Nach den Krawallen von Bautzen verteidigen junge Syrer ihre neue Heimat gegen Kritik. Tolle Menschen in Sachsen hätten ihnen in „unbezahlbarer Weise“ geholfen – und sie haben einen wichtigen Hinweis.
In diesen warmen Septembernächten saß Nancy, eine 36-jährige Witwe aus Damaskus, fast jeden Abend im kleinen offenen Hof hinter ihrer Dreizimmerwohnung. Sie saß dort mit ihren ebenfalls aus Syrien stammenden Freunden Mohammad, 23, und Hassan, 25. Gemeinsam rauchten sie Wasserpfeife und paukten Deutschvokabeln, während sich vor Nancys Haus ein rechter Mob zusammenrottete – gleich vor den Fenstern ihres zur Straße gelegenen Wohnzimmers.
Seit Freitagabend treffen sich die Freunde vorerst nicht mehr dort, denn Nancy wohnt mit ihren vier Kindern im Alter von 17, 13, elf und neun Jahren direkt am Bautzener Kornmarkt, der nun – nach den ausländerfeindlichen Krawallen der vergangenen Nächte – in der ganzen Republik bekannt ist.
Im Moment ist es ruhig am Kornmarkt. Der Platz wird, wie auch die Gassen der umliegenden Altstadt, in der kommenden Woche intensiv durch die Polizei überwacht. Die selbst ernannten Bautzener Hobby-Bürgerwehren haben ihr Fernbleiben angekündigt; zwei am Wochenende geplante Kundgebungen sagten rechte Bündnisse ab. Auch die jungen Syrer gehen nicht mehr ins Stadtzentrum. Auch Mohammad und Hassan nicht. Obwohl die beiden sich nichts zuschulden haben kommen lassen, wollen sie, wie alle ihnen bekannten syrischen Asylbewerber, keinesfalls durch ihre Anwesenheit provozieren.
„Als ob sie uns am liebsten töten würden“
Die beiden Twens waren Donnerstagnacht aus Neugier – genau wie zahlreiche schaulustige Bautzener – am Ort des Geschehens und sind immer noch erschrocken über die Dutzenden hochgradig aggressiven, auch aus umliegenden Gemeinden mobilisierten Rechtsextremen. „Viele hatten Bierflaschen in der Hand, trugen Handschuhe und hatten Hass in den Augen – als ob sie uns am liebsten töten würden.“ Das berichtet Mohammad. Er war Student der Mechatronik in Latakia, dem Hauptsitz des Assad-Clans, von dort floh er im vergangenen August vor der Einberufung in die Armee.
Deutschland bewunderte er schon immer und hoffte, als Werkstudent in der Region Stuttgart arbeiten zu können. Doch er wurde nach Bautzen umverteilt. Trotz der nahezu pogromartigen Stimmung der letzten Nächte sind die drei Freunde aber weit davon entfernt, die Einwohner pauschal zu verurteilen. „Wir sind unendlich dankbar dafür, was Deutschland und die Sachsen hier alles für uns tun“, sagt Nancy und möchte, genau wie ihre Kinder und ihre Freunde, Deutschland einmal öffentlich „Danke“ sagen. Die Männer ziehen an ihren Wasserpfeifenschläuchen, lächeln und nicken zustimmend.
Und das sind keine höflichen Floskeln von Fremden, die den Deutschen mal was Nettes sagen wollen. Die positive Haltung zu Deutschland beruht auf konkreten Erfahrungen. In der Region um Bautzen gebe es viele engagierte, tolle Menschen, die ihrer Familie in „unbezahlbarer Weise“ beim Ankommen geholfen hätten, erzählt Nancy. Allein hätte sie nicht gewusst, wie sie eine Wohnung finden, den Umzug bewältigen und alle offiziellen Schritte hätte erledigen sollen. Dass die katholische Caritas ihr als Muslimin in vielem Beistand leistet, beweist für sie, dass die Deutschen gute Menschen seien, die genau wie sie an den einen Gott glaubten.
Nie gelernt mit Selbstbestimmung umzugehen
„Aber eben nicht alle“, schränkt sie ein, „man sieht ja, dass es hier viele einsame, trinkende Männer gibt.“ In Syrien sei es „undenkbar“, dass ein älterer Mann aus dem Sozialsystem der Familie falle und, leicht verwahrlost wirkend, seine Tage in der Öffentlichkeit vertrinke. Nicht nur Nancy macht sich so ihre Gedanken über die Deutschen. Mohammad vermutet, dass die, die sich als Trinker und Randalierer aufführten, „Gott verloren haben“.
Er kann sich durchaus in Ex-DDR-Bürger hineindenken. Er komme ja selbst, sagt er, aus einem sozialistischen System „ohne viel Freiheit“. Er glaubt, dass manche, die jetzt wütend und gewalttätig würden, nie gelernt hätten, mit Selbstbestimmung umzugehen, und aus Unwissenheit, teilweise aber auch aus „berechtigten Ängsten heraus“ alle Araber pauschal verurteilten.
Und noch etwas hat Mohammad in diesem Sommer beobachtet. Viele junge und auch mittelalte Bautzenerinnen fänden, wie unschwer auf den Straßen der Stadt erkennbar sei, an den jungen Arabern Gefallen. Auch das befeuere die Wut der offensichtlich alleinstehenden Männer.
Aus Angst vor Übergriffen nicht mehr in die Schule
Dann kommt das Gespräch auf die guten Deutschen zurück. Nancys Familie wird von einem älteren Ehepaar bei allen Ämtergängen und notwendigen Briefwechseln ehrenamtlich unterstützt. Und Hassan stellten die beiden in ihrem Kleinbetrieb zum Mindestlohn ein und freuen sich darüber, in ihm einen „wahnsinnig Fleißigen“ gefunden zu haben, „den man nach zehn Stunden auch mal nach Hause schicken muss, damit der nicht einfach immer weitermacht“, wie der Firmeninhaber begeistert erzählt.
Einmal pro Woche bekommt Nancys neunjähriger Sohn Besuch von einer ehrenamtlichen Nachhilfelehrerin, die mit ihm seine Defizite in Mathematik spielerisch zu bewältigen sucht. Um den Kleinsten wie auch um ihre 17-jährige Tochter, die gegen den Wunsch der Mutter seit acht Jahren das Kopftuch trägt, macht sie sich nun die größten Sorgen.
Am Freitag ging das Mädchen aus Angst vor Übergriffen nicht in die Schule. Am Vortag wurde sie, wie auch ihre kopftuchtragende Freundin, aus einem Auto heraus angepöbelt. Die beiden wollen in der kommenden Woche nicht aus dem Haus gehen, zu tief sitzt die Angst vor den tätowierten, glatzköpfigen Männern, die sie zuvor noch nie in dem überschaubaren Städtchen gesehen hatten.
„Eure Gefängnisse sind wie Urlaub mit Picknick“
Nancy, die ihre zweistöckige Maisonette-Wohnung in Damaskus durch einen Bombenabwurf verlor, geht nach harten Monaten im Asylbewerberheim in den Deutschunterricht und setzt alles dran, bald wieder in einem ihrer alten Berufe – Tourismusfachkraft oder Krankenpflegehelferin – zu arbeiten. Als hübsche Frau mit langen blond gefärbten Haaren, körperbetonter Kleidung und aufwendigem Make-up war sie im Heim täglich den sexistischen Belästigungen allein reisender Männer und auch verheirateter Familienväter ausgesetzt. Wann immer diese Männer sie nun in der Innenstadt sähen, würde sie angefeindet und teilweise aggressiv dazu aufgefordert, sich islamisch zu kleiden. Ihre Teenager-Töchter wurden im Heim häufig von Afghanen belästigt.
„Afghanen sind für uns Syrer sowieso ein Problem, viele Syrer aber leider auch“, erklären Hassan und Mohammad unisono – und dass sie wütend auf die marokkanischen und tunesischen Kriminellen seien, die den Ruf aller Geflüchteten beschmutzten. Sie sind sich sicher, dass viele asylsuchende Afghanen in Syrien bei der Hisbollah gekämpft hätten und auch viele Syrer aus der Assad-Armee nun hier seien.
Auch für Nordafrikaner finden sie keine guten Worte: „Es ist bekannt, dass junge Tunesier und Marokkaner in großen Zahlen in den Reihen von Daesh kämpfen, natürlich haben die da viel Geld gemacht und sind dann im Flüchtlingsstrom mit hergekommen.“ Daesh, so nennt man in Syrien leicht abfällig den IS.
Den Deutschen möchten sie einen Rat geben. „Eure Gefängnisse sind wie Urlaub mit Picknick für diese Menschen“, sagt Mohammad, „ihr müsst sie schnell abschieben und euch dabei nicht gefallen lassen, dass sie mithilfe von Aktivisten und Anwälten doch hier bleiben oder unterschlüpfen können.“ Es dürfe doch für ein gut organisiertes Land wie Deutschland nicht so schwer sein, eindeutige Täter zu schnappen und sie vor der Abschiebung wegzuschließen, echauffiert er sich. Er, Hassan und Nancy fürchten, solche Menschen, die vielleicht viele Seelen auf dem Gewissen und Kriegsverbrechen begangen hätten, seien eine Gefahr für alle in Deutschland und natürlich für das Ansehen der echten Flüchtlinge.
Vor den Rechten haben sie keine Angst
Michel, ein Christ, der in einem Gemeindehaus eine Wohnung gefunden hat, hat noch größere Befürchtungen – er glaubt, dass „jeder Muslim einen kleinen IS“ in sich trage, der bei Zuspitzung der Situation hervorbrechen könnte. Er bemüht sich, schnell gut Deutsch zu lernen, um dann bald der AfD beizutreten. So will er die Deutschen vor den strenggläubigen Muslimen, die seiner Meinung nach jederzeit ins Radikale umkippen könnten, warnen.
Nancys Sorgen sind aber zunächst andere: „Die syrischen Familien, die ich kenne, haben nach den letzten Nächten alle Angst um ihre Kinder und wissen nicht, was sie tun sollen“, sagt sie bedrückt. Die meisten verstünden die deutschen Lokalnachrichten schlecht und bekämen nur die aggressive Stimmung, die Tumulte und das große Polizeiaufgebot mit. Mohammad und Hassan aber glauben, dass sich die Situation in Bautzen wieder beruhigen werde. Sie vertrauen der deutschen Polizei und sind nach einer kurzen Begegnung mit Oberbürgermeister Alexander Ahrens von ihm, seiner klaren humanistischen Linie und seiner Weltoffenheit begeistert.
Vor den Rechten haben sie keine Angst – oder sie scherzen sie weg mit Galgenhumor: „Vielleicht sollten wir uns einfach alle blond färben – ob die Nazis dann endlich Ruhe geben würden?“ Hassan lacht ausgelassen, nur ein klein wenig bitter. Männer, die wie er Assads Folterknäste ein paar Mal, und das über Monate hinweg, von innen erlebten, fürchten nicht mal betrunkene Sachsen-Skinheads.
Von Marie Luise Wegener