Art betreibt, habe Erfahrung in diesen Dingen. Eine unzweideutige Schmiererei an der Fassade eines Einkaufs-Marktes direkt an der Bundesstraße 6 bestärkt das Bemühen des Betreibers, die Sicherheitsbemühungen zu erhöhen. Mit einem Schriftzug über zig Meter wurde Bürgermeister Martin angeprangert, den „Terrorismus nach Borsdorf“ geholt zu haben. „Die Polizei hat den Fall aufgenommen. Unser Ordnungsamt erstattet eine Anzeige, der sich der Marktleiter anschließt“, sagte Martin. „Das ist keine Lappalie. Ich habe Bedenken, dass die Situation eskalieren kann.“ Bereits am Montagmorgen wurde die Schmiererei überstrichen.

 

Die Borsdorfer diskutieren die Geschehnisse der letzten Stunden kontrovers. Als er hörte, in seiner direkten Nachbarschaft würde ein Containerdorf für Flüchtlinge aus dem Boden gestampft, sicherte er die Fenster zusätzlich, gesteht Anwohner Wolfram Deinert. „Rückblickend war das nicht nötig, denn bislang blieb alles ruhig.“ Umso verärgerter reagiert der 51-Jährige auf den Vorfall von Samstagnacht: „Ganz schlimm, der Terrorismus rückt immer näher.“ Sein Bruder Ralf (53) schüttelt den Kopf: „Uns hat ja niemand gefragt!“ Besorgt ist auch Jürgen Sommerfeld (62), der schräg gegenüber vom Flüchtlingsheim wohnt und den Hund Gassi führt.

 

Der Westen sei nicht unschuldig an der Misere: „Es waren die Amerikaner, die Kriege in Nahost angezettelt haben. Die USA sind weit weg, wir hier in Europa müssen die Konsequenzen ausbaden.“ Überall Polizisten, die ganze Straße war gesperrt, erzählt Lisa Leicht: „Meine Schwiegereltern durften mit dem Auto nur passieren, weil sie Anlieger sind.“ Die 23-jährige Mutter schiebt den Kinderwagen, war bei einigen Legida-Demos dabei und begegnet den jungen Flüchtlingen auf der Straße nur ungern: „Nein, angemacht wurde ich noch nicht, manchmal wurde mir hinterher gepfiffen. Aber da stehe ich drüber.“ 

 

Vorsichtig mit Schuldzuweisungen


Ilsetraut Kuhn ist trotz aller Betroffenheit vorsichtig mit Schuldzuweisungen: „Warten wir doch erst einmal ab, was die Ermittlungen der Polizei ergeben“, sagt die 74-Jährige beim Wäscheaufhängen. Als Russischlehrerin sei sie oft ins Ausland gereist, habe keinerlei Berührungsängste gegenüber Fremden. „Ich finde es richtig und wichtig, dass wir Kriegsflüchtlinge hier bei uns in Borsdorf aufnehmen. Allerdings müssten sie schneller in Arbeit und unter die Leute kommen. Stattdessen werden sie außerhalb des Ortes konzentriert.“

 

Dietmar Brenner vom 40-köpfigen Verein „Borsdorf hilft“, der sich für die Integration der Flüchtlinge im Ort stark macht, lobt das in seinen Augen gezielte und professionelle Vorgehen der Sicherheitskräfte, die Schlimmeres verhindert hätten. „Ich will nichts relativieren, nichts schönreden und auch nichts verharmlosen. Terrorismus ist eine weltweite Herausforderung, die Flüchtlingskrise ein Ergebnis von Krieg, Hunger und Umweltkatastrophen.“ Der größte Teil der Flüchtlinge in Borsdorf wolle einfach in Frieden leben. „Für jeden Einzelnen kann aber keiner die Hand ins Feuer legen, wie übrigens auch für die einheimische Bevölkerung nicht.“ Borsdorf stehe weiter für Toleranz, Weltoffenheit und Hilfsbereitschaft, verspricht der 57-Jährige. 

 

Verunsicherung nach Polizeieinsatz


Geschockt zeigt sich Farhad Karkor. Der 23-jährige Syrer lehnt Gewalt ab, flüchtete im Boot vor Krieg und Verfolgung im eigenen Land. Seit neun Monaten wohnt er in einem der Borsdorfer Container, geht jeden Tag zum Deutschunterricht und ist nach dem Polizeieinsatz verunsichert: „Stundenlang durften wir nicht aus unseren Zimmern, nicht mal, um auf Toilette zu gehen. Ich kannte den Marokkaner nicht. Im Camp ist jeder allein.“

 

Die Arbeit suchende Christin Ludwig (27) macht sich vor allem Sorgen um ihre drei Kinder: „Die bekommen alles unmittelbar mit und haben Angst. Schon als es vor einigen Wochen die Bombendrohung in der Schule gab und sie die Polizisten in voller Montur sahen, saßen sie auf dem Sofa und zitterten. Es ist schrecklich. Wann ist endlich wieder Frieden?!“ Auch für die Bombendrohung am Borsdorfer Bildungs- und Technologiezentrum im Februar soll der Festgenommene verantwortlich gewesen sein.

 

Von Haig Latchinian, Frank Pfeifer und Thomas Lieb