Der Bielefelder Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer spricht über zunehmend rohe Bürgerlichkeit, die Verachtung Schwächerer und die Gefahr einer Eskalation von Gewalt. Die Rechten zu ignorieren, werde sie nicht verschwinden lassen.
Herr Heitmeyer, in Europa und weltweit feiern Populisten und Nationalisten Erfolge. Was ist der Grund dafür?
Heitmeyer: Wichtig ist die Durchsetzung eines autoritären 
Kapitalismus und die rasant ablaufende Unübersichtlichkeit durch die 
Globalisierung. Dies führt bei vielen Menschen zu Verunsicherungen und 
Ängsten. Populisten instrumentalisieren die Ängste. Es ist ihr zentrales
 Thema. Sie versprechen dagegen die Rückkehr zu einer homogenen 
Gesellschaft. Das ist weder möglich noch sinnvoll, ja im Gegenteil sogar
 gefährlich.
Was halbwegs intelligente Menschen auch wissen. Warum geben sie trotzdem Populisten ihre Stimme?
Heitmeyer: Sie wollen ein Signal gegen das Establishment 
aussenden. Gegen das System, am Ende sogar gegen den Pluralismus. „Jetzt
 wollen wir es denen da oben mal zeigen" – das ist die aggressive 
Haltung, weil sie sich nicht wahrgenommen und einflusslos fühlen. Dies 
ist eine Grundlage von Wut.
Geht es um kurzfristigen Protest?
Heitmeyer: Es geht darüber hinaus. Selbst in gebildeten und gut 
situierten Kreisen macht sich eine rohe Bürgerlichkeit mit einem Jargon 
der Verachtung gegen Schwächere breit. Es wird abwertend und 
diskriminierend geredet im Sinne einer Ungleichwertigkeit von 
Zuwanderern, Muslimen, Homosexuellen, Obdachlosen und andere 
Minderheiten. Vor allem bei Menschen über 60 ist die Abwertung schwacher
 Gruppen stark ausgeprägt. Ein erheblicher Teil der älteren Bevölkerung 
fühlt sich von der Geschwindigkeit der Veränderungsprozesse überfordert.
 Hinzu kommt: Die Gesellschaft hat in den vergangenen Jahrzehnten 
erfreuliche Freiheiten für unterschiedliche Lebensweisen entwickelt. 
Manche Teile der Bevölkerung sehen dies als Bedrohung ihrer Normalität 
oder gar der „deutschen Identität".
Wann hat das angefangen?
Heitmeyer: Wir haben in unserer Langzeituntersuchung zu 
gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit schon 2002 ein 
rechtspopulistisches Potenzial von etwa 20 Prozent festgestellt. 
Zwischen 2009 und 2011, also nach der Finanzkrise und vor Pegida sowie 
der AfD hatte die Aggressivität bei dieser Personengruppe deutlich 
zugenommen. Als wir das publizierten, hat es niemanden interessiert. 
Alarmismus wurde uns vorgeworfen.
Was hat sich seitdem geändert?
Heitmeyer: Es haben sich Entwicklungen beschleunigt. Die Angst 
vor sozialer Desintegration und Abstieg ist gewachsen – auch in der 
Mittelschicht. Wegen der Zuwanderung fühlen manche Menschen eine 
kulturelle Überfremdung, wegen einer wahrgenommenen Demokratieentleerung
 eine politische Entfremdung. Auch die Denationalisierung von Politik 
bereitet vielen Unbehagen. Und dann kam die Flüchtlingsbewegung, die wie
 ein Katalysator gewirkt hat.
Verglichen mit Frankreich, Italien oder Österreich schneiden Rechtspopulisten in Deutschland bei Wahlen eher schwach ab. Sind wir wegen unserer Geschichte resistenter als andere?
Heitmeyer: Das ist eine beliebte und politisch gepflegte 
Selbsttäuschung. Deutschland hatte vorübergehend Glück, dass es hier 
lange keine Mobilisierungsexperten wie Jörg Haider in Österreich oder 
die Familie Le Pen in Frankreich gab. Das hat sich geändert, Man kann 
sagen, dass AfD, Pegida und andere es geschafft haben, individuelle 
Ohnmachtsgefühle in kollektive Machtfantasien umzuwandeln.
Wie äußern sich die?
Heitmeyer: Man geht aggressiv nach außen gegen kulturell Andere 
vor und ist nach innen geradezu besessen von dem Wunsch nach Harmonie 
und einer homogenen Gesellschaft. Es geht um ein „Wir" und ein „Die". 
Das ist gefährlich für die liberale Demokratie und für schwache Gruppen 
in der Gesellschaft.
Nehmen führende Rechtspopulisten wie Frauke Petry, Alexander Gauland oder Lutz Bachmann die Gefahr gewaltsamer Eskalation in Kauf?
Heitmeyer: Ich kenne deren persönliche Motivationen nicht. Man 
sollte auch diesen Akteuren nicht unterstellen, dass sie Gewalt 
befördern wollen. Allerdings: Das Faktum bleibt, dass ihre Positionen 
die Legitimation für Gewalt bereitstellen.
Wie sollten Politik und Medien darauf reagieren?
Heitmeyer: Ausgrenzung führt nicht weiter. Dann können sich die 
Rechtspopulisten als Opfer inszenieren, was die Aggressivität ihrer 
Anhänger noch erhöhen würde. Besser wäre es, in eine souveräne 
Auseinandersetzung mit den Populisten zu gehen. Man muss sie zum 
Beispiel fragen, wie sie ihre Ziele erreichen wollen, ohne die 
Demokratie, die Meinungsfreiheit und den Rechtsstaat zu zerstören. 
Darauf werden sie keine Antwort haben.
Die Populisten zu ignorieren ist keine Lösung?
Heitmeyer: Nein. Das Problem des Rechtspopulismus wird sich nicht von selbst erledigen.
