Leipziger Sozialpsychologe sieht keinen Rechtsruck in Gesellschaft

Erstveröffentlicht: 
20.09.2016

Die Wahlerfolge der AfD und das Erstarken rechtspopulistischer Bewegungen bestimmen die öffentliche Diskussion in Deutschland. Der Sozialpsychologie Immo Fritsche sagt dennoch: Es gibt keinen Rechtsruck der Gesellschaft.

 

Leipzig. Die AfD fährt bei den Wahlen locker zweistellige Ergebnisse ein, Bewegungen wie Pegida halten sich seit rund zwei Jahren. Welche psychologischen Erklärungen gibt es dafür?


Immo Fritsche: Unsere Untersuchungen zeigen, dass in Zeiten von Bedrohung die Polarisierung ansteigt. Persönliche Bedrohungsgefühle erhöhen die Bereitschaft, sich Gruppen anzuschließen und in Intergruppenkonflikte - Wir gegen Die - einzusteigen. Das hängt auch von persönlichen Motiven ab. Nicht nur Bedrohungen steuern die Extremisierung, sondern auch die Wahrnehmung meiner Gruppe im sozialen Kontext, in dem sie sich bewegt.

 

Aber warum gibt es diesen Rechtsruck?


Es gibt die These, dass es in Krisenzeiten einen „Conservative Shift“ gibt, also eine Hinwendung zu rechtskonservativen Positionen. Unsere Forschungen zeigen allerdings, dass es so einfach nicht ist. Es kommt darauf an, welcher Gruppe man sich zurechnet und was die Gruppennormen sind. Wir haben das untersucht an Legida und dem eher studentisch, linksliberal geprägten Gegenprotest von No Legida. Eine Bedrohungslage führte bei den Studenten nicht zu einer Hinwendung zu Legida, sondern zu einer stärkeren Hinwendung zu No Legida. Es ist eher so: Linksliberale werden linksliberaler, Rechtskonservative werden rechtskonservativer.

 

Dennoch hat man hat durch die Wahlerfolge der AfD den Eindruck, dass eine bisher schweigende Mehrheit immer lauter wird.


Das ist keine Mehrheit. Wenn man die sicherste Demografie, die man hat, nimmt, nämlich die Wahlergebnisse, dann wählt unter dem Strich eine Minderheit so. Die rechtspopulistischen Kreise erleben derzeit eine Blüte, aber sie agieren aus einer Position der Schwäche heraus. Was in den 90er Jahren noch die Stammtische dominiert hat, wird heute nicht mehr ganz so unwidersprochen hingenommen. Da ist ein ideologisches Milieu in die Defensive geraten. Es sammelt sich aber um sehr sichtbar gewordene Bewegungen.

 

Was müsste geschehen, um dieses Aufschaukeln der Gruppenkonflikte wieder zu bremsen?


Man muss auf die Faktoren schauen, die das begünstigen. Da ist zum einen diese Definition „Wir gegen Die“. Wir, die Deutschen, Die, die Ausländer. Wir wissen, dass diese Kategorien weniger wichtig werden, wenn Menschen in Kontakt miteinander sind. Das ist einer der robustesten Befunde in der sozialpsychologischen Forschung. Zum anderen wären klare Signale hilfreich, wo der gesellschaftliche Konsens liegt. Wenn eine Partei, die sich bislang zur bürgerlichen Mitte gezählt hat, sich treiben lässt von einer in die Defensive geratenen Minderheit, weckt das bei dieser natürlich die Hoffnung, es könne sich in ihrem Sinne was ändern.

 

Sie würden also raten „keine Panik“?


Es entwickelt sich eine enorme kollektive Kraft aus persönlichen Bedrohungsgefühlen. Ob das zu Intoleranz und Ablehnung des Fremden führt, oder möglicherweise sogar zu erhöhter Toleranz, das muss von den Gruppennormen abhängen, von dem, was in der Gesellschaft als Konsens wahrgenommen wird. In diesen Zeiten müssen wir schauen: Was ist der gesellschaftliche Konsens? Dann kann die Krise zur Chance werden.

 

Zur Person: Immo Fritsche ist seit 2011 Professor für Sozialpsychologie an der Universität Leipzig. Er forscht zu Gruppenprozessen und Sozialpsychologie beim Umweltschutz.