NÜRNBERG taz | Die Nürnberger U-Bahn braucht nur drei Minuten für die Strecke vom Hauptbahnhof zum Plärrer am westlichen Rand der Innenstadt. Doch die Zeit reichte dem Neonazi Peter R., um den 17-jährigen Berzan B. derart zusammen zu schlagen, dass er zwei Mal wiederbelebt und bislang vier Mal operiert werden musste.
         Die Videokameras, die Passanten, die am 
Mittag des 28. April in der U-Bahn unterwegs waren – nichts hinderte das
 Mitglied der rechtsextremen Kameradschaft „Freies Netz Süd“ an dem 
brutalen Angriff. Der in Nürnberg geborene B., der die deutsche und die 
türkische Staatsangehörigkeit hat, liegt seitdem in der Nürnberger 
Südklinik.          
          Nach fünf Tagen gelang es den Ärzten, den 
Schreinerlehrling aus dem künstlichen Koma aufzuwecken. „Er spürt sein 
linkes Bein nicht mehr,“ sagt eine Freundin von B. An diesem Freitag 
wollen die Ärzte entscheiden, ob der Jugendliche noch einmal am Herzen 
operiert werden soll.          
          Der Sohn eines Kurden und einer 
Deutschen hat keine Erinnerung an den Überfall. Nachdem sich die 
Hinweise auf den aus Zirndorf stammenden Neonazi R. mehrten, stellte der
 sich am Morgen nach der Tat der Polizei. B. habe seine Freundin 
„beleidigt und bedroht“, behauptete der 24-Jährige. Er wurde wegen 
Verdachts auf versuchten Totschlag in Haft genommen.          
            R. war zum Tatzeitpunkt auf Bewährung – 
er war wegen schwerer Körperverletzung verurteilt worden, weil er bei 
einer Kundgebung des „Freien Netz Süd“ zwei Gegendemonstranten 
angegriffen hatte. Die Polizei verschwieg diese Tatsachen zunächst 
gegenüber der Familie des Opfers und der Öffentlichkeit – sie sprach nur
 von einem „Flüchtigen“. Man fürchtete wohl einen Mobilisierungsschub 
für die angemeldete Revolutionäre 1. Mai-Demo in Nürnberg.          
            Erst am Mittag des 1. Mai, am dritten 
Tag nach R.s Verhaftung gab sie bekannt, dass R. „der 
rechtsextremistischen Szene zugeordnet werden“ könne. Dass sich das 
Opfer „in der linksextremistischen Szene aufhält“ hielt die Polizei 
offenbar für noch bedeutsamer als den Hintergrund des Täters: Diese Info
 stellte sie in ihrer Mitteilung jedenfalls voran. Der Leiter der 
Polizeiinspektion Fürth, Roman Fertinger, sagte kurz darauf, ein 
„Rechter und ein Linker“ seien „aneinander geraten“.          
            "Das kennen wir schon: Erst wird 
versucht, den rechten Tathintergrund zu vertuschen, dann wird die Tat 
verharmlost,“ sagt eine Sprecherin des „Komitees gegen Rechts“ der taz. 
Polizei und Justiz würden den "rechten Terror seit Jahren herunter 
spielen."  Es sei nicht hinzunehmen, dass sie Nazis und ihre GegnerInnen
 „in einen Topf werfen.“          
            Die Polizei lehnt derweil jede weitere 
Stellungnahme zum dem Überfall ab und verweist auf die 
Staatsanwaltschaft. „Der eine kommt von links, der andere kommt von 
rechts. Das steht fest,“ sagt deren Sprecher Wolfgang Träg nur. 
Ansonsten müsse man sich „erstmal ein abgerundetes Bild machen“. Einen 
Antrag auf Widerruf der Bewährung von R. habe die Behörde jedenfalls 
noch nicht gestellt.            Die Polizei hat sich von der Familie 
eine DNA-Probe des Opfers geben lassen. So will sie feststellen, ob R. 
tatsächlich gegen B.s Kopf getreten hat, wie Zeugen es berichten. R. 
behauptet, nur einen einzigen Faustschlag ausgeführt zu haben.          
            Der Raum Nürnberg/Fürth ist eine 
Hochburg der militanten Kameradschaftsszene. In den letzten Jahren 
verübten Neonazis hier zahlreiche Anschläge auf Wohnungen, Autos, linke 
Treffpunkte und Gewerkschaftsbüros. Während Fürths Oberbürgermeister 
Thomas Jung (SPD) die Polizeiarbeit „in allen Bereichen erfolgreich und 
konsequent“ nennt, wirft das Komitee gegen Rechts den Behörden vor, 
„nahezu keine“ der Nazi-Straftaten aufgeklärt zu haben. „Die sehen zu, 
wie Nazis Teile der Stadt zu einer No-Go-Area machen.“          
            Polizeichef Fertinger leugne die 
Existenz einer aktiven Naziszene, zuletzt habe er bei einer Sitzung des 
Stadrats am 21. April „antifaschistisches Engagement mit faschistischen 
Aktivitäten gleichgesetzt“, klagt die Antifaschistische Linke Fürth.    
      
          Fest steht, dass es in Nürnberg/Fürth 
seit Monaten verstärkt zu Angriffen auf Antifas kommt. Kurz nach der 
Attacke auf B. wurde ein junger Mann mit den Worten „Willst Du auch ins 
Koma?“ von Neonazis bedroht und geschlagen. Die Attacken gehen meist von
 der lokalen Gliederung des „Freien Netz Süd“ aus. Darin haben sich 
bayernweit rechtsextreme Kameradschaften organisiert, denen die NPD 
nicht radikal genug ist.          
          2008 haben sie versucht, unter dem Tarnnamen 
„Initiative Soziales Fürth“ in den Stadtrat einzuziehen. Das Modell 
hatte in Nürnberg Erfolg, dort sitzt die "Bürgerinitiative 
Ausländerstop" im Rat. In Fürth aber verfehlten die Nazis wohl auch 
wegen einer Infokampagne der Antifa die erforderliche Zahl an 
Unterschriften, um zur Wahl antreten zu können. Vor den 
Kameradschaftstreffpunkten in Fürth demonstrieren regelmäßig Antifas – 
auch B. war bei diesen Kundgebungen dabei.
