Erfurt in Thüringen, Meerane und Sebnitz in Sachsen: In diesen Städten berichten Jugendliche und Kinder aus Flüchtlingsfamilien im Gespräch mit FAKT-Reportern über erschreckende Begebenheiten. Sie wurden von Deutschen beleidigt und angegriffen, teilweise verletzt. Immer häufiger sind Flüchtlingskinder das Ziel von fremdenfeindlichen Attacken. Und Experten verweisen auf eine neue Entwicklung: Die Hemmschwelle zur Gewalt sinkt.
Die wachsende Gewalt gegen Flüchtlinge in Deutschland richtet sich immer häufiger gegen Kinder. Die Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt registrierten im vergangenen Jahr mehr Angriffe auf Flüchtlingskinder als im Jahr zuvor. Das ergaben Recherchen des ARD-Magazins FAKT. Demnach wurden im vergangenen Jahr mindestens 261 ausländische Kinder Gewaltopfer. Im Jahr 2015 wurden 179 Fälle gezählt.
Massiver Anstieg der Gewalt
Bundesweite Zahlen gibt es nicht. Der massive Anstieg von Gewalt gegen Flüchtlingskinder wurde aber in allen sieben deutschen Beratungsstellen registriert. So zählten die Opferberatungsstellen in Ostdeutschland und Berlin im Jahr 2015 172 rassistisch motivierte Angriffe auf Kinder bis 16 Jahre. 2016 waren es schon 242 – eine Steigerung um 41 Prozent.
Sven Peter von der "ezra, Opferberatung Thüringen" sagte FAKT: "Das haben wir in dieser Fülle noch nicht gehabt. Es gab schon mal Fälle, wo auch Erwachsene, organisierte Neonazis, Kinder angegriffen haben. Aber in der Fülle, wie es jetzt ist, hatten wir es noch nicht. Also es ist tatsächlich eine zurückgehende Hemmschwelle. Kinder anzugreifen ist nochmal was ganz anderes als Erwachsene anzugreifen."
Dann kamen zwei Männer, sie haben gefragt: Woher kommt Ihr? Wir haben gesagt: aus Syrien. Und dann hat er uns beleidigt, Scheiß-Ausländer. Ich hatte viel Angst, weil der Mann mich schlagen will. Er hat die Flasche nach oben gemacht und dann will er mich schlagen.
Syrischer Junge in Erfurt
Hohe Dunkelziffer vermutet
Die Dunkelziffer aller Straftaten dürfte allerdings sehr viel höher liegen. Die Beratungsstellen, die es lediglich in den ostdeutschen Bundesländern, Berlin sowie in Nordrhein-Westfalen gibt, registrierten ausschließlich Fälle von Körperverletzungen, versuchte Körperverletzungen sowie massive Bedrohungen aus politischen und rassistischen Motiven. Nicht gezählt werden bloße Beleidigungen oder Diskriminierungen. Außerdem haben die Beratungsstellen nicht von allen Fällen Kenntnis. Die Definition von Kindern ist in den Beratungsstellen unterschiedlich, einige Stellen beziehen bis 13-Jährige mit ein, andere bis 16-Jährige.
Der Jenaer Soziologe und Rechtsextremismus-Forscher Matthias Quent macht als Ursache für die gestiegenen Gewaltdelikte auch die derzeitige Stimmung im Land verantwortlich. "Der aktuelle Rechtsruck, der sich widerspiegelt in den Pegida-Mobilisierungen, in rassistischen Tönen, in rechtspopulistischer Mobilisierung, in den Hasskommentaren in den sozialen Netzwerken allgemein, das ist natürlich der Stoff, aus dem Gewalttäter das Gefühl kriegen, sie handeln im Sinne einer größeren Mehrheit und können deswegen ihre Gewalt als berechtigt erfahren", sagte der Soziologe. Flüchtlingskinder würden auch deshalb als Opfer ausgesucht, weil die Täter glaubten, sie könnten sich nicht wehren und hätten keine Fürsprecher in der Gesellschaft.
Der Hund sprang herum, die Frau ließ meinen Freund nicht los. Er hat versucht, freizukommen. Dann hat sie ihn frei gelassen und mich gepackt. Ich habe auch versucht, mich zu befreien. Und dann sprang der Hund auf mich und hat mich in die Brust gebissen. Dann wurde ich ohnmächtig.
Bericht eines 14-jährigen Syrers über einen Angriff auf sich und einen Freund in Meerane. Angreiferin sei eine Frau mit einem Hund gewesen.