Vergegenwärtigt man sich die Allgegenwart kolonialer Denkmuster im deutschen Diskurs, wundert es nicht, wie viel Widerstand sich gegen Initiativen regt, die versuchen, dies zu hinterfragen. Eines der beliebtesten Kampffelder ist die „Mohrenstraße“ in Berlin-Mitte. Die im 17. Jahrhundert entstandene Straße kreuzt die Friedrichstraße und passiert den Gendarmenmarkt, an ihrem westlichen Ende befindet sich eine U-Bahn Station mit gleichem Namen. Mit ihrer prominenter Lage ist sie Sinnbild für den Umgang mit rassistischen Überbleibseln aus der Kolonialzeit. In den letzten Jahren gab es verschiedene Initiativen zur Umbenennung. Dabei fanden auch immer wieder kreative Kommunikationsguerilla-Aktionen Anwendung, die hier betrachtet werden sollen.
Trigger-Warnung
Dieser
 Text analysiert rassistische postkoloniale Diskurse. Dabei werden zu 
Verständigungs- und Analysezwecken die sowohl rassistische als auch 
sexistische Ideologie- und Sprachfragmente dargestellt. 
Unklare Ursprünge
Wie
 genau die Straße ihren Namen bekam, ist unklar. Doch manifestiert sich 
in im bis heute das Verständnis der damaligen Zeit, das den Begriff 
„Mohr“ parallel zum heutigen „N-Wort“ benutzte. Durch diese „N-Wort“ 
wurde das „M-Wort“ im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts zunehmend 
verdrängt. Die als „Mohren“ titulierten, aus den in Westafrika gelegenen
 Kolonien Verschleppten, wurden als Sklaven gehalten und als 
minderwertig und ausbeutungswürdig betrachtet. Dennoch halten bis heute 
viele es nicht für nötig, den Namen der Straße zu ändern. Vermutlich 
auch, weil so ein Zeichen gesetzt werden könnte, um eine Debatte über 
Postkolonialismus und Rassismus anzustoßen. Das lässt vermuten, dass 
eine Umbenennung  (besonders des U-Bahnhofs) das Potential hat, die 
Debatte mit einer noch größeren öffentlichen Wirkung zu führen. 
Immer wieder Auseinandersetzungen
Und
 siehe da: Genau das passiert auch immer wieder auf den Straßen Berlins.
 Zuletzt am 12. Mai 2016 benannten unerkannt gebliebene 
Nachtschwärmer*innen die M-Street in „Mandela-Straße“ um. Dabei 
verwendeten sie Hochglanzaufkleber, die Tonwert, Schriftart und Größe 
der originalen Straßenschilder nachahmten. Davon veröffentlichten die 
Gruppe, die sich „Mandela jetzt!“ nennt, zusammen mit einer Aktionserklärung ziemlich schicke Bilder.
Geschicktes Fotografieren
Die
 Bilder lassen vermuten, dass die Fotograf*in relativ viel Zeit auf das 
Finden geeigneter Motive verwendet hat. Und nicht einfach wild drauf los
 geknipst hat, wie das bei vielen linken Aktionen üblich zu sein 
scheint. Nicht so viel Mühe wurde in die Vermittlung der Aktion 
gesteckt. Die Gruppe setzte darauf, dass sich die Aktion gegenüber 
Passant*innen von Selbst vermittelt. 
Aktion „Hoppelhase“
Eine andere Gruppe, die sich „Hoppelhase“ nannte,
 benannte am 28.1.2014 ebenfalls die M-Street um. Dabei ergänzten sie 
die vorhandenen Straßenschilder mit jeweils zwei Punkten über dem 
Buchstaben O, sodass die Straße nun „Möhrenstraße“ hieß. Das Problem mit
 der direkten Vermittlung an Passant*innen löste die Gruppe, indem sie 
auch noch mit offiziellen Logo versehende und im offiziellen Tonfall 
gehaltene erklärende Schilder an die Masten der Straßenschilder hing. 
Gefälschte Stadt-Labels
Der
 Text der offiziell aussehenden Schilder lautete dabei: „Berlin war bis 
1918 die Hauptstadt des deutschen Kolonialreiches. Diese gewaltvolle 
Vergangenheit ist bis heute in der Stadt präsent. Auch die 
"Mohrenstraße" ist Zeugnis davon. Von Berlin ausgehende Aggression 
beraubte Menschen ihres Landes und Besitzes, ihrer Freiheit und ihres 
Lebens. Nach Berlin kamen kolonial geraubte Güter, Kunstschätze, sowie 
Menschen, die als Zwangsarbeiter und "Zooattraktion" versklavt und 
verschleppt wurden.“
Verweis auf die Sklaverei
Um
 mit dem Fake-Schildern den Druck auf die Verantwortlichen  zu erhöhen, 
bringen die Aktivistis  danach die Stadt Berlin ins Spiel: „Mit der 
Umbenennung der Straße möchte sich die Stadt dieser Verantwortung 
stellen. Dieses Gedenkschild erinnert an die kolonialen Verbrechen 
Deutschlands und Berlins, deren Auswirkungen sich auch in der 
"Mohrenstraße" wiederfinden, in der im 18. Jahrhundert versklavte 
Minderjährige aus Afrika lebten.“
Kein neutraler Begriff
Danach
 nehmen die Schilder eine mögliche Entgegnung von Kritiker*innen der 
Aktionen taktisch clever vorweg: „Der Begriff "Mohr" ist kein neutraler 
Begriff, sondern eine rassistische und abwertende Kennzeichnung von 
Schwarzen Menschen. Als Konstrukt und Projektionsfläche der europäischen
 Phantasie, die AfrikanerInnen als dumm, kultur- und geschichtslos 
darstellt, verweist er auf die Geschichte von Sklaverei und kolonialer 
Herrschaft Deutschlands."
Occupy Mohrenstraße
Was passiert, wenn man solche Umbenennungen tagsüber macht, zeigt ein Mobi-Video der Kampagne Occupy Mohrenstraße aus dem Jahr 2014. Die eigentliche Aktion ist eine als Picknick poppig gemachte Kundgebung
 auf dem Platz mit den ganzen Generals-Statuen bei der U-Bahn-Station. 
Und um darauf aufmerksam zu machen, muss ja heutzutage ein Mobi-Clip her.
 So gewöhnlich, so langweilig. Aber was die Leute der Kampagne dann 
machen ist spannend. Den für ihr Video machen sie ne echte Aktion. Mit 
passend ausgedruckten und zusammengeklebten Überklebern verbessern sie 
mitten am Tag die U-Bahn-Stationsschilder in „Nelson-Mandela-Str.“. Zur 
Vermittlung kleben sie Poster in der Station und verteilen Flyer an die 
Passant*innen. Und siehe da: Auf einmal lesen Leute Flyer...  
Pink Rabbit
Mehr auf die virale Wirkung cooler Videos und Bilder setzte die Aktion „Pink Rabbit“ der
 Naturfreundejugend 2009. Damals zog die Naturfreundejugend mit einer 
Person im lustigen pinken Hasenkostüm als Eyecatcher rund 
Sympathieträger*in in die U-Bahnstation Mohrenstraße ein. Unter den 
Blicken der Passant*innen veränderte der Hase die Stationsschilder durch
 hinzufügen zweier Punkte passend für einen Hasen zu „Möhrenstraße“. 
Parallel dazu gabs einen Videodreh und Verbündete des Hasen verteilten 
Flugblätter an die Passant*innen. Später wurde das ganze an den 
Straßenschildern wiederholt (...mehr dazu auf der Kampagnen-Seite).
Historischer Vorläufer
Die Aktion hat übrigens einen historischen Vorläufer. Bereits Ostern 2004 nutzte eine Gruppe namens „gemuesehaendlerInnen“ den Narrativ des Hasen und der Möhre, um während einer Performance Aufmerksamkeit für ihre Flugblätter zu erzeugen.
Antikolonialer Stadtspaziergang 2004
Überhaupt 2004. Zur 120. Wiederkehr der „Berliner Konferenz“ ging es auch in der M-Street hoch her. Anlässlich eines „antikolonialen Kongresses“ (eine kritische Rückschau findet sich→ hier ← ) fand auch ein „antikolonialer Stadtrundgang“
 statt. Bei der offensichtlich offen angekündigten Tour ging es richtig 
zur Sache. Erst schnell mal ne Kundgebung in der M-Street und dann die 
U-Bahn- und Straßenschilder in „Mary-Ayim-Straße“ geändert. Dann kurzer 
Kundgebung-Abstecher in die Wilhelmstraße und am ehemaligen 
Reichskolonialamt ne provisorische Gedenkplatte angepappt. Weiter zur 
Charité. Dort das Denkmal für Robert Koch mit seiner 
Kolonialvergangenheit kontextualisiert und mit Kritik am sogenannten 
„Alterstest“ der Charité, der Abschiebungen legalisiert, verbunden. 
Kurzer Umweg durch einen EDEKA (ursprünglich Einkaufsgemeinschaft 
deutscher Kolonialwarenhändler) und mit neuen Etiketten Kaffee und 
Schokolade als „Kolonialwaren“ ausgezeichnet. Über die Ziellinie geht’s 
im sog. Afrika-Viertel im Wedding. Hier wird die „Petersallee“ in 
„Wittboi-Allee“ umbenennen. Die Morgenpost zürnte noch Tage später „Noch drei illegale Schilder an der Mohrenstraße“.  
Sprechende Statuen
Auch
 mit den Statuen der Generäle ist schon Schabernack versucht worden. 
Eine Aktionsgruppe namens „Kein Platz für Rassismus!“ klebte im Frühjahr
 2016 Poster mit Vermittlung auf Laternenpfähle,
 und änderte Straßen- und U-Bahn-Schilder in „Audre Lorde Straße“ 
verändert. Um den optischen Eindruck der Aktion noch zu verstärken, 
knöpften sie sich auch noch die Generals-Statuen vor. An diesen brachten
 sie Spruchblasen an, die den Eindruck erweckten , de Generäle Sätze in 
den Mund zu legen. Etwa „Wennse mich fragen, könnse Preußens koloniale 
Selbstherrlichkeit jetrost abmontiern.“ oder „Rassismus ist in Ordnung, 
wenn er historisch ist?“ Leider gibt’s davon keine Bilder, weil der 
Aufräumdienst oder Aktiv-Bürger*innen schneller waren. Dafür gibt’s  auf
 Indy einen lohnenden Auswertungstext der Gruppe. 
Eine Aktion fehlt?
Wenn
 irgend eine bemerkenswerte Aktion fehlt, bitte nicht böse sein, sondern
 Link, Bilder, Text bitte einfach unten in den Kommentaren posten.
Mehr Infos: 
Straßenumbenennung in der M-Street:
http://maqui.blogsport.eu/2016/05/12/b-antirassistische-strassenumbennenung-in-mitte/
Postkolonialismus oder was das Früher mit Heute zu tun hat:
http://maqui.blogsport.eu/2016/05/31/postkolonialismus-oder-was-das-frueher-mit-dem-heute-zu-tun-hat/
Ist Wissenschaft ohne Afrikaner*innen rassistisch? Eine Annäherung mit Herfried Münkler und Pierre Bourdieu:
http://maqui.blogsport.eu/2015/09/07/ist-wissenschaft-ohne-afrikaner-rassistisch-und-sexistisch/









