Alljährlich zu Christi-Himmelfahrt tagt der Weinheimer Senioren Convent 
(WSC), ein corpsstudentischer Dachverband, auf der Wachenburg in 
Weinheim. Der Ereignis des rechtskonservativen, pflichtschlagenden 
Verbandes gipfelt schließlich in einem Fackelmarsch an dem dieses Jahr 
rund 1.000 Corpsstudenten und Alte Herren teilnahmen.
Um an dem, sich
 über Jahrzehnte gefestigten, Bild eines, ja nur seine Traditionen 
pfelgendem Verbands zu rütteln und das Augenmerk auf grundsätzliche 
Kritik an studentischen Korporationen zu legen, fanden im Vorfeld 
mehrfach korporationskritische Aufkleberaktionen statt. Während des 
Fackelmarschs am Samstag, den 3. Mai fanden diverse direkte Aktionen 
gegen die Veranstaltung statt, wie das Zünden von Rauchbomben auf die 
sich am Marktplatz versammelnden Corps.
Das Autonome Medienkollektiv 
Rhein-Neckar nahm das Ereignis als Anlass um im Anschluss ein 
Email-Interview mit Stephan Peters, einem korporationskritischen 
Akademiker aus Heidelberg, zu führen.
 
Hintergründe: 
 stephanpeters.com | Themespecial
 des Antifa AK an der Uni Heidelberg | SWR TV-Bericht vom 
22.5.2007 zur Weinheimtagung
Vom 1. bis zum 4. Mai 2008 fand die alljährliche Weinheimtagung des WSC 
statt. An diesen Tagen versammeln sich Korporierte der insgesamt 63 
Studentenverbindungen, die sich im WSC eingliedern, an ihrer 
Tagungstätte, der Weinheimer Wachenburg. Während der Veranstaltung wird 
traditionell den 'gefallenen Corpsbrüdern' gedacht. Bezeichnend, dass 
dabei die Gefallenen völlig aus dem geschichtlichen Konetxt gerückt 
werden und nur noch als mythische Opfer für Corpsgeist und -geschichte 
herhalten müssen. "Nazis, Kriegsverbrechen, Holocaust sind bei dieser 
Zeremonie kein Thema", konstatiert eine Reportage des SWR 
letzten Jahres. Eine Relativierung des Nationalsozialismus durch eine 
Verdrehung des Täter-Opfer-Verhältnises verdeutlicht die 
revisionistische und militaristische Positionierung. Ein weiterer 
Festakt der Tagung stellt der so genannte Kommers auf der Burg dar, 
"saufen und gröhlen auf Kommando" so die Reportage weiter. An diesem 
nehmen Füxe, vollwerige Corpsmitglieder, also nach korporiertem 
Selbstverständnis 'vollwertige Männer', die schon mindestens eine 
Bestimmungsmensur geschlagen haben, sowie Alte Herren gleichermaßen 
teil. Die Bestimmungsmensur bezeichnet dabei ein Ritual bei welchem mit 
scharfen Waffen zwei Personen gegeneinander kämpfen. Dieses Ritual, 
neben vielen weiteren, soll die Totalinklusion in die autoritäre 
Gemeinschaft fördern.
Den Höhepunkt der Tagung jedenfalls stellt der 
Fackelmarsch, der dieses Jahr am 3. Mai stattfand, dar. An diesem nahmen
 dieses Jahr etwa 1.000 Korporierte (Studenten wie Alte Herren) teil. 
Die versammelten Corps marschierten hierbei von der Burg in die 
Innenstadt hinunter. Dort angekommen verteilten sie sich auf dem 
Marktplatz um verschiedene Redebeiträge ihres Dachverbandes und der 
Stadt Weinheim anzuhören. Anschließend verstreuten sich die Korporierten
 um sich, traditionsgemäß, in den hiesigen Kneipen kollektiv zu 
betrinken.
 
 
Rauchbomben werden auf dem Marktplatz gezündet.
Um das 
gesamte Ereignis nicht unkommentiert zu lassen, wurde mehrfach im 
Vorfeld der Tagung versucht, das Stadtbild entsprechend mitzugestalten. 
An vielen Orten und Stadtteilen der Stadt wurden korporationskritische 
Aufkleber angebracht und Wände beschriftet.
Auch während des 
Fackelmarschs waren engagierte Antifaschist_innen präsent. So wurde über
 dessen Dauer einige Hüte der Korporiertenentwendet.
Während sich der
 Fackelzug am Marktplatz befand, wurden von Aktivist_innen aus einer 
Gasse heraus mehrere Rauchbomben gezündet. Obwohl die Versammlung 
zunächst verwirrt schien, ließ sich der Oberbürgermeister, der gerade 
eine Rede hielt, davon kaum aus der Fassung bringen. "Wir werden uns 
unsere schöne Veranstaltung nicht von den linken Chaoten verderben 
lassen", schallte es durch die Sprechanlage. Mindestens zwei 
Corps-Uniformen wurden durch den Rauch unbrauchbar gemacht. Verletzt 
wurde jedoch niemand. Bei der Abschlussrede bewies der Redner sein 
rhetorisches Geschick, integrierte kurzerhand den Einsatz der 
Rauchbomben, und bedankte sich "für die Pyrotechnik". Die scheinbar 
vorbereitete Polizei war durch die danach offensiv vorgehenden 
Zivilpolizist_innen spürbar präsent. So wurde nach Jugendlichen, die 
durch Uniformlosigkeit auffielen, im Innenstadtbereich gefahndet. Am 
späten Abend kreuzten noch mehrere Polizisten in Zivil im Café Central 
auf und sprachen einige Menschen auf den Fakelmarsch an und versuchten 
diese auszuhorchen. Festnahmen gab es keine.
Corpsstudenten und Alte Herren - Mitte: Große Gefühle beim Anstimmen der Nationalhymne.
"Ein pflichtschlagender, 
frauenfeindlicher und rechts-konservativer Verband" - Interview mit Dr. 
Stephan Peters
Um die mittlerweile traditionelle 
Weinheimtagung, seine Akteure und deren Hintergründe ins rechte Licht zu 
rücken, lud das Autonome Medienkollektiv Rhein-Neckar auf ein 
Email-Interview mit Dr. Stephan Peters ein. 
Wir sprachen mit dem korporationskritischen
 Akademiker aus Heidelberg, der über Studentenverbindungen promovierte, über Männerbünde, den Nationalsozialismus und 
phallische Türme.
Autonomes Medienkollektiv Rhein-Neckar: 
Hallo Stephan. Schön, dass du Zeit gefunden hast für ein kleines 
Gespräch. Könntest du uns zum Einstieg kurz skizzieren was der WSC 
eigentlich ist?
Stephan Peters: Der Weinheimer 
Senioren-Convent ist ein Zusammenschluss männlicher Studenten und 
Ex-Studenten (sogenannte Alte Herren), die ihre Mitglieder u. a. zu 
"tatkräftigen, pflichttreuen" Persönlichkeiten erziehen wollen. Es ist 
also eine männliche Erziehungsgemeinschaft. Ziel dieser 
Organisationsform als Lebensbund (man gehört einem Weinheimer Corps in 
der Regel sein Leben lang an) ist es jedoch, durch die 
rechts-konservative Erziehung im Corps Persönlichkeiten heranzubilden, 
die dann später in höheren und höchsten Positionen Einfluss auf die 
Gesellschaft nehmen können und wollen. Also durchaus ein elitärer Zweck.
Den
 Weinheimer Convents-Verband gab es zu Beginn seiner Zeit nur auf 
technischen Hochschulen, so dass man ihn neben seinem Verbandsbruder, 
dem Kösener Senioren-Convent-Verband (KSCV), als kleiner Bruder 
bezeichnen kann. Die Mitglieder kommen meist auch aus 'niedrigerem' 
Milieu, bürgerlich bis kleinbürgerlich. 
 Wichtig ist es noch zu 
erwähnen, dass der WSC ein pflichtschlagender Verband ist, die 
Mitglieder also mindestens eine sogenannte Mensur gefochten haben 
müssen. Die Mensur ist eines der - wie ich finde - anstößigsten 
Erziehungsmittel, bildet sie doch vor allem den "Habitus ohne Mitleid" 
heraus, so schrieb es Norbert Elias in seinen "Studien über die 
Deutschen".
AMK-rn: Und welche Funktionen erfüllt nun der WSC
 als Dachverband und welche Rolle spielt er für die in ihm 
eingegliederten Corps?
SP: Der Dachverband regelt das 
verbandsinterne Leben, den Umgang unter den Corps, das Auftreten nach 
außen, fasst also die Verhaltensmaßstäbe für alle gleich geltend 
zusammen - das gilt auch politisch. Das einzelne Corps hat zwar noch 
einen erheblichen eigenen Auslegungsspielraum, jedoch gilt im Zweifel 
die Verbandspolitik. Zusätzlich unterstützt er natürlich auch die 
bundesweite Vernetzung, organisiert durch die angegliederte 
Altherrenschaft die notwendige Protektion, ob mittels der Adressdateien 
oder über dasVerbandsblatt, das derzeit zusammen mit dem KSCV 
herausgegeben wird (Corps - das Magazin).
AMK-rn: Einen 
kurzen Blick in die jüngere, deutsche Geschichte wagend, welche Rolle 
spielte der WSC im Nationalsozialismus?
 SP: Eine 
unrühmliche. Wie die meisten Corps waren auch die WSC-Corps dem 
Nationalsozialismus zumindest nicht abgeneigt. Viele Aktive 
(Corpsstudenten, die noch studieren) waren dem NS sehr aufgeschlossen, 
einige führende Personen des NS kamen aus ihrem Kreis.
Ähnlich wie 
der große Bruder waren auch im WSC weit vor der Zeit des NS der 
Antisemitismus weit verbreitet. Da die Corps generell Teil des 
konservativen und elitäreren Teils der deutschen Gesellschaft waren, 
waren sie einerseits dem NS nicht so fern, andererseits haben sie ihn 
durch ihre elitäre Stellung auch tatkräftig unterstützt. Die WSC-Corps 
wurden überdies nicht in Gänze verboten oder waren auch nicht im 
Widerstand. Richtig ist, dass man in der Regel in sogenannte 
Kameradschaften 'umfirmierte' und den NS so überwintern konnte. 
Braunhemd und Band darüber war oftmals kein Probem. 
Ein unrühmliches
 Beispiel: Das Corps Obotritia in Darmstadt bedauerte, dass man 1939 
hatte den aktiven Betrieb einstellen müssen und legte es fast als 
Widerstand aus. Bei genauerem Hinsehen wurde klar, dass 1939 alle 
Aktiven freiwillig in den Krieg gezogen sind - es war also schlicht 
keiner mehr da. Das klingt nun völlig anders.
AMK-rn: Worin 
unterscheidet sich der WSC und die darin vertretenen Corps allerdings 
von anderen Dachverbänden wie beispielsweise der Deutschen 
Burschenschaft?
SP: Den Corps heute muss man zugute 
halten, dass man sie zwar als rechts-konservativ, aber eben nicht 
rechtsextrem bezeichnen kann und sollte. Die Deutsche Burschenschaft ist
 hingegen allein aus ihrem völkischen Denken heraus klar rechtsextrem.
Dennoch
 aber gilt: Der WSC ist ein pflichtschlagender, frauenfeindlicher und 
rechts-konservativer Verband. Aber eben nicht rechtsextrem.
AMK-rn:
 Distanziert sich dieser konsequent von Verbindungen und Dachverbänden, 
die sich selbst als Rechts verstehen?
SP: Nein.
AMK-rn:
 Was ein bezeichnendes Bild auf ihn wirft. Abgesehen davon, wie lässt 
sich der WSC heute, im Kontext anderer Dachverbände, politisch 
einordnen?
SP: Wie gesagt: Er hat ein elitäres Streben, 
erzieht zu rechtem konservativen Denken - zementiert dieses Denken 
regelrecht - und, nicht zu vergessen, sieht Frauen in der Regel als 
Menschen zweiter Klasse - um es mal vorsichtig zu formulieren.
Da 
gibt es dann einen Verband, die 'Deutsche Burschenschaft' der 
'schlimmer' ist, ansonsten kann man den WSC schon in direkter 
Nachbarschaft verorten, gefolgt von den Landsmannschaften des Coburger 
Convents und dann dem KSCV, dann die Katholiken (Cartellverband der 
katholischen deutschen Studentenverbindungen (CV), Kartellverband 
katholischer deutscher Studentenvereine (KV), etc.) usw.
AMK-rn:
 Der WSC gibt sich nach Außen hin möglichst unpolitisch. Gibt es auch 
intern Tendenzen, die etwa dem sexistischen und elitären Konstrukt des 
Männerbundes entgegenstreben?
SP: Der Ausdruck 
'unpolitsch' ist typisch für Konservative. Politik ist nur das, was 
sichtbar ist (z.B. Stimmzettel einwerfen). Organisierte Seilschaften 
(Bismarck war ein starker Befürworter dieser 'nichtstaatlichen' Elite, 
übrgens selbst Corpsstudent), die Erziehungsinhalte sowie der platte 
Sexismus ist nach corpsstudentischer Auffassung unpolitisch. Das ist 
natürlich dann, wenn derartigeGruppierungen Einfluss auf Staat und 
Gesellschaft nehmen, absoluter Nonsens, aber nun, Konservative ticken 
so.
AMK-rn: Abschließend, welche Bedeutung hat die 
Weinheimtagung und im Speziellen der Fackelmarsch für den Convent?
SP:
 Okay, der Dachverband hat durch die Wachenburg auch heute seinen 
Tagungsort in Weinheim. Die Burg ist nicht alt, wurde meines Wissens 
nach erst 1911 fertig gestellt. Derartige Bauprojekte (bauen von Burgen 
und burgähnlichen Häusern) waren damals keine Seltenheit und 
symbolisieren den Rückzug der männlichen korporierten Studenten aus der 
Universität (in der ja seit 1908 (in Preußen) auch Frau sitzt). Sie 
setzten sich mit der Burg, die ja im wesentlichen aus dem sehr großen 
und weit sichtbaren Turm besteht, einen extra "Pimmel", kann man sagen, 
um so ihre männliche Macht und ihren Anschluss nach oben auch materiell 
zur Schau zu tragen.
Das zur Schau tragen gilt auch für den Fackelzug
 - die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit ist ihnen wichtig.
AMK-rn:
 Vielen Dank für das Gespräch, Stephan.
Zur Person:
Stephan
 Peters, geboren 1969 in Gronau in Westphalen, studierte in Marburg 
Politikwissenschaften, Soziologie und Geschichte. Am Anfang seines 
Studiums war er für kurze Zeit selbst Mitglied einer christlichen 
Korporation in Marburg. Er promovierte über das Thema: "Elite sein. Wie 
und für welche Gesellschaft sozialisiert eine studentische Korporation?"
 (2004). Ein Jahr später gab er den Sammelband "Intellektuelle 
Tiefgarage. Auf den Spuren studentischer Korporationen in der 
Wissenschaftsstadt Darmstadt" heraus. 2007 erschien "Ritual in den Tod",
 sein erster Kriminalroman.
Heute hält er Vorträge zum Thema 
Verbindungswesen an unterschiedlichen deutschen Universitäten und ist 
der Betreiber der von ihm gegründeten Heidelberger Wissenschaftsberatung
 mit Fachgebiet Eliteforschung.
Ausblick
Obwohl
 der diesjährige Protest auf antifaschistischer Seite hätte umfassender 
und deutlicher sein können, lässt sich dies als ein erster Anfang 
begreifen die obligatorische Kooperation der Stadt mit den Corps sowohl 
auf verbaler als auch nonverbaler Ebene zu thematisieren. Durch 
Intervention und öffentliche Diskussion bietet sich die Möglichkeit 
Kritik praktisch durchzusetzen und ein anderes Bild zu zeichnen als 
jenes unreflektierte, welches in der öffentlichen Wahrnehmung kursiert. 
Nämlich eines, das den Weinheimer Senioren Convent als das beschreibt, 
was er letztlich ist: ein elitärer und autoritärer, 
national-konservartiver und heterosexistischer Männerbund.
Presseschau:
- Rhein-Neckar-Zeitung (RNZ) vom 14. April 2008
- RNZ vom 2. Februar 2008
- RNZ vom 5. Mai 2008
- RNZ-Bericht über die Ehrung einiger Corpsstudenten
- Polizeiberichte zu den Rauchbomben (1, 2)
Weitere Artikel des Autonomen Medienkollektivs Rhein-Neckar:
- 19. April 2008 - RN: Ob Sonne oder Regen - Freiräume überall!
- 27. Februar 2008 - Pforzheim: Zwischen Repression und Opfermythos
- 13. Februar 2008 - Freiraumtage 2008: Vernetzung in Mannheim
Kontakt: amk_rn [ät] riseup dot net



 

