In knapp drei Wochen jährt sich die Randale im Stadtviertel Connewitz in Leipzig. Am 11. Januar 2016 zogen am späten Abend mehr als 200 Rechtsradikale durch den Stadtteil, zerschlugen die Schaufenster von mehr als 20 Geschäften und Kneipen, eine Wohnung brannte aus. Die Polizei war schnell vor Ort, konnte 215 junge Männer festsetzen. Doch was ist seitdem passiert?
von Ine Dippmann, MDR AKTUELL
Es waren surreale Bilder. 200 schwarz gekleidete Männer sitzen in einer dunklen Gasse, der Blitz des Fotografen lässt die Kabelbinder aufleuchten, mit denen ihre Hände gefesselt sind. Auf den Schock des Überfalls durch die rechtsextreme Gruppe folgt Erleichterung: Die Polizei hat die Täter. Doch diese Erleichterung verfliegt bald. Juliane Nagel, Landtagsabgeordnete der Linke, sagt: "So ein bisschen ist schon Unverständnis da, warum die Ermittlungen so lange dauern und warum immer noch keine Anklage erhoben wurde. Das zermürbt ein bisschen und schmälert das Vertrauen in Polizei und Justiz."
Die Ermittlungen führt das Operative Abwehrzentrum Sachsen. Dessen Chef, Bernd Merbitz, ist auch Präsident der Polizeidirektion Leipzig. Nach seinen Worten werden 215 Personen beschuldigt, schweren Landfriedensbruch begangen zu haben. Er bittet um Verständnis dafür, dass die Ermittlungen andauern. Bei jedem müsse die individuelle Schuld nachgewiesen werden. Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt seien weit über 170 Personen schon kontaktiert beziehungsweise vernommen worden. Es gebe viele positive Spurenauswertungen, etwa über DNA oder die Sicherstellung von Bekleidungsgegenständen.
Eine Ermittlungsgruppe von sechs bis acht Beamten bearbeitet den Überfall und wertet noch immer Spuren aus. "Natürlich wäre es mir auch lieber, wenn mehr Personal zur Verfügung stehen würde. Dass das schneller geht. Aber so eine DNA-Analyse – und es gibt nicht nur diesen Fall in Sachsen – nimmt auch ihre Zeit in Anspruch", sagt Merbitz.
Selbstjustiz durch Linksextreme
Beschlagnahmt wurden damals auch jede Menge Handys – die Daten auszuwerten sei wichtig, um nachzuweisen, dass der Überfall organisiert wurde, erklärt Merbitz. "Wir haben äußerst wenige Zeugen. Ganz im Gegenteil. Wo wir uns erhofft haben, auch aus dem Personenkreis von Connewitz, dass dazu auch Hinweise kommen, ist uns auch gesagt worden, dass sie der Polizei gegenüber keine Aussagen machen werden und selbst diese Personen besuchen werden."
Die Liste der am 11.1. in Connewitz festgesetzten ist an die Öffentlichkeit gelangt und das hatte Folgen. Im November drangen Linksautonome in die Wohnung eines Beschuldigten ein und verwüsteten sie. "Die Art der Selbstjustiz bringt uns kein Stück voran, ganz im Gegenteil, kritisiert Merbitz. Das sei ein Hochschaukeln der Gewalt und mache noch viel mehr Arbeit. Und das halte auch von den tatsächlichen Arbeiten an diesen 215 Personen ab.
Juliane Nagel sagt, sie habe schon viel eher mit solchen Vergeltungsaktionen gerechnet: "Ich habe die Befürchtung, dass solche Fälle auch öfter stattfinden werden, wenn nicht bald Anklage erhoben wird."
Wann Verfahren anklagereif sind, liege in der Verantwortung der Staatsanwaltschaft, sagt Merbitz: "Aber ich möchte nicht, dass wir in eine Jahresfrist geraten, wo wir sagen, nach einem Jahr: Nichts ist geschehen, niemand meldet sich, ist das vergessen. Ich möchte schon, dass vor Ablauf eines Jahres Signale an die Öffentlichkeit gesendet werden."
Wenn es die Strategie der Neonazis war, die Betroffenen einzuschüchtern, dann ist sie aufgegangen. Von den befragten betroffenen Händlern will keiner ins Mikro sprechen. Die Angst vor weiteren Übergriffen ist spürbar groß.