Kiyaks Deutschstunde / Polizei in Sachsen: Die Polizei sagt Danke, Danke, Danke

Erstveröffentlicht: 
12.10.2016

"Geschafft, aber überglücklich": Die sächsische Polizei freut sich über die Verhaftung des Terrorverdächtigen und dankt den Bürgern. Hat sie nicht jemanden vergessen?

 

Kann passieren, dass einem ein Tatverdächtiger durch die Lappen geht. Ist zwar blöd und peinlich, weil es sich nicht um die Dorfpolizei von Chemnitz handelt, sondern um ein Sondereinsatzkommando, aber gut, ist halt passiert. Was jedoch gar nicht geht, ist das:

 

Wir sind geschafft, aber überglücklich. Der Terrorverdächtige al-Bakr wurde in der Nacht in Leipzig festgenommen.


Das twitterte die Polizei Sachsen über ihren offiziellen Account, nachdem ihnen ein mutmaßlicher Terrorist vor der Nase weglief. Offenbar "schlurfend und ohne Körperspannung", wie es in der Täterbeschreibung im Fahndungsaufruf hieß. Ganz gegen ihre Gewohnheit sendete die Polizei ihre Botschaft auch noch auf Englisch in die Welt hinaus:

 

NEWS: Tired but overjoyed: we captured the terror suspect last night in Leipzig.


Warum die Nachricht auf Englisch versendet wurde, ist klar. Damit die Weltöffentlichkeit erfährt, dass es sich als Terrorist nicht lohnt, in Deutschland, genauer in Sachsen, niederzulassen, um ein Attentat zu planen. Denn die Heroes from Saxony legen sich nicht eher zur Ruhe, bis drei rechtschaffene Bürger anrufen, um ihnen den Verdächtigen fertig gefesselt zu übergeben. So spielte es sich wohl ab. Drei Leipziger gabelten den 22-jährigen Tatverdächtigen am Bahnhof auf, brachten ihn zu sich nach Hause und fesselten ihn dort und fix und fertig, bereit zur Übergabe. Die sächsische Polizei musste daraufhin die letzte große Hürde nehmend (Paunsdorfer Adresse korrekt ins Navi eingeben) den Gefesselten ins Polizeiauto bekommen. Es war ihnen offenbar geglückt.

 

Was ist an diesem Tweet so lachhaft? Natürlich die Wortwahl. "Geschafft, aber überglücklich", so geben normalerweise Kevin und Peggy die Geburt ihres süßen kleinen Justin-Tobias bekannt, der um 00.42 im Klinikum Schkeuditz "das Licht der Welt erblickte". So kann man aber nicht twittern, wenn man gerade einen Plattenbau gestürmt hat, womöglich mit allem Pipapo: plattentypische TGL-Norm-Tür eintreten, vielleicht noch eine Tortenschlacht, schnelles Klaviergeklimper, alles in Schwarz-Weiß und dann mit Karacho und Fanfarenfinale auf den vermeintlichen Täter drauf, der nicht ausweichen kann, weil mit Kabelbinder fixiert. 

 

Man hat ja andere Dinge im Kopf


Es ist nur ein Detail, aber der Vollständigkeit halber: Der Überführte hatte bereits gegessen und war auch schon rasiert, dafür hatten die rechtschaffenen Bürger vor der Festnahme ebenfalls gesorgt. Glücklicherweise. Hat man doch als Terrorfahndungsspezialkommando Besseres zu tun, als sich auch noch um die Versorgung zu kümmern. Angesichts der Herkunft des Täters womöglich eine Halal-Speise?! Wo soll man das in Sachsen hernehmen?

 

Nee, man hat echt anderes im Kopf, wenn man Terroristen jagt. Zum Beispiel, dass der Tankdeckel nicht auf dem Autodach liegt, während man mit quietschenden Reifen die Tanke verlässt. Außerdem sollte man vorher checken, ob der Fahrstuhl in der Platte funktioniert. Sonst muss man den Gefesselten die ganzen Treppenstufen hinuntergeleiten, und so üppig ist die Erschwerniszulage nun wieder nicht. Andernfalls müsste man versuchen, die drei rechtschaffenen Bürger zu überreden, ob sie so nett wären, den Gefesselten ins Polizeiauto zu tragen. Schließlich handelt es sich um deren Gefangenen.

 

Teile der Öffentlichkeit haben sich über die Polizei empört. Sie hätten die Umstände der Festnahme transparenter machen sollen. Das ist natürlich kleinkariertes Mimimi von empörten Bürgern, denen man es nie recht machen kann. Seit wann dient Öffentlichkeitsarbeit dem Veröffentlichen von Fakten, Informationen und anderem Kleinklein? Ginge es darum, müsste man abwarten, bis die Anklage des Tatverdächtigen fertig formuliert ist, statt bestens über Motive und Anschlagsziele Bescheid zu wissen.

 

Es muss reichen, dass die Polizei nach einem derartigen Nervenkrieg überhaupt eine Meldung absetzte. Sogar auf Facebook, wo auch Platz war, um sich zu bedanken. Bei der Polizei Thüringen, Polizei Brandenburg, Polizei Sachsen-Anhalt, Bundespolizei, Bundeskriminalamt, doch vor allem bei der "betroffenen Bevölkerung Chemnitz", die durch ihre Reaktionen den Einsatz um ein Vielfaches erleichtert habe. Der Grund, warum man die rechtschaffenen Bürger – die von der Polizei Sachsen "Hinweisgeber" genannt werden – nicht erwähnte, ist, dass man ihre "Gefährdung nicht provozieren" wolle. Nachvollziehbar. Vielleicht richtig. Vielleicht auch nicht. Vielleicht wollte man keine Bewunderung und Dankbarkeit provozieren und damit zum Kippen der Stimmung beitragen. Auch der Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat sich mit keiner Silbe zu den "Hinweisgebern" geäußert und sich stattdessen bei der Polizei und den anderen Behörden bedankt. Stets nach der Devise: Teile der Wahrheit könnten die besorgten Bürger verunsichern.