Kreuzberger Wohn- und Gewerbekomplex in der Lausitzer Straße soll vergoldet werden
»Für uns ist schon im März Schluss«, sagt Anna Rossetti vom Projekt »Flucht nach vorn«, das unbegleiteten jungen Flüchtlingen unter anderem Deutschkurse anbietet und Bildungsperspektiven eröffnet. Der alte Mietvertrag in dem Wohn- und Gewerbekomplex Lausitzer Straße 10/11 läuft dann aus. Die neue Miete kann sich das Projekt nicht leisten, das seit 1990 in dem Haus ist. Die neue hohe Miete ist allerdings nicht im luxuriösen Zustand des Gebäudes begründet. »Die Heizung funktioniert andauernd nicht und der Wasserschaden, den es Anfang des Jahres gab, ist immer noch nicht behoben«, berichtet Rossetti. Es ist einfach die Lage, Lage, Lage, wie Makler sagen würden.
»Seit Google seinen Campus in der Ohlauer Straße gleich um die Ecke 
aufgemacht hat, scheint Taekker Blut geleckt zu haben«, sagt Laura 
Maikowski. Die Mediengestalterin ist mit ihrer Firma »Bildargumente« 
Mieterin in dem Objekt. »Alle Gewerbemieter haben neue Verträge 
bekommen, die 2017 auslaufen«, berichtet sie.
Die dänische Unternehmensgruppe Taekker, Eigentümerin nicht nur dieses 
Hauses in Kreuzberg, möchte nicht mehr vermieten, sondern lieber 
verkaufen. Das haben die Mitglieder des sich in Gründung befindlichen 
»Mieterinnenvereins Lause-Bleibt« herausgefunden. Fast 20 Millionen Euro
 soll der veranschlagte Preis sein. Der Plan sieht eine Umwandlung in 
›Geschäftshäuser mit Loftkomplex‹ vor, heißt es in der Mitteilung des 
Vereins.
»Wir haben Taekker schon das Angebot gemacht, selber zu kaufen«, 
berichtet Laura Maikowski. »Die haben sich nicht einmal gemeldet.« Zwar 
sei der angesetzte Kaufpreis mit etwa 3500 Euro pro Quadratmeter 
Mietfläche sehr hoch, aber zumindest einen Versuch, sich über 
Verhandlungen zu einigen, sei es wert, findet Maikowski.
Sollte es wirklich zu einem Verkauf zu diesen Konditionen kommen, ist 
die typische Kreuzberger Mischung Geschichte, die den Komplex heute 
charakterisiert. »Hier arbeiten mehrere hundert Menschen mit den 
unterschiedlichsten Hintergründen«, sagt Maikowski. »Das macht doch 
Berlin aus.«
Unter den Gewerbemietern sind verschiedene Werkstätten, 
Bildungseinrichtungen, Bürogemeinschaften und zahlreiche Vereine wie 
etwa das Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum »apabiz«, 
die Videowerkstatt »autofocus«, oder das »Umbruch-Bildarchiv«, die in 
diesem Gewerbehof seit mittlerweile zwanzig Jahren angesiedelt sind.
Angst haben auch die Wohnungsmieter. »Wir wohnen seit über 40 Jahren hier. In der Wohnung wird nichts gemacht. Die Fenster isolieren schlecht, einige sind seit Jahren kaputt. Wir heizen mit Kohle. Es zieht«, sagt eine Mieterin, die ihren Namen nicht nennen will. »Aber das ist unsere Wohnung, unser Kiez. Wir wollen hier wohnen bleiben.«
»Der Fall Lausitzer Straße 10 ist uns leider sehr gut bekannt«, sagt der
 frischgebackene Friedrichshain-Kreuzberger Baustadtrat Florian Schmidt 
(Grüne). Der Bezirk musste schon vor einiger Zeit die Genehmigung für 
die Umwandlung der Gewerbeflächen in Mietraum erteilen. Deswegen wurde 
im Frühjahr ein Gutachten in Auftrag gegeben zum 
Gewerbeflächenmanagement. »Das gibt uns in Zukunft hoffentlich die 
Möglichkeit, solche Dinge anders zu behandeln«, sagt Schmidt. »Für 
diesen Fall kommt das leider zu spät.« Er werde aber trotzdem versuchen,
 Verhandlungen mit dem Eigentümer aufzunehmen. Die Mieter des Hauses 
sind bereit zu kämpfen: »Wir lassen uns nicht im Interesse höherer 
Profite verdrängen: Wir bleiben alle!«
