Sie kamen aus der afrikanischen Sonne in ein fremdes Land, dessen Sprache sie nicht beherrschten. Sie lernten sich einzurichten zwischen zugeteilter Arbeit, neuen Freunden und Alltagsrassismus. Birgit Weyhes Comic-Roman „Madgermanes“ beleuchtet die Geschichte der DDR-Vertragsarbeiter aus Mosambik. Am 4. Oktober stellt es die Autorin in Leipzig vor.
Anabella gibt es nicht in Wirklichkeit. Sie ist eine Comic-Figur. Aber ihr Heimweh und ihre Erinnerungen, die sind echt. Ihre Geschichte hat sich tausendfach abgespielt, die Flucht aus dem vom Bürgerkrieg geschüttelten Mosambik ab Ende der 70er ins sozialistische Bruderland DDR. Stumpfsinnige Arbeit, Leben in Wohnheimen und dann, 1990, die Aufforderung zurückzukehren, weil die DDR aufhörte zu existieren.
Anabella entstammt Birgit Weyhes Comic-Roman „Madgermanes“. Ein so berührendes wie informatives Werk, das die Geschichte der DDR-Vertragsarbeiter aus Mosambik beleuchtet. Sie kamen aus der afrikanischen Sonne in ein fremdes Land, dessen Sprache sie nicht beherrschten. Sie lernten sich einzurichten zwischen zugeteilter Arbeit, neuen Freunden und kaltem Alltagsrassismus. Was sie eint, ist die schreiende Ungerechtigkeit, an der einige zerbrochen sind. Teile ihres Lohnes wurden an den mosambikanischen Staat überwiesen und sollten bei der Rückkehr ausbezahlt werden. Dazu ist es nie gekommen.
Interviews in Deutschland und Mosambik
„Madgermanes“, eine Verballhornung von „Made in Germany“, nennen sich die gut vernetzten Rückkehrer in Mosambik heute. „Es war als Schimpfwort für uns gedacht gewesen, doch jetzt nennen wir uns selbst so. Und sind stolz darauf“, heißt es im Comic. Bei einem Besuch in Mosambik wurde Birgit Weyhe angesprochen von einem ehemaligen Arbeiter, der noch Deutsch konnte. Deutsch und die Handbewegung von der Stanzmaschine, die er jahrelang bediente. So wurde Weyhe, die in Hamburg als Comic-Autorin und Illustratorin arbeitet, auf das Thema gestoßen. Interviews hat sie geführt in Deutschland und Mosambik und aus der Fülle der Schicksale drei Protagonisten entwickelt. Anabella, die es in Süddeutschland zur Ärztin schaffte. Den stillen José, der in Pemba eine ruhige Ehe führt und die Deutsche Welle hört. Den draufgängerischen Basilio, der sich als Hilfsarbeiter durchschlägt und sagt: „Die DDR hat mir nichts gebracht, außer die Sehnsucht nach einem besseren Leben.“
Die Lebenswege der Protagonisten kreuzen sich in einer Art Dreiecksgeschichte, beleuchtet aus drei Perspektiven. Die Hoffnungen sind groß. Die Erkenntnis, nur Tauschware im ideologisch verbrämten Geschäft der Bonzen zu sein, dämmert bald. „Die Partei hat uns verschachert!“, sagt Basilio und nimmt es mit der Arbeit nicht mehr so genau. Den Helm über den Augen sieht man ihn in der abgestellten Baggerschaufel schnarchen.
Ein Bild für die Angst
Weyhe hat über ihre Tuschezeichnungen einen warmen bronzenen Ockerton gelegt. Sie wollte eine Farbe, der ihre Protagonisten leuchten lässt, die Mimik nicht verdeckt. Doch Gefühle, das ist die große Stärke der Graphic Novel, werden nicht nur durch Mimik deutlich. Mehr noch durch metaphorische Bildwelten, in die afrikanische Motive einfließen: 1991, der Mob tobt in Hoyerswerda vor dem Wohnheim. Die Angst übersetzt Weyhe in eine Flucht auf einen Baum. Unten fletschen wilde Tiere die Zähne.
Weyhe hat sich über Kunst und Kunsthandwerk der Region informiert, traditionelle Schnitzereien und Holzschnitte angesehen. Viel ursächlicher aber für ihren einfühlsamen Blick dürfte die eigene Lebensgeschichte sein. Anabella sagt am Ende des Buches: „Wir sind alle ohne Bindung, ohne Anker, schwebend zwischen den Kulturen. Egal ob wir zurückkehren oder bleiben.“ Ein Satz, der Weyhe aus dem Herzen spricht. Sie ist in Ostafrika aufgewachsen und kam erst mit 20 zurück nach Deutschland. Sie kennt das Gefühl, immer etwas zu vermissen, das die Kindheit prägte, aber nicht greifbar ist. Gerüche, Farben, Licht. „Das ist meine Legitimation, darüber zu schreiben“, sagt sie. Und so sind ihr die afrikanischen Strecken im Buch viel leichter gefallen, als die Abschnitte über die DDR.
Mit dem Max-und-Moritz-Preis 2016 ausgezeichnet
„Madgermanes“ wurde mit dem Max-und-Moritz-Preis 2016 ausgezeichnet, dem höchsten Comic-Orden in Deutschland. Dass es ein Buch geworden ist, das genau die Fragen der Zeit berührt mit neuen Heimatlosen und dem Kampf um ein Leben in einer anderen Welt, das ist Zufall. „Das aktuelle Thema hat mich überholt“, sagt Weyhe. „Ich habe schon vor Jahren mit den Interviews begonnen.“
Emiliano Chaimite war einer ihrer Gesprächspartner. Weiß leuchtet sein Hemd, als er in den grauen Hinterhof der Dresdner Neustadt biegt. Eine halbe Stunde zu spät. Der Termin beim Sozialministerium hat länger gedauert, Bereich Integration. Chaimite hat Gießer gelernt, damals, in der DDR. Heute arbeitet der 49-Jährige als Krankenpfleger. In seiner Freizeit engagiert er sich für Integration in mehreren Vereinen. „Langsam tut sich was“, sagt er. Die Politik beginne, Migranten als Ansprechpartner ernstzunehmen, von ihren Erfahrungen zu profitieren.
Chaimites Freizeit ist rar. Sein Engagement auch ein Stück Dankbarkeit für die Hilfe, die er 1990 erfahren hat. Damals, als die Dinge kompliziert wurden, als mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik die Fragezeichen hinter dem Aufenthaltsstatus der Vertragsarbeiter wuchsen. Als sich Mosambik verpflichtete, die Arbeiter zurückzunehmen. „Eine korrupte Regierung“, sagt Chaimite. Bis heute wird in der Hauptstadt Maputo für die Auszahlung der einbehaltenen Löhne demonstriert. „Mosambik hat kein Interesse, zu helfen.“ Aber ein Pfarrer half ihm. Sie fanden einen Weg, dass Chaimite bleiben konnte und einen Ausbildungsplatz fand. „Allein hätte ich keine Chance gehabt.“
„Wenn Dynamo spielte, ging man nicht raus.“
Er musste die Hürden der Bürokratie überwinden. Und die Feinde in den Straßen meiden. In den frühen 90ern studierte Chaimite die Fußball-Pläne. „Wenn Dynamo spielte, ging man nicht raus.“ Es war die Zeit, als der köchelnde Rassismus offen auf die Straße getragen wurde, die Zeit der Glatzen und No-go-Areas. Zurück wollte er dennoch nie. Weyhe beschreibt, wie viele Rückkehrer scheiterten. Weil sie einen Beruf gelernt hatten, den es in Mosambik nicht gab. Weil sie ohne Geld kamen, was ihnen niemand glauben wollte. „Familie“, sagt Weyhe, „ist dort anders definiert. Wer hat, gibt allen, bezahlt auch das Schuldgeld für die entfernte Cousine.“ Ihre drei Protagonisten haben unterschiedliche Wege genommen. Gemeinsam erlebt haben sie die harte Landung zwischen den Kulturen.
Was also ist Heimat? Chaimite lacht, wie man über eine Frage lacht, die sich nicht beantworten lässt. „Auf Anhieb würde ich sagen: Meine Heimat ist hier“, sagt er. Aber da seien auch die drei Palmen in Beira, die er damals gepflanzt hat. „Die stehen noch. Und das ist auch Heimat.“
Am 4. Oktober, 19 Uhr, stellt die Autorin das Buch im Grassi Museum für Völkerkunde vor
Von Diemo Rieß