Wie trägt Musik dazu bei, dass rechte Ideologien in den Mainstream einsickern? Ein neuer Dokumentarfilm zeigt Beispiele - von NSU-Videosounds bis zu Frei.Wilds Ausweichsätzen.
Selten dürfte in 80 Minuten mehr schlechte Musik untergebracht worden sein als in "Deutsche Pop Zustände". Schlechte Musik nicht nach geschmäcklerischen Maßstäben. Sondern objektiv schlecht wie schimmelndes Brot.
In ihrer Dokumentation erforschen Lucia Palacios und Dietmar Post, wie aus etwas eigentlich Gutem etwas eindeutig Böses werden konnte - und kommen zu einem ernüchternden Schluss. Rechtes, Reaktionäres oder Faschistisches begleiten die Popmusik seit Jahren.
Nüchtern ist auch der Stil des Films. Zumeist laufen auf einem Laptop die jeweiligen Klangbeispiele, während die Experten - Soziologen, Poptheoretiker, Labelbetreiber, Aussteiger, Szenegrößen - danebenhocken, Zuschauer wie wir, und anschließend aus dem Off befragt werden. Bisweilen setzt Archivmaterial vom Punk der Siebzigerjahre über die Wiedervereinigung bis Mölln, Solingen oder das Bekennervideo des NSU historische Wegmarken.
Die chronologische Erzählweise ist deshalb sinnvoll, weil "Deutsche Pop Zustände" vom allmählichen Einsickern rechter Ideologien in die sogenannte "Mitte der Gesellschaft" erzählt. Man hätte auch mit dem "Horst-Wessel-Lied" oder "Wir" von Freddy Quinn ansetzen können. Die Macher aber beginnen in dem Moment, da Popmusik den Gipfel ihrer linken Widerständigkeit erreicht hat. Denn der Punk der Sex Pistols ist in seiner rudimentären Ästhetik nur eine Schraubenzieherdrehung von Skrewdriver entfernt, die den Hass auf bourgeoise Eliten mühelos in Hass auf ethnische Minderheiten überführten: "White Power".
Von Skrewdriver führt über das rechtsextreme Netzwerk "Blood and Honour" eine direkte Linie zu Gruppen wie Landser, Endstufe, Störkraft oder Noie Werte - mit deren Songs das NSU-Trio sein Bekennervideo unterlegte. Bemerkenswert auch die Beobachtung, dass sich die rechte Szene in West- und Ostdeutschland ohne die übliche zeitliche Verzögerung parallel bildete - und im nationalen Taumel der Wiedervereinigung zu einem gesamtdeutschen Problem zusammenwuchs.
Streng wie ein jugendsoziologisches Proseminar
Dass die NPD sich bemüht, mit sogenannten Schulhof-CDs "die Herzen von Jugendlichen mit Musik zu erobern", schlägt sich im Bericht eines vermummten Aussteigers nieder. Er erzählt von der aufputschenden Wirkung eines aggressiven Sounds, der rechten Straftaten wie ein Brandbeschleuniger vorausging. Und seufzend erinnert sich der Soziologieprofesser Wilhelm Heitmeyer, auf die Gefahr der musikalischen Rekrutierung orientierungsloser Jungfaschisten durch Musik bereits in den Achtzigerjahren vergeblich hingewiesen zu haben.
Das wäre nun nichts Neues, bemühte sich die Doku nicht auch, die Anschlussfähigkeit rechter Texte, Musik und Bildersprache herauszuarbeiten - von Riefenstahl bei Rammstein bis zur Ikonografie der Böhsen Onkelz, vom aufreizenden Spiel mit gewissen Symbolen und dem routinierten Distanzieren davon, worauf diese Symbole verweisen. Radikal herumpoltern und es anschließend nicht so gemeint haben wollen, mit dieser Methode können in Deutschland inzwischen sogar Wahlen gewonnen werden. Sehenswert auch die Süffisanz, mit der der "nationale" Liedermacher und NPD-Bundespräsidentschaftskandidat Frank Rennicke vor der Kamera seine subversiven Tricks erklärt. Oder das ausgestellte Unverständnis, mit dem Frei.Wild-Sänger Philipp Burger dem Vorwurf begegnet, einem völkischen Nationalismus in die Hände zu spielen. Ist er nicht Südtiroler? Und wer liebte nicht seine Heimat?
Betrachtet wird allerdings auch die andere Seite. Während früher die Flüchtlingsheime brannten, tanzte Deutschland zu entleerten Slogans wie "Friede, Freude, Eierkuchen" und Marushas "Somewhere Over the Rainbow". Auch der Widerstand gegen rechte Umtriebe hat aufgerüstet und das selbstgerechte "Arsch huh, Zäng ussenander" hinter sich gelassen. Unerwähnt bleiben Feine Sahne Fischfilet, die noch ganz im Punk verhaftet sind. Erwähnt werden aber Titel wie "Beate Zschäpe hört U2" von der Antilopen Gang - wo die These, Xenophobie und Neonationalismus sei längst im Mainstream angekommen, auf einen unwiderlegbaren Punkt gebracht wird.
"Deutsche Pop Zustände" macht aus seiner Haltung keinen Hehl und wirkt in seiner Strenge bisweilen wie ein jugendsoziologisches Proseminar. Was aber in einer Zeit, da jedem Arschwackeln von Rihanna von der Popkritik gerne eine grundstürzende gesellschaftliche Bedeutung beigemessen wird, auch mal ganz erfrischend sein kann.
"Deutsche Pop Zustände" auf Kinotour: bis 7. September, Lichtblick-Kino, Berlin (am Montag, 5. September Publikumsgespräch mit Regisseur Dietmar Post) / ab 08. September, Babylon-Kreuzberg, Berlin / 15. September, Weltecho, Chemnitz (mit Dietmar Post / außerdem ab 15. September, Scala-Kino, Konstanz / 22. September, east Hotel (im Rahmen des UNERHÖRT! Music Film Festival mit Dietmar Post) / 28. September, Forum 3 e.V., Stuttgart (mit Dietmar Post) / 29. September Kino am Kocher, Aalen (mit Dietmar Post) / 04. + 5. Oktober, Lichtblick-Kino, Berlin / 26. Oktober, Filmforum, Hamburg-Bergedorf
Der Film kann auch über playloud.org abgerufen werden.