Die Sachsen und ihre Fremden

Erstveröffentlicht: 
17.03.2017

Pegida, rechte Gewalt und brennende Asylbewerberunterkünfte prägen seit einiger Zeit das Image Sachsens. Warum gerade hier? Dieser Frage geht ein Buch nach, das nicht bei jedem im Freistaat Begeisterung auslösen dürfte. Von Stephan Lorenz

 

Chemnitz. Es ist ein unbequemes Buch, das Heike Kleffner und Matthias Meisner da herausgegeben haben. "Unter Sachsen" beschäftigt sich in Analysen, Reportagen und in teils sehr persönlichen Zwischenrufen mit Fremdenfeindlichkeit, dem Aufstieg der AfD und den Pegida-Demonstrationen in Dresden. Einige Autoren blicken auch zurück in die Geschichte des Freistaates seit 1990. Es ist eine Fundgrube an Informationen, die für das Verständnis des heutigen Sachsen sehr hilfreich sind.

"Längst geht es bei dieser neuen Bewegung von rechts, die ihren Ausgangspunkt in Sachsen hat, (...) nicht mehr um ein Image-Problem, wie manche Politiker in Sachsen der Öffentlichkeit einreden möchten", heißt es im Vorwort. Es ist die Grundlage für die Frage aller Fragen: Ist das wirklich alles nur ein sächsisches Phänomen oder etwas, das ähnlich auch anderswo geschehen kann? Auf die Suche nach Antworten begeben sich 40 Autoren, darunter auch zwei Redakteure der "Freien Presse". Oliver Hach beschäftigt sich mit "Wutbürgern" im Erzgebirge, der Vereinnahmung des Volksdichters Anton Günther durch die NPD und dem fremdenfeindlichen Treiben in Schneeberg, Zwickau, Clausnitz, Einsiedel oder Jahnsdorf. Tino Moritz vergleicht zusammen mit Toralf Staud das Auftreten von NPD und AfD im Sächsischen Landtag. Beide arbeiten bemerkenswerte Unterschiede heraus.

Hart ins Gericht geht Meisner mit der sächsischen CDU. Als "Staatspartei" relativiere sie zu sehr und mache zu wenig gegen Fremdenhass. Dem Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich spricht er die notwendige Autorität in dieser Frage ab: "Seine Worte gegen rechte Gewalt bleiben praktisch fast ohne Konsequenzen." Generell lasse die CDU in Sachsen ihren Funktionären und Mandatsträgern sehr viel durchgehen, bevor sie entschieden einzuschreiten. Meisner erinnert zum Beispiel an die Leipziger Bundestagsabgeordnete Bettina Kudla, die in einem ihrer Tweets das Wort "Umvolkung" benutzte und damit für Empörung sorgte. Ein sächsisches Problem? Kudla stammt aus München.

Für Meisner ist es klar: Er kritisiert die irreführende Gleichsetzung von rechter und linker Gewalt. Sie führe zur "Dauer-Verharmlosung des Rechtsextremismus in Sachsen". Die Wurzeln dafür liegen bereits in der Ära Kurt Biedenkopf, die Andreas Wassermann sehr kenntnisreich schildert. Schon als die Bilder vom rassistischen Mob in Hoyerswerda 1991 um die Welt gingen, redete Biedenkopf die Gewalt klein. Er verharmloste sie als Übergangserscheinungen nach dem Zusammenbruch der DDR. Nein, die Sachsen seien nicht ausländerfeindlich, sie seien hingegen weltoffen, sagt Biedenkopf bis heute. Für die Sachsen war Biedenkopf ein Glücksfall: Sie bekamen einen Regierungschef, der ihnen zwar wirtschaftlich einiges zumutete, aber nie ihre Selbstgewissheit anzweifelte oder auch nur kritisch infrage stellte.

Zu den Highlights des Buches gehören zweifellos die kurzen Kommentare "Mein Sachsen" am Ende eines jeden Kapitels. Es sind Zwischenrufe von Betroffenen und Beobachtern, die ihre Erfahrungen und Gefühle schildern, wenn sie an Sachsen denken. In seinem brillanten Aufsatz "Deutschland liegt in Sachsen" schreibt Imram Ayata, Berliner Autor und Mitbegründer des Netzwerkes "Kanak Attak": "So spezifisch gesellschaftliche Strukturen oder ökonomische wie soziale Rahmenbedingungen in Sachsen auch sind, so wenig hat Rassismus etwas mit sächsischer Mentalität zu tun."

Was in Sachsen geschehe, gehe uns alle an, so Ayata. Nein, das Erstarken des Rechtspopulismus und rechter Gewalt ist bei weitem kein allein sächsisches Problem. Doch im Freistaat zeigen sich wie in einem Brennglas Probleme, die es auch in anderen Teilen Deutschlands und Europas gibt. So könnte unterm Strich das Fazit des Buches lauten.

Es lässt den Leser aber auch irgendwie unbefriedigt mit offenen Fragen zurück. Für all die sei zumindest auf den Zwischenruf von Annedore Bauer vom Staatsschauspiel Dresden verwiesen. Sie hielt übrigens in Volker Löschs Inszenierung "Graf Ödland. Wir sind das Volk" auf der Bühne die Wutrede gegen Pegida. Die Schauspielerin schreibt: "Wir suchen in diesem Moment nicht nach Erlösung. Wir halten aus. Schmerzlich gestehen wir unsere gegenwärtige Ohnmacht ein. Und können doch eines dabei tun: nämlich Haltung zeigen. Dabeibleiben. Ohne jede Diskussion. Beim Menschlichen an sich."

Ein nachdenklicher Schlusspunkt für ein lesenswertes, kritisches Buch, das viele Aspekte der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Fremdenfeindlichkeit und Gewalt abdeckt.