Ein operativ tätiger, von der Öffentlichkeit besonders abgeschirmter BND-Zeuge ließ sich im NSA-Ausschuss aus der Nase ziehen, dass der Geheimdienst jahrelang von Flüchtlingen auch Informationen erfragte, die Drohnenschläge unterstützen könnten.
Am Donnerstag war einiges anders im sonst weitgehend ritualisiert ablaufenden NSA-Untersuchungssauschuss des Bundestags: Die interessierten Zuhörer aus der Öffentlichkeit mussten erstmals nicht auf der Publikumstribüne im Europasaal des Paul-Löbe-Hauses Platz nehmen, sondern durften auf die bequemeren Sessel der Abgeordneten ein Geschoss tiefer.
Grund für den Wechsel: Der angehörte Zeuge R. C. ist noch operativ tätig beim Bundesnachrichtendienst (BND), seine Identität sollte der Öffentlichkeit nicht bekannt werden. Die Parlamentarier zogen daher in einen anderen Sitzungssaal mit dem Agenten um, von dort gab es eine Videoübertragung in den üblichen Anhörungsraum. Die Kamera war aber allein auf die Ausschussmitglieder gerichtet, nicht auf den Zeugen. Für einen weiteren BND-Vertreter ließen die Auflagen der Bundesregierung nicht einmal eine Tondokumentation zu. Ein offizielles Protokoll der Vernehmung soll aber später veröffentlicht werden.
Hauptstelle für das Befragungswesen
Eine Kernfrage der technisch ermöglichten öffentlichen Sitzung lautete, ob US-Geheimdienste Erkenntnisse aus der Befragung von Asylbewerbern durch den BND für tödliche Drohnenattacken ziehen konnten. Unter der Legende "Hauptstelle für das Befragungswesen" (HBW) horchte die deutsche Spionagebehörde gut 50 Jahre lang bis 2014 pro Jahr hunderte Flüchtlinge aus. Eine langjährige Leiterin der HBW hatte voriges Jahr bestritten, dass die USA dadurch "taktische Informationen" für den Drohnenkrieg erhalten hätten.
R. C. wollte es dagegen nicht von vornherein für unmöglich halten, dass für Drohneneinsätze nutzbare Informationen an den US-Partner gegangen seien: "Ausschließen kann ich gar nichts", konstatierte der 53-Jährige, der 2003 bis 2008 als Befrager und von 2009 bis September 2013 als Befrageführer und stellvertretender Dienststellenleiter bei einer HBW-Niederlassung tätig war. Kollegen von der Defense Intelligence Agency (DIA), einem Pentagon-Arm, hätten das einschlägige Befragungswesen schließlich vor über 50 Jahren hierzulande erst entwickelt und auch zu seiner Zeit teils noch allein die Gespräche mit Asybewerbern geführt, wenn dies etwa aufgrund deren Sprachkenntnisse oder sonstigen Eignung nahe gelegen oder kein anderer zur Verfügung gestanden habe.
Die DIA sei "immer vor Ort präsent" gewesen und wie ein "Austauschschüler" in die "Befrager-Community" vollumfänglich integriert gewesen, sagte R. C. Draußen gehalten worden seien die US-Geheimdienstler nur, wenn es sich um Angelegenheiten des "nationalen Interesses" gehandelt habe. 2007 seien für die DIA zudem Quellen aus Israel, Jordanien, Libanon, Palästina und Syrien "gesperrt" worden. Zudem sei von oben gesondert darauf hingewiesen worden, dass Ortsangaben und militärisch-taktische Informationen außen vor bleiben müssten.
"Daten-Weitergabe im Einzelfall"
Vermutlich seien zumindest bis 2006 solche Daten teilweise noch in die Finger der US-Amerikaner gelangt, meinte R. C. Auch später sei im Einzelfall eine Weitergabe noch möglich gewesen. Wenn die zwei "handverlesenen" US-Befrager an seiner Dienststelle "selbst dran waren" mit einer Flüchtlingsbefragung, hätten sie ohnehin etwa auch Informationen zum Standort von Gebäuden abschöpfen können. Es habe die Möglichkeit bestanden, Kartenmaterial vorzulegen oder über einen Laptop Google Maps heranzuziehen, um Objekte zu identifizieren und zu lokalisieren. Er habe aber "keine Anhaltspunkte" dafür, dass Material für militärische Operationen genutzt worden sei.
Bei den freiwilligen Unterredungen mit Asylbewerbern sei es durchaus auch um Telefonnummern gegangen, räumte R. C. ein. Details, inwiefern Handynummern und Kennungen von Mobilgeräten wie die IMEI erhoben worden seien, wollte er nur in nicht-öffentlicher Sitzung verraten. Ein Gutachter war für den Ausschuss gerade erst zu dem Ergebnis gekommen, dass derlei Daten entgegen offizieller Darstellung durchaus für tödliche Drohnenangriffe genutzt werden könnten.
Keine Geodaten
R. C. gab auch zu, dass der HBW "militärisch relevante" Informationen nicht genau definiert habe. Für ihn habe dazu etwa auch die Lage und Ausstattung einer medizinischen Einrichtung gehört. Die Befrager hätten die in mehrstündigen Gesprächen "bis ins Detail" abgeschöpften Daten generell an die Auswertungsstelle weitergegeben. Dieser oblag es demach, die Relevanz des Materials festzustellen und vor einem Austausch der Ergebnisse mit Partnern gegebenenfalls exakte Koordinaten auszumerzen. Praxis sei es gewesen, "Geokoordinaten zu entfernen". Informationen, die exakt auf ein Objekt hindeuteten, sollten so nicht in die Hände Dritter gelangen.
Eine Nachfolgeorganisation für die Stelle, für die vor allem frühere Regierungsvertreter aus anderen Ländern und deren nicht-öffentlich bekannte Informationen über ihre Heimat interessant gewesen seien, gibt es R. C. zufolge nicht. Schon bis 2013 sei das Personal der HBW ständig verringert worden, die Erkenntnisse seien zurückgegangen, obwohl die Tarnung all die Jahre gehalten habe. Er persönlich finde es "schade, dass man dieses Instrument nicht mehr hat". Damit verzichte die Politik auf viele Informationen, die Flüchtlinge nach Deutschland mitbrächten. (anw)