Der Regierungsbericht zum Stand der Deutschen Einheit hatte schon bei seiner Vorlage Kritik deutscher Ministerpräsidenten ausgelöst. Nun brachte ihn die Ost-Beauftragte in den Bundestag ein. Die Debatte war emotional.
Einen Tag vor Beginn der Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit hat die Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke, den aktuellen Regierungsbericht zum Stand der Deutschen Einheit in den Bundestag eingebracht. In dem Bericht wird eine zunehmende Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland als eine "ernste Bedrohung" für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Ländern bezeichnet.
Die SPD-Politikerin bekräftigte im Bundestag diese Analyse und forderte
einen "Aufstand der Anständigen" gegen Fremdenfeindlichkeit in den neuen
Bundesländern. Es gebe nichts daran zu beschönigen, dass die Zahl
rechtsextremistischer Gewalttaten - bezogen auf eine Million Einwohner -
in jedem ostdeutschen Bundesland deutlich über dem Durchschnitt der
westdeutschen Länder lägen. Gegen Rechtsextremismus und Intoleranz sei
entschlossenes Handeln nötig, sagte Gleicke. Alle seien gefordert, dem
braunen Spuk entgegenzutreten.
Zugleich warnte sie vor
Schönfärberei bei der Beurteilung der Lage in den neuen Ländern und
sprach sich für einen ehrlichen Umgang mit den Ostdeutschen aus. Was
diese nicht mehr vertragen würden, sei die Unwahrheit, sagte sie und
forderte dazu auf, Versprechen wie die im Koalitionsvertrag verankerte
Angleichung der Rentenwerte in Ost und West zu halten.
"Wachen Sie auf, tun sie etwas"
Die Linkenpolitikerin Susanna Karawanskij sagte, noch immer gelte im Osten, "wenn Du etwas werden willst, musst Du in den Westen". Nach einer Generation sei Gleichheit noch nicht erreicht.
Das sei eine Bankrotterklärung für die Regierung, die es über ein
Vierteljahrhundert nicht geschafft habe, die Unterschiede abzubauen. Der
Kampf dagegen, nicht wie Degradierte behandelt zu werden, sei ermüdend
und mache wütend.
Auch bei der Bekämpfung rechtsextremer
Strukturen warf Karawanskij der Regierungskoalition Versagen vor. Diese
Strukturen seien seit mehr als 15 Jahren hinreichend bekannt. "Wachen
Sie auf, tun sie was", schloss sie und forderte zugleich, den Menschen
eine Zukunftsperspektive zu geben, und nicht noch einmal 15 Jahre damit
zu warten.
Vom Jammerton zum Kammerton
Mark Hauptmann von der Union warf Karawanskij Populismus vor. Die Linke
müsse sich von ihren Wunschvorstellungen verabschieden. Bei den Linken
sei der Jammerton zum Kammerton geworden, monierte er und verwies auf
die Fortschritte der vergangenen 26 Jahre.
Eckhard Rehberg,
ebenfalls von der Unionsfraktion, entgegnete Karawanskij: "Wer so redet
wie Sie, trägt zur Vergreisung des Ostens bei!" Wer im Zusammenhang mit
dem Einheitsbericht den Osten zudem auf Rechtsextremismus reduziere,
stigmatisiere die Menschen im Osten. Gleickes Kritik an der
Rentenangleichung entgegnete er, wenn sie deren Ausbleiben kritisiere,
müsse sie zugleich einräumen, dass damit später sechs Millionen Menschen
im Osten weniger Rente bekommen würden.
Ramelow verweist auf psychologisches Problem
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow hatte zuvor im ZDF-"Morgenmagazin" ein psychologisches Problem der deutschen Einheit ausgemacht, um das sich die Politik kümmern müsse. Es gebe auf beiden Seiten noch unterschiedliche Wertvorstellungen.
Dies sei eine positive Chance, zumal es der Westen nach der
Wiedervereinigung verpasst habe, positive Dinge aus dem Osten
einzubinden. Der Westen habe psychologisch den Eindruck erweckt, das
westdeutsche System sei das stärkere, die Gepflogenheiten im Osten seien
nichts wert.
Den Grund für die Fremdenfeindlichkeit sieht
Ramelow nicht allein in wirtschaftlicher Ungleichheit. "Wir haben es mit
Hetze und Hetzern zu tun", sagte der Linken-Politiker. Offenkundig
gelinge es, Menschen zu mobilisieren, gegen das System zu kämpfen.
Der Regierungsbericht zum Stand der Deutschen Einheit hatte schon bei seiner Vorlage Kritik deutscher Ministerpräsidenten ausgelöst. Die Bundesregierung hatte im jährlichen Einheitsbericht festgestellt, die zunehmende Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland gefährde sowohl wirtschaftlichen Aufholprozess und gesellschaftlichen Frieden in den betroffenen Bundesländern. Auch Wirtschaftsforscher warnen vor den negativen Folgen.