In der Ortschaft Bure (Lothringen), unweit der deutschen Grenze, will die französische Regierung ein Endlager für hoch radioaktivem Müll in tiefen geologischen Tonschichten bauen. Das Vorhaben wurde CIGÉO getauft.
Die ANDRA (Nationale Agentur zur Entsorgung von radioaktivem Müll), Bauherrin
von CIGÉO, hat Anfang Juni 2016 mit der Rodung eines Waldes Namens „Bois Lejuc“
in Mandres-en-Barrois begonnen, erste Tatsachen zu schaffen. Und dies obwohl
die ANDRA über keinerlei Bau- und Rodungsgenehmigung verfügte und das Gesetz
zur Genehmigung einer ersten Bauphase – als industrielle Forschung getarnt –
das Parlament noch nicht ein mal passiert hatte. Der Wald wurde am 19. Juni,
wenige Tage nach Beginn der Bauarbeiten, im Anschluss an einem Waldspaziergang
durch Projektgegner*innen besetzt. Diese Aktion stellt einen Wendepunkt für den
Widerstand gegen das Atomklo in der Gegend dar: Noch nie zuvor wurde ein Platz
besetzt. Noch nie zuvor unternahmen so viele Menschen gemeinsam einen solchen
Akt des zivilen Ungehorsams.
Die Gegend um Bure ist sehr dünn besiedelt, gilt wirtschaftlich als strukturschwache Region und hat keine große politische Widerstandstradition. Der Widerstand wurde über die Jahre im Keim erstickt: Tarnung des Endlagerprojektes als „Forschungsbergwerk“ mit der Aussage, es gehe nur um Forschung und bedeute keine Festlegung auf dem Standort, verbunden mit schwindelerregenden Subventionen. Spätestens nach der im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens für das Großprojekt vorgeschriebenen öffentlichen Debatte von 2013, die auf Grund von Protesten ausschließlich im Internet stattfand, und nach dem Tausch des Waldes von Mandres-en-Barrois vor einem Jahr, sind auch Einwohner*innen in der Gegend erwacht und bereit gegen das Projekt zu kämpfen. Der Bürgermeister von Mandres-en-Barrois hatte im Juli 2015 in einer Sondersitzung des Gemeinderats im Frühtau den Tausch des Kommunalwaldes mit der ANDRA beschlossen – obwohl eine Befragung der Bevölkerung zwei Jahre zuvor ergeben hatte, dass die Menschen ihren Wald der ANDRA nicht übergeben wollen. Diese Ereignisse haben schließlich das Fass zum Überlaufen gebracht. Letzteres ist möglicherweise die Erklärung dafür, dass der Widerstand gegen das atomare Endlager nun ausgerechnet mit einer Auseinandersetzung um den Wald von Mandres-en-Barrois an Bedeutung – weit über Bure hinaus – gewinnt. Viele Einwohner*innen trauen sich zum ersten Mal laut und deutlich NEIN zu sagen. Ob Einwohner*innen, Landwirt*innen, Ökoaktivist*innen aus der Gegend und aus der Ferne, NGO-Aktivist*innen oder Autonome: Eine bunte Mischung eroberte schließlich den Wald.
Die Waldbesetzung war jedoch nur von kurzer Dauer. Die Militärpolizei räumte
die Aktivist*innen mit Gewalt nach drei Wochen Besetzung. Die Menschen ließen
sich weder von der Polizeigewalt bei der Räumung noch von der zunehmenden
Militarisierung der Gegend einschüchtern und riefen zur erneuten Besetzung des
Waldes für den 16. Juli 2016.
Die politische Klasse gab unmittelbar nach der Räumung den Aktivist*innen einen ordentlichen Motivationsschub. Die Abstimmung über die erste 6 Milliarden Euro teure Pilot-Bauphase von CIGÉO stand auf der Tagesordnung einer Sondersitzung der Assemblée Nationale am 11. Juli. Bure sollte möglichst weit ab von der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zwischen dem EM-Finale und dem Nationalfeiertag am 14. Juli als Atomklo zementiert werden. Die für das Gesetz zuständige Umweltministerin Ségolène Royal blieb der Abstimmung fern und zog ein Fotoshooting mit Fußballpromis, mit dem sie auf Twitter prahlte, der parlamentarischen Debatte vor. Sie wurde durch den für die Frankophonie zuständigen Staatssekretär vertreten. An der Abstimmung nahmen lediglich ca. 20 Abgeordnete teil. Einzig vier Ökoabgeordnete stellten Anträge und stimmten gegen das Gesetz.
Für die CIGEO-Gegner*innen ein Grund mehr auf den Widerstand von unten und
entschlossene Aktionen wie Besetzungen aber auch Sabotage zu setzen. Etwa 500
Menschen folgten am 16. Juli dem Aufruf, den Wald wieder zu besetzen. Ein für
mich sehr bewegender Moment.
Eine dichte Polizeipräsenz war gemeldet worden, die Anspannung war zu Beginn
der Demonstration auf vielen Gesichtern zu sehen. Das bunte Treiben setzte sich
in Bewegung. Am Waldrand angekommen, flogen nach zwei kurzen Warnungen der
Gardes Mobiles (Militärpolizei) die ersten Tränengas- und Schockgranaten
(machen einen sehr lauten Knall) – und die ersten Steine.
Der Kontext von monatelangen Protesten gegen die Loi Travail (Arbeitsgesetz) in
ganz Frankreich und die damit einhergehende entfesselte Polizeigewalt waren zu
spüren. Die Regierung antworte auf den Protest der Straße mit einer
Durchsetzung des umstrittenen Gesetzes ohne parlamentarische Debatte per 49.3
Dekret und mit Repression. Die Polizeigewalt traf die gesamte
Protestbewegung.
Viele Demonstant*innen, die bei diesen Protesten verletzt wurden oder
Augenzeuge von Polizeigewalt wurden, waren in Bure entsprechend ausgerüstet:
Helm, Gasmaske, Zwille, etc.
Dies konnte ich nachvollziehen – auch wenn ich diese Art der Auseinandersetzung
kritisch sehe. Gewalt erzeugt Gewalt und ist in meinen Augen keine Lösung. Es
ging aber vorwiegend auch um körperliche Unversehrtheit. Die französische
Polizei verwendet Waffen (Gummigeschosse, Granaten, etc.), die töten können –
wie der Tod von Rémi Fraisse vor knapp zwei Jahren es in Erinnerung rief (die
GWR berichtete).
Die Auseinandersetzung am Waldrand dauerte ein bis zwei Stunden an, bis die ersten Aktivist*innen es tatsächlich in den Wald schafften und die Polizei sich schließlich zurück zog. An den Waldeingängen wurden Barrikaden gebaut, um das Eindringen von Polizeifahrzeugen zu erschweren. Es roch noch reichlich nach Tränengas, als ich in den Wald kam. Die Küche für alle versorgte die Aktivist*innen mit leckerem Essen. Die einen bauten eine Hütte in einer Lichtung, während die anderen die Barrikaden gegen immer wieder kehrenden Angriffe der Polizei und der Securitys der Bauherrin ANDRA verteidigten. Die Polizei schien mit unregelmäßigen Angriffen mit Gasgranaten und einem Räumpanzer auf eine Zermürbungstaktik zu setzen. Die Securitys der ANDRA griffen die mit PACE-Fahne am Boden sitzenden Menschen mit Stöcken und Spitzhaken an – vor laufender Kamera des Lokalsenders France 3! Fünf Menschen wurden dadurch verletzt.
Der Wald wurde zurück erobert. Die Rückeroberung blieb jedoch symbolischer
Natur. Der Wald war zu groß und die Anzahl an Aktivist*innen auf Dauer zu
klein, um die Bauarbeiten vollständig zum Erliegen zu bringen. Die ANDRA setzte
den Bau ihrer zwei Meter hohen Schutzmauer unter Polizei- und Security-Schutz
fort. Die Mauer soll den gesamten Wald umrunden und wird zum Schutz vor
Störmaßnahmen von Projektgegner*innen bei den künftigen Bauarbeiten
errichtet.
Neue Wege für den Widerstand suchen
Die Aktivist*innen setzten auf weitere Aktionsformen und führten Aktionen vor
dem Sitz der an CIGÉO beteiligten Unternehmen durch. Am frühen Morgen des 18.
Juli wurde die Zufahrt zu Vichard Frères SARL bei Joinville blockiert. Das
Unternehmen CATTANEO SAS wurde mit Graffiti gegen das Endlagerprojekt und einem
großen Haufen Scheiße in Bar-Le-Duc heim gesucht. „Die Scheiße wird schneller
abgebaut als der atomare Müll“, so die Aktivist*innen in einer Erklärung. Ein
LKW, der Material für die Mauer der ANDRA an Bord geladen hatte, wurde im Dorf
von Bure blockiert und „redekoriert“, bis die Militärpolizei intervenierte. Es
wurde außerdem berichtet, die ANDRA würde sich über diverse Sabotage-Aktion wie
Brandstiftung an Baufahrzeugen aufregen.
Am 1. August 2016 kam dann die nächste – dieses mal positive – Überraschung: Das Gericht von Bar-le-Duc gab acht Vereinen und vier Einwohner*innen von Mandres-en-Barrois recht. Sie hatten in einem Eilantrag die illegalen Rodungen des Waldes angeprangert und einen Baustopp im Bois Lejuc gefordert. Dem Gerichtsbeschluss zur Folge muss die ANDRA die Rodungsarbeiten beenden, weil sie hierfür keine Genehmigung beantragt hat und keine Umweltverträglichkeitsprüfung vorgenommen wurde. Die sieben Hektar bereits gerodeter Wald müssen wieder aufgeforstet werden – sollte die ANDRA von der zuständigen Präfektur innerhalb der nächsten sechs Monate keine Rodungsgenehmigung erhalten.
Die ANDRA glänzte nicht gerade bei der öffentlichen gerichtlichen Anhörung vom
28. Juli. Sie erklärte, die Bauarbeiten seien zwar im Zusammenhang mit CIGÉO,
sie hätten jedoch eine nachhaltige Bewirtschaftung des Waldes Lejuc zum Zweck.
Hinzu kommt, dass die ANDRA, die mitten in die Sitzung hinein platzte, ein
lächerliches Dokument aus ihrem Hut zog. Nämlich eine durch den Bürgermeister
unterschriebene Verfügung der Gemeinde von Mandres-en-Barrois, mit der der vor
Wochen illegal bereits begonnene Bau der Mauer nachträglich genehmigt wurde.
Diese Genehmigung ist nun Gegenstand eines weiteren Eilantrags, weil das
Gericht sich auf Grund dieser Baugenehmigung weigerte, den Rückbau der Mauer
anzuordnen. Die Genehmigung dürfte keinen Bestand haben, da der Bau der Mauer
weitere Rodungen impliziert und solch eine Baugenehmigung folglich nicht ohne
vorige Umweltverträglichkeitsprüfung erteilt werden darf.
„Ob Illegale Bauarbeiten, oder der Einsatz von Söldnern zur 'Verteidigung' der
Mauer: die Manöver und Täuschungen der ANDRA um CIGÉO durchzusetzen, stehen nun
im Lichte der Öffentlichkeit. Der Gerichtsbeschluss bekräftigt die
Begründetheit und Legitimität des Widerstandes von mehreren Hundert Menschen
und der Einwohner*innen, die sich schon seit Wochen den Bauarbeiten der ANDRA
widersetzen“, erklärten die Kläger*innen in einer Pressemitteilung.
Die Entscheidung des Gerichts gibt den Projektgegner*innen, die der
plötzliche Beginn der Bauarbeiten kalt erwischte, etwas Zeit den weiteren
Widerstand zu organisieren – diese sind sich dessen Bewusst, dass die Justiz
das Atomklo nicht endgültig stoppen wird. Es ist damit zu rechnen, dass die
ANDRA nun die Genehmigungen bei der Präfektur beantragt und erhält. Fraglich
ist nur, wie schnell die Genehmigung kommen wird. Die ANDRA will deshalb gegen
den Gerichtsbeschluss in Berufung gehen und eine Fristverlängerung zur Vorlage
der Genehmigungen erreichen, um den Wald nicht renaturieren zu müssen.
Der Druck beider Seiten hat vor Ort nicht nachgelassen. Der Polizeihubschrauber
verfolgt Projektgegner*innen und die Polizei führt mit Verweis auf den in
Frankreich seit November 2015 geltenden Ausnahmezustand Identitätskontrollen
durch (hat viel mit Terrorismus wogegen der Ausnahmezustand angeblich verhängt
wurde, zu tun). Die Aktivist*innen rufen ihrerseits zu weiteren
Demonstrationen, Widerstandswochenenden, Kulturveranstaltungen und Aktionen
gegen das Atomklo auf. Die Menschen vor Ort freuen sich riesig über
Unterstützung von außen. Das Widerstandshaus Bure Zone Libre und der ehemalige
Bahnhof von Luméville mit zahlreichen Schlaf- und Zeltplätzen sind geeignete
Stützpunkte für Unterstützer*innen.
Das jüngste Widerstandswochende war in diesem Hinblick ein guter Anfang. Rund
450 Menschen aus Frankreich und dem Ausland folgten dem Aufruf, die ANDRA bei
der Wiederinstandsetzung des Waldes zu unterstützen. Die Schutzmauer der ANDRA
wurde am 14. August „redekoriert“ und schließlich zum großen Teil
niedergerissen. „ANDRA haut ab! Sabotage! Die Mauer muss weg!“, riefen die
Demonstrant*innen.
Auf nach Bure gegen den atomaren Wahnsinn! Das geht uns alle an! Niemals
aufgeben!
Eichhörnchen
Erstveröffentlichung in der Zeitschrift Graswurzelrevolution Nr. 411,
September 2016
Weitere Infos: http://vmc.camp/
(Französisch) ; http://www.eichhoernchen.ouvaton.org/de/atom/bure.html
(Deutsch)