Für alle LeserAm 18. März werden Neonazis in Leipzig demonstrieren – nach aktuellem Stand jedoch nicht wie geplant in Connewitz, sondern Richtung Bayerischer Bahnhof. Stadträtin Juliane Nagel (Linke) gehört zu den Anmelderinnen der Gegenkundgebungen. Im zweiten Teil des Interviews spricht sie über die „Öffentlichkeitsarbeit“ von Antifa-Aktivisten, die Legitimität bestimmter Protestformen und den Stand der Strafverfahren zum 12. Dezember 2015.
Seit einigen Wochen wird im Leipziger Süden ein vor allem an das Bürgertum adressierter Flyer verteilt, in dem „die Antifa“ erklärt, warum sie manchmal mit militanten oder gewalttätigen Aktionen gegen Neonazis vorgeht.
Darüber hinaus wird unter anderem zu Sitzblockaden aufgerufen, da diese den Einsatz von körperlicher Gewalt überflüssig machen würden. Wie beurteilen Sie diesen Flyer?
Ich finde es gut, dass Antifa-Akteure Öffentlichkeitsarbeit betreiben, die um Aufklärung bemüht ist. Denn das leistet das Flugblatt auch, indem es in Bezug auf den 12. Dezember 2015 Gewalt durch die Polizei aufzeigt und mit Mythen wie dem Angriff auf Rettungskräfte aufräumt. Das Grundproblem in den vergangenen ein, zwei Jahren war, dass es gewaltsame Aktionen und Sachbeschädigungen gab, aber kaum einen Raum, diese zu diskutieren – abgesehen von Verurteilungen und Distanzierungen.
Das Flugblatt unternimmt den Versuch, zu erklären, warum es manchmal zu Militanz kommt. Es enthält aber auch grenzwertige Aussagen, zum Beispiel zu den von Polizisten begangenen Straftaten und den verletzten Beamten. Das sollte man nicht miteinander verrechnen, denn jede Körperverletzung ist Mist.
Sofern man es für legitim hält, Neonazis auch mit Mitteln zu begegnen, die den gesetzlichen Rahmen verlassen – wie lässt sich so etwas einem größeren Teil der Gesellschaft erklären?
Das ist ganz schwierig, da wir keinen freien Diskursraum haben, in dem Argumente abgewogen werden. Der sicherheitspolitische Arm, also die Polizei, besitzt eine Definitionsmacht. Nuanciert über die Legitimität von Gewalt zu reden, ist in der Gesellschaft nicht möglich. Konkret handelt es sich aber bereits beim zivilen Ungehorsam um eine Regelüberschreitung, die vom sächsischen Staat nur zu gern verfolgt wird. Davon sollte man sich aber nicht einschüchtern lassen und mutig und solidarisch sein.
Bedenkenswert finde ich zudem Aktionskonsense zum Beispiel in der Form, dass an Orten, wo die Nazis langlaufen, gewaltfreie Aktionen wie Sitzblockaden stattfinden, während an anderer Stelle auch andere Aktionsformen zum Zuge kommen, die ebenfalls dazu beitragen, Naziaufmärsche zu verhindern. In einem solchen Kontext ist es vielleicht am Ehesten erklärbar, dass verschiedene Aktionsformen auch ineinander greifen können und es Schlimmeres als eine umgekippte Mülltonne gibt. Dabei will ich aber nicht über gezielte Gewalt gegen Menschen reden.
Im Landtag haben Sie sich vor einigen Wochen nach dem aktuellen Stand der Strafverfolgung bezüglich des 12. Dezember 2015 erkundigt. Welche Erkenntnisse ergeben sich aus der Antwort?
Es laufen fast 180 Strafverfahren, von denen bis Mitte Dezember 2016 jedoch nur ein Drittel abgeschlossen wurde. Das ist ein geringer Anteil, der zeigt, wie langsam die Justiz arbeitet – was aber gar nicht so schlimm ist. Das ist besser als Schnellschüsse abzufeuern. Die Zahlen zeigen möglicherweise auch, dass Polizei und Staatsanwaltschaft offenbar keine guten Spuren haben.
Bei den Ermittlungen gibt es zudem fragwürdige Methoden: Mir ist eine Hausdurchsuchung mit dem Hintergrund Landfriedensbruch und Körperverletzung bekannt, die aber eine Person getroffen hat, die unschuldig ist. Auffällig ist natürlich, dass fast alle Ermittlungen, bei denen es um angezeigte Körperverletzungsdelikte durch Polizeibeamte geht, eingestellt wurden.
Dies betrifft auch den durch ein Video belegten Beschuss einer Versammlung mit Tränengas. Ein Tatverdächtiger hätte laut Justizministerium nicht ermittelt werden können. Welche Konsequenzen sollten sich daraus ergeben?
Das ist skandalös. Es zeigt sich, dass es entweder ein Problem bei der Ermittlung von Tätern gibt oder die Polizei ihre eigenen Beamten deckt. Eine klassische Forderung, die man daraus ziehen kann, ist die nach der Kennzeichnungspflicht. Damit wären Betroffene in der Lage, Polizeibeamte zu identifizieren und gezielt anzuzeigen.
Dass ein Täter, bei dem ein konkreter Ort und eine konkrete Zeit bekannt sind, nicht ermittelt werden kann, ist besonders fragwürdig.
Abschließend zurück zum 18. März: Was empfehlen Sie allen Menschen, die es nicht hinnehmen möchten, dass an dem Tag Neonazis durch Leipzig laufen wollen?
Es gibt mehrere angemeldete Demos und Kundgebungen, zum Beispiel vom Leuschner-Platz von Süden an den Treffpunkt der Nazis. Ich selbst habe am Deutschen Platz, was womöglich auch in der Nähe einer Zwischenkundgebung der Neonazis ist, eine Kundgebung angemeldet. Für bestimmte Menschen ist hörbarer Widerspruch dort sicherlich die geeignete Protestform. Ansonsten wäre es wünschenswert, wenn sich Menschen zusammenschließen und zivilen Ungehorsam üben.
Durch die perfektionierte polizeiliche Abschirmungsstrategie war das in den vergangenen Jahren fast unmöglich geworden. Vielleicht bietet der 18. März ja die Möglichkeit, das wieder zu erproben. Allerdings erwartet uns scheinbar das größte Polizeiaufgebot seit 1989, was für kreative Aktionen nichts Gutes bedeutet.
Danke für das Gespräch.