[B] Zwischen Schikanen und Hoffnung – Balus erster Prozesstag

Soli Balu und Aaron

Huh, der erste Prozesstag von Balu ist vorüber und wir sehen mit gemischten Gefühlen zurück.

Das Wichtigste zuerst: Es konnte ein erster wichtiger Teilerfolg verbucht werden. Während diese Zeilen geschrieben werden, wird Balu gerade aus der U-Haft entlassen. Hurra! Gegen den vehementen Widerstand der Staatsanwältin (StA) Sadri-Herzog entschied die Richterin endlich, die Untersuchungshaft für Balu auszusetzen. Gegen strenge Meldeauflagen und eine hohe vierstellige Kaution können seine Familie, seine Freund_innen und wir Balu heute endlich wieder in die Arme schließen. Uns steht wahrscheinlich ein langer Prozess mit vielen Tagen vor der Tür. Während des ersten sech­stündigen Verhandlungstages wurden zwei der rund ein Dutzend Zeug*innen vernommen.

 

Doch in Ruhe:

 

Polizeifestspiele in Moabit - Das Setting

 

Wenig überraschend fand das Verfahren unter keinen „normalen“ Bedingungen statt. Der Eingang zum Hochsicherheitsbereich war mit Hamburger Gittern abgesperrt und von Einheiten einer Hun­dertschaft bewacht. Dies war wahrscheinlich nicht nur der politischen Aufgeladenheit des Prozesses geschuldet, sondern auch dem zeitgleich stattfindenden Prozess gegen Ali im gleichen Trakt. Natür­lich war der Raum zu klein, die Justizbeamten überfordert und so schien es zu Beginn, dass nicht alle solidarischen Menschen in den Saal passen würden. Einige mussten also die ersten Stunden draußen warten und verbrachten die Zeit auf der solidarischen Kundgebung. Alle, die hineinwollten mussten sich einer kompletten Leibesvisitation unterziehen, sowie alles bis auf Papier und einen Bleistift abgeben. Dies (und zum Beispiel die Positionierung des Angeklagten in einer Glasbox) sind Vorgänge die sonst bei schwerbewaffneter organisierter Kriminalität, wie z.B. Hells Angels Verfahren, angewandt werden.

 

Wir werten alleine dieses Setting schon klar als politisches Signal. Wie die Verteidigung schon in ihrer Eröffnungserklärung verlautbaren ließ, ist nichts an diesem Verfahren von der U-Haft bis zu den Sicherungsmaßnahmen ein normaler Standard angesichts der Vorwürfe (Landesfriedensbruch, Körperverletzung, Widerstand, Beleidigung). Hierzu zählen wir auch weiterhin die Verhandlung vorm Schöffengericht – das notwendig ist, um eine Strafe über zwei Jahre (also ohne Bewährung) auszusprechen.

 

Hinzu kam, dass zu Beginn des Prozesses mindestens zwei Beamte der politischen Polizei in zivil und unangemeldet dem Verfahren beiwohnten. Leider gingen wir als kritische Beobachter*innen darauf nicht von Anfang ein und nahmen dies erst einmal hin. Das die beiden nicht nur zur Beob­achtung da waren, wurde kurz nach Prozessbeginn auf absurde Art und Weise offensichtlich:

 

Jetzt drehen sie völlig durch“

 

Nach Vernehmung des ersten Zeugen, reichte ein Justizbeamter der Richterin eine kleine Notiz. Diese ließ daraufhin die Verhandlung unterbrechen. Als die Zuschauer*innen den Warteraum betra­ten, bot sich ihnen ein surreales Bild: circa 20 bewaffnete Mitglieder einer Hundertschaft erwarteten sie als schweigend. Nach anfänglichem ungläubigen Lachen von unserer Seite, erfolgte weiterhin schweigend und plötzlich die Festnahmne eines unserer Gefährten. Statt uns Auskunft zu geben, was das denn sollte oder unsere Fragen nach der allgemeinen Sinnhaftigkeit ihrer Existenz zu beant­worten, griffen sie nach wenigen Minuten eine weitere Gefährtin von uns heraus.

 

Erst auf mehrmaliges Nachfragen der Anwält*innen wurden weit zurück liegende Verfahren heran­geführt, daraus ein offener Haftbefehl (wegen offener Geldstrafe) und eine amtliche Anordnung ei­ner ED-Behandlung angegeben. Auch wenn beide schon nach wenigen Stunden wieder bei uns wa­ren, mindert das nicht unsere Wut.

 

Es ist offensichtlich, dass hier bewusst in einen laufenden Prozess eingegriffen werden soll. Diese völlig überzogene Aktion trifft natürlich das Publikum, das abgeschreckt werden soll, zu kommen.

 

Gleichzeitig behindert es auch die Arbeit der Anwält*innen, die sich auf diese Weise nicht in Ruhe auf ihre Rolle konzentrieren können. An dieser Stelle ein großes Danke an ihren Einsatz und Re­spekt für ihre weitere Arbeit im Gerichtssaal. Zusätzlich ist das natürlich eine massive Beeinflus­sung der öffentlichen Wahrnehmung und auch gerade der Schöffinnen. Hier wird in der Öffentlich­keit das Bild gezeichnet, dass hochgefährliche Menschen im Publikum säßen, für deren Verhaftung extra die Verhandlung unterbrochen werden müsste. Dies reiht sich ein in die permanente Hetze ge­gen die Bewohner*innen und Freund*innen des Friedrichshainer Nordkiezes.

 

Auch wenn die Richterin die folgende Rüge der Verteidigung damit kommentierte, alles außerhalb des Gerichtssaales sei nicht ihre Zuständigkeit, zeigt dieser Vorfall wie unabhängig Justiz und Exe­kutive voneinander sind: Wieso können zwanzig bewaffnete Beamte innerhalb des Hochsicherheits­bereichs des Prozesses Verhaftungen aufgrund anderer Verfahren durchführen?

 

Die politische Stimmungsmache sitzt hier im Saal“ - Dramatis Personae

 

Die Rollen in diesem Stück scheinen relativ klar verteilt.


Da haben wir auf der einen Seite den (augenscheinlich ungebrochenen) Angeklagten, der anders als Beate Zschäpe, hinter Sicherheitsglas der Verhandlung beiwohnt und sich hauptsächlich aus­schweigt. Klar auf seiner Seite die Verteidigung, die offensichtlich willens ist, aber auch jede Lüge und jeden Widerspruch der (ausschließlich) Polizeizeug*innen mittels endlosem Bohren aufzude­cken.

 

Im Publikum die Familie und die solidarischen Prozessbeobachter*innen, die sich miteinander ganz prächtig verstehen und die teilweise Absurdität des Spektakels mit einer Mischung aus Wut und Ausrufen der Erheiterung verfolgen. Nicht zu vergessen die zivilen Beamten des LKA die für das dramatische Zwischenspiel zu Beginn sorgen werden.

 

Auf der anderen Seite die StA Sadri-Herzog, die größtenteils uninteressiert wirkt. Allerdings schon zu Beginn klar stellt, wo sie den politischen Frontverlauf sieht. Während der Anfangserklärung der Verteidigung zeigt sie sich angesichts der Aussage erstaunt, es gäbe „nur Polizeizeug*innen“. Wie die Verteidigung richtig herausstellte sind Polizeizeug*innen besonders schwierig, gerade weil do­kumentiert ist, dass sie sich oft absprechen und bewusst lügen, damit es zu Verurteilungen kommt, ihnen aber aufgrund ihres Berufs im Gericht oft eine besondere Glaubwürdigkeit unterstellt wird. Auch strich die Verteidigung heraus, dass es hier um eine „Lagersituation“ gehe, da dem Angeklag­ten konkret Polizei feindliche Aktionen vorgeworfen werden und alle Zeug*innen nun eben Poli­zist*innen sein. Dies kann eine Staatsanwältin als wichtigen Hintergrund des Verfahrens erst einmal annehmen und in ihre eigene „objektive“ Prüfung mit einbeziehen.

Sie kann aber auch Sadri-Herzog heißen und das lapidar beiseite wischen. Und dann in Antwort auf die Verteidigung mit einem Fax wedelnd auf das Publikum zeigen und ausrufen „die politische Stimmungsmache sitzt hier im Saal.“

 

Ihre ganz eigene Position nimmt die Richterin ein. Auf der einen Seite zeigt sie sich früh genervt von der Verteidigung und lässt erst nach einigem Hin-und-Her deren anfängliche Einlassung zur politischen Einladung des Prozesses zu („Dann geben sie halt ihre komische Erklärung ab“). Ande­rerseits befragt sie selbst sehr kritisch die Zeug*innen und deckt Widersprüche auf. Sie betont in Abgrenzung zur StA , dass sie sich über Publikum freue, verweist aber auch frühzeitlich und ohne Anlass darauf, dass sie Störungen nicht dulden werde. Uns zeichnet sich das Bild, dass sie ein mög­lichst wenig politisches Verfahren streng nach den juristischen Spielregeln führen will, die in ihren Augen für alle (auch Publikum und Polizei) gelten.

 

Als (schlechte) Statisten fungieren die Justizbeamten, die ihre Langeweile nur schwer verbergen können und sich ganz so wie schon in der Grundschule die Zeit mit in die Luft gucken oder Feixe­reien vertreiben.

 

Von selbstlosen Helden und „deutschen Phänotypen“ - Die Zeug*innen

 

Zuerst der Geschädigte Pfaff, der an dem Tag als Bereitschaftspolizist der Blumenfeld-Einheiti ein­gesetzt war. Pfaff ist zusätzlich auch Adhäsionklägerii. Als erfahrener Polizist hielt er es an dem Tag und angesichts der Lage nicht für notwendig, einen Genitalschutz oder Oberschenkelprojektoren zu tragen. Daraufhin erwischte ihn im Einsatz anscheinend ein Stein so stark, dass er mehrere Tage ein Hämaton mit sich herumschleppte. Ganz selbstlos gab er an, den Stein zwar gesehen zu haben, die­sem aber todesmutig nicht ausgewichen zu sein, da der sonst „einen Kollegen getroffen haben“ könnte. Pfaff setzte seinen Dienst daraufhin fort und bewertete die Verletzung auch nicht als schwerwiegend genug, ein*e Ärztin aufzusuchen.

 

Interessanter als Pfaff war allerdings die Beamtin Haase.

 

Haase war an dem Tag als Beamtin in „szenetypischer Kleidung“ innerhalb der Demonstration ein­gesetz. In ihrer offiziellen Funktion als Tatbeobachterin ist Frau Haase im Verfahren eine Hauptbe­lastungszeugin. Will sie doch Balu verfolgt, bei dem, ihm vorgeworfenen, Steinwurf gesehen und danach bei der Entmumnung genau erkannt haben.

Als erfahrene Beamtin wusste Frau Haase genau, wie sie vor Gericht aussagen muss.Sie konzen­trierte sich auf mehrere Momente, die eine Identifizierung glaubhaft machen sollten und ging über Ungereimtheiten an anderen Stellen bewusst hinweg. Ohne schon allzu viel verraten zu wollen, er­klären wir an dieser Stelle nur, dass wir schon begeistert ein „Best-Of der Widersprüche“ zusam­menstellen.

 

Frau Haase verbrachte laut Eigenaussage ihre gesamte zehnstündige Dienstzeit am Montag damit eine (in Zahlen: 1) eigene Aussage zu lesen, fünf Skizzen anzufertigen (und zu laminieren) und „nachzudenken.“ Und sich natürlich überhaupt nicht mit ihrem Kollegen und weiteren Belastungs­zeugen Petzsch abzusprechen, der nur mal so „öfter kurz“ in ihrem Büro vorbeischaute.

Haase offenbarte im Prozess ein Weltbild, wie aus der Karikatur des deutschen Michels.

 

So war sie überrascht, als sich der Angeklagte entmummt habe. Denn „zuvor dachte ich aufgrund der Augenpartie, er sei Deutscher“ dann jedoch (oh Schreck) war er „vom Phänotyp eindeutig nicht deutsch.“ Als die Richterin ungläubig nachfragte, ob das Deutschsein am Aussehen festzumachen sei, bekräftigte sie, dass er natürlich einen deutschen Pass haben könnte, aber eben „phänotypisch nicht deutsch sei“. Dieser „Phänotyp“ wurde anscheinend hauptsächlich am Bart festgemacht. Da­mit ist Haase auf einer Wellenlänge mit der Staatsanwaltschaft die auch erst mal einen „islamisti­schen Hintergrund“ prüfte.

 

Aber auch die detektivischen Fähigkeiten der Beamten sind bühnenreif: Verfolgte sie doch die gan­ze Zeit zwei Personen, „den Angeklagten und seine Freundin“. Wie Bonnie & Clyde müssen die beiden sich durch die Menge bewegt haben: sie wirft die Steine auf die Fahrbahn, er rennt heroisch nach vorne, sie möchte auch, ist aber zögerlich. Straßenromantik pur. Doch woher wusste Haase vom Beziehungsstatus der Beiden? Facebook? Nein. Sie konnte das Beziehungsverhältnis der beiden eindeutig daran festmachen, dass er sie in einem Moment umarmt hätte und ihr vor der Tat noch einen „tiefen Blick“ zugeworfen habe. Dazu hätte er sie auch noch die ganze Zeit „Krümel“ genannt.

Das ist eine kriminalistische Meisterleistung sondergleichen. Wir freuen uns schon auf das erste Verfahren der Menschen die uns mit den eindeutigen Kosenamen „Pizza“, „Sterni“ oder „Waschbär“ ihre sozialen Beziehungen während Demonstrationen zurufen. So witzig das erst klingt, finden wir diese heteronormative Kackscheisse jedoch auch bedenklich. Denn hier wird das Bild des romantischen Straßenkämpfer Päarchens gezeichnet, dass in inniger Liebe und gemeinsamer Verschwörung nach Berlin zieht, um es dem Staat zu zeigen. Nebenbei wird versucht „die Freundin“ zu belasten.

 

Alles in Allem und trotz unserer Wut über die Verhaftung unserer Gefährt*innen ziehen wir jedoch eine positive Bilanz des ersten Prozesstages. Balu hat erst mal Haftverschonung und kann sich wie­der selbstbestimmter bewegen. Gerade für seine Familie bedeutet dies eine immense Erleichterung. Auch erwarten wir mit Spannung den Wiederauftritt von Frau Haase und der nächsten Zeug*innen. Mit gespitzten Bleistiften und geschärften Ohren, sammeln wir weiter fleißig Widersprüche und freuen uns auch darauf Staatsanwältin Sadri-Herzog auch weiterhin zur Last zu fallen - ob per Fax oder im Saal.

 

Auch wenn wir nicht garantieren können, dass alle in den kleinen Saal passen:

Der nächste Prozesstermin von Balu ist um 11 Uhr wahrscheinlich wieder im Saal B218 (Wils­nackerstrasse).

 

Und natürlich bleiben bei aller Freude unsere Gedanken auch weiterhin bei Aaron der bis zu seinem Prozessbeginn am 08.11. nun ohne Balu die Untersuchungshaft ertragen muss.

 

Solikreis Aaron & Balu

 


i Also Teil der Berliner Bereitschaftspolizei ist.

iiD.h. dass es in dem Verfahren auch um Schadensersatz für ihn geht.