Eine Studentin schritt als einzige ein, als Hooligans zwei syrische Flüchtlinge in einem Regionalzug terrorisierten. Wird ihre Zivilcourage nun gewürdigt?
Chemnitz. Es war ein bemerkenswerter Fall von Furchtlosigkeit und Hilfsbereitschaft: Leonie Müller (Name geändert) schaute nicht weg, als ein Hüne mit Sonnenbrille und CFC-Fanschal im Februar einen Syrer in der Regionalbahn zwischen Chemnitz und Zwickau vor sich her schob. Zuvor hatten fünf weitere offenkundig rassistische Schläger dessen Freund terrorisiert. Laut Polizei wurde er "ins Gesicht geschlagen und gewürgt". Als Leonie Müller sah, wie der Hooligan den Flüchtling am Hals packte und durch den Zug schleifte, stand sie - anders als die übrigen Reisenden und der Wachschutz - instinktiv auf und schrie den breitschultrigen Mann an: "Lass ihn in Ruhe!" Der Schläger ließ von seinem Opfer ab, in Hohenstein-Ernstthal stieg die Gruppe aus. Die 24-jährige Studentin begleitete die beiden Syrer in Zwickau zur Polizei, wo sie Anzeige erstatteten.
Schon kurz nach der Tat sagte die Bundespolizei, szenekundige Beamte hätten die Tatverdächtigen identifiziert. Doch erst ein halbes Jahr später kommt die juristische Aufarbeitung voran. Die Staatsanwaltschaft Zwickau hat nun gegen einen Mann aus Lichtenstein, Jahrgang 1982, Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung erhoben. Das Amtsgericht Hohenstein-Ernstthal, bestätigte den Eingang der Klage am 24. August. Wahrscheinlich werde man noch in diesem Jahr einen Verhandlungstermin bestimmen, sagte Gerichtsdirektor Günter Elfmann.
Die Zivilcourage der jungen Frau indes wurde bisher in keiner Weise öffentlich gewürdigt, obwohl sich für den Fall bundesweit Medien interessierten. Im März sei sie von der Bundespolizei unter Ausschluss der Öffentlichkeit zum Kaffeetrinken eingeladen worden, erzählt die junge Frau. "Die Polizei hat sich persönlich bei mir bedankt."
Mehrere Menschen, die den Bericht der "Freien Presse" vom Februar über die mutige Tat gelesen hatten, haben die Studentin für den XY-Preis für Zivilcourage der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY ... ungelöst" vorgeschlagen. Die Redaktion teilte gestern mit, die Chemnitzerin sei als Kandidatin in der Auswahl; die Jury werde im Oktober tagen.
Rückblickend sagt Leonie Müller, Deutschland sei seit der Ankunft der Flüchtlinge kälter geworden. "Die Leute denken nur an sich." Furcht habe sie vor rechtsradikalem Denken und Handeln, vor demokratiefeindlichen und menschenverachtenden Parteien und vor Menschenhass gegenüber Fremden. "Das hält mich aber nicht davon ab, gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit zu kämpfen und Zivilcourage dort zu zeigen, wo es nötig ist."