Grüne und Linke klagen über Umgang mit NSU-Akten

Erstveröffentlicht: 
07.09.2016

Die Opposition im Bundestag kritisiert das Bundesamt für Verfassungsschutz scharf. Noch immer halte die Kölner Behörde zentrale Akten zum NSU-Komplex zurück. So werde die Aufklärung blockiert

 

Das gab es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie – sechs parlamentarische Untersuchungsausschüsse beschäftigen sich gleichzeitig mit einer Affäre. Das Thema: die Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Vor fast fünf Jahren hatte sich zwar der NSU auf einer DVD zu zehn Morden bekannt, zentrale Fragen blieben aber dennoch offen. Wie viele Helfer und Mitglieder hatte diese Gruppe? Gab es zuvor Warnungen oder Hinweise?

 

Auch im Bundestag beschäftigt sich bereits der zweite Untersuchungsausschuss mit dem Thema NSU. Vor allem die sogenannten V-Männer, die vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) geführt worden sind, werden dabei genau untersucht. Drei dieser Informanten kamen dabei dem NSU besonders nahe.

 

Obwohl das BfV mit Sitz in Köln eine zentrale Rolle spielt, blockiere es noch immer die Aufklärung, so der Vorwurf der Abgeordneten Irene Mihalic, Obfrau der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im NSU-Ausschuss.  Vor allem die „Aktenlieferungsmoral des Bundesamtes“ verärgert sie: „Die eine Hälfte ist nicht da, und das, was kommt, ist das pure Chaos. Das ist eine Frechheit.“ Das Bundesinnenministerium beaufsichtigt das Bundesamt und hatte schon im Juli Defizite in der „Ablauforganisation des BfV“ festgestellt. Trotzdem habe sich nichts geändert, so Irene Mihalic: „Der Innenminister muss sich hier endlich wirksam einschalten, damit die Aufklärung nicht weiter blockiert wird.“

 

Kompliziert werde es vor allem, wenn die Abgeordneten Akten vom Bundesamt für Verfassungsschutz anfordern, die als geheim eingestuft sind. Um diese Akten lesen zu können, müssen die Ausschussmitglieder zur Berliner Zweigstelle des BfV nach Treptow fahren und sich dort die Akten vorlegen lassen – das sogenannte Treptower Verfahren. Kopien sind nicht erlaubt. Doch selbst dieses restriktive Verfahren funktioniere nicht, so Irene Mihalic: „Da werden einem Schriftstücke vorgelegt, nach denen man nie gefragt hat. Das, was man einsehen wollte, bleibt verschollen im Reich der Panzerschränke. Das ist kein guter Umgang mit dem Parlament.“

 

Ein Sprecher des BfV sagte auf Anfrage der „Welt“, die Kritik stoße im Haus auf „Unverständnis“. Man habe den Ausschuss nach Kräften unterstützt. 

 

Der Fall des V-Mannes Ralf Marschner


Aber auch weitere Mitglieder des Ausschusses wie Petra Pau, Obfrau der Fraktion Die Linke, sind anderer Auffassung. Vor allem der Fall des V-Mannes Ralf Marschner ist nach Ansicht von Pau noch lange nicht geklärt. Marschner wurde mit dem Tarnnamen „Primus“ beim BfV geführt und kam den Kernmitgliedern des NSU offenbar am nächsten.

 

So soll Marschner, ein gewaltbereiter Skinhead der ersten Stunde aus Zwickau, Uwe Mundlos bei sich in seiner Baufirma beschäftigt haben. Beate Zschäpe, die noch immer in München vor Gericht steht, wurde zudem in einem von Marschners Läden gesehen. Mehrere Zeugen hatten das im Juni vor dem NSU-Ausschuss ausgesagt.

 

Bereits im ersten Untersuchungsausschuss des Bundestages ging es um den Fall Ralf Marschner. Sein V-Mann-Führer hatte damals behauptet, dass er dem Neonazi Fotos von Mundlos, Zschäpe und Böhnhardt vorgelegt hatte, nach dem sich das Trio 1998 in den Untergrund begeben hatte. Marschner habe die drei bei der Vorlage nicht erkannt. Der Vorgang würde, hat er denn so stattgefunden, das BfV entlasten – hätte man doch immerhin eine Spitzenquelle nach dem Trio befragt. 

 

Im NSU-Ausschuss kündigt sich ein neuer Streit an


Petra Pau hat inzwischen das entsprechende Dokument angefordert. Man habe zwar 1000 Seiten aus den geheimen Akten bekommen, aber dort, so Pau gegenüber der „Welt“, „findet sich eine solche Lichtbildvorlage nicht“. Pau folgert: „Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder hat der V-Mann-Führer den ersten Untersuchungsausschuss angelogen – oder die Akten werden uns noch immer vorenthalten.“

 

Am Donnerstag soll der V-Mann-Führer von Ralf Marschner als Zeuge in nicht öffentlicher Sitzung vernommen werden. Die Opposition will ihn dort mit allen relevanten Dokumenten konfrontieren können. Petra Pau fordert deshalb nun, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz, „endlich die Lichtbildvorlagen und alle weiteren damit verbundenen Akten dem Ausschuss übermittelt“. Ansonsten, so Pau, müsse sie davon ausgehen, „dass der Untersuchungsausschuss nicht nur systematisch blockiert wird, sondern offenbar auch systematisch belogen wird“.

 

Ein Sprecher des BfV sagte gegenüber der „Welt“, dass man im Fall Marschner alle vorhandenen Akten bereits an den Bundestag geliefert habe. Ein neuer Streit im NSU-Ausschuss ist also vorgezeichnet.