Ob als Wahlkampfversprechen, im Koalitionsvertrag der rot-grünen NRW-Landesregierung oder im Austausch von Briefen zwischen den Umweltminsterien von Bund und Land: Die Schließung der Urananreicherungsanlage (UAA) in Gronau, die trotz angeblichem Atomausstieg über eine unbefristete Betriebsgenehmigung verfügt, wird gerne versprochen oder gefordert, wenn es darum geht, Wählerstimmen zu fangen und der Export von angereichertem Uran für Pannenreaktoren in Belgien und Frankreich für ungünstige Schlagzeilen sorgt. Die Landes-Grünen erinnern sich plötzlich an ihr Versprechen im Koalitionsvortrag und schreiben der Bundesumweltministerin Hendricks einen Brief. Diese wiederum schiebt die Verantwortung an das Land. Diese Selbst-Inszenierung von Politiker*innen mit ihrem angeblichen guten Willen, die Anlage zu schließen, war Anlass genug für eine Blockade der Anlage.
Rund 20 Aktivist*innen fanden sich am frühen morgen des 11. Juli 2016 vor der UAA zusammen. Sie stellen zwei sechs Meter hohen Tripods (3-Beine) vor der Hauptzufahrt der Anlage auf. Die hintere Zufahrt wurde durch zwei Kletter*innen in den Bäumen versperrt. „Wenn die Politik versagt, übernehmen wir die Schließung“, so die Aktivist*innen. In einer Erklärung kritisierten sie sowohl das Politikgeplänkel als auch den weltweiten Export von angereichertem Uran – die Urenco hat beim angereichertem Uran einen Weltmarktanteil von 10%. Hinzu kommt die Müllproblematik. Atommüll entsteht bei jeder Etappe der Atomspirale. In Gronau lagern unzählige mit abgereichertem hoch giftigem Uranhexafluorid gefüllte Fässer unter freiem Himmel.
Die Aktivist*innen thematisierten außerdem die verheerenden Folgen des
Geschäfts mit Rohstoffen zur Energiegewinnung: „ Die Produktion von Strom
mittels fossilen Energien, egal ob Uran, Kohle oder Erdgas, sollte dem
vergangenen Jahrhundert angehören. Es ist längst klar, dass es so nicht weiter
geht ohne massive Zerstörung von Lebensräumen für Menschen und Tiere. Die
Ausbeutung dieser Energieträger geschieht dabei in kolonialistischer Art. Die
Menschen in den Gebieten, wo die Rohstoffe abgebaut werden, profitieren davon
nicht. Das meiste Uran wird in Kasachstan, Australien, Kanada und Namibia auf
dem Gebiet von Indigenen abgebaut, die unter der Umweltzerstörung leiden,
während die Profite hier gemacht werden.“
Die Urenco, die Betreiberfirma der UAA, wurde von der unangekündigten
Protestaktion kalt erwischt. Die Demonstration erfuhr aufgrund der aktuellen
Debatte um die Anlage, großes öffentliches Interesse. Die Urenco erklärte, sie
wisse das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu schätzen, die Protestaktion
werde toleriert – und hoffte auf einen baldigen Abzug der Demonstrant*innen.
Die Aktivist*innen dachten keine Sekunde daran. „Wir sind gekommen um zu
bleiben“ stand auf einem Transparent. Die Urenco, die sich nach außen tolerant
zeigte, setzte in Absprache mit der Polizei auf Zermürbungstaktik. Mehrere
Aktivist*innen wurden ohne Vorwarnung oder Angabe von Gründen aus der
Demonstration heraus verhaftet und bis zu 14 Stunden in Gewahrsam genommen. Die
Polizei verhinderte dadurch eine Ablösung der Kletter*innen und warf bei der
Festnahme eines Kletterers ein besetztes Tripod beinahe um. Die Taktik ging
jedoch nicht auf. Als die Besetzer*innen nach ihrer ersten Nacht vor der Anlage
statt das Feld zu räumen, sich immer gemütlicher einrichteten und sich auch
nicht vom drohenden Regen und Gewitter von ihrem Vorhaben abhalten ließen,
wurde es der Urenco zu viel.
Die Blockade wurde nach 36 Stunden Besetzung durch die Bereitschaftspolizei aus
Bochum und eine Spezialklettereinheit aus Köln geräumt. Eine Gelegenheit, sich
selbst zu entfernen, erhielten die Demonstrant*innen nicht. Die Polizei nahm
alle Anwesenden – einen Passanten inklusive – zu den Polizeiwachen nach Gronau
und Ahaus mit. Und weil die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit unerwünscht war,
wurde ein Pressefotograf durch eine schikanöse Kontrolle minutenlang am
Dokumentieren der Räumung gehindert.
„Atomstaat made in Gronau“ schrieben die Aktivist*innen in einer
Erklärung: „Dieses Vorgehen zeigt, dass es hier um eine einseitige
Berichterstattung geht. Bilder, die den von Staat und Sicherheitskräften
gewünschten Darstellungen widersprechen, werden bewusst verhindert. Kritik an
der Anlage bleibt unerwünscht; Protest wird diffamiert. Atomkraft ist schon
lange nur noch mit Rückgriff auf die Polizei gegen die Bevölkerung
durchsetzbar. Heute hat die Urenco ihr hässliches Gesicht gezeigt und auf den
Polizeistaat zurückgegriffen, um die Urananreicherung zu ermöglichen. Wir
werden uns jedoch nicht einschüchtern lassen und uns weiter gegen Urenco,
Urananreicherung und Atomkraft zur Wehr setzen.“
Die Beteiligten blicken auf eine erfolgreiche Aktion zurück, die die Debatte um
die Schließung der Anlage befeuert hat.
Eichhörnchen
Erstveröffentlcihung in der Zeitschrift Graswurzelrevolution Nr. 411,
September 2016
Bildergalerie über die Aktion
Ein Video zur Aktion
Video der Räumung
WDR Video