Eine Meldung und ihre Geschichte
Ein Rechter ruft zur Demo auf – es kommen 170 Polizisten und 50 Gegendemonstranten.
An einem heißen Samstag im Juni, mittags um eins, sank Enrico Pridöhl auf einen Bordstein in der Innenstadt von Bad Segeberg und ahnte, dass er verloren hatte. In seiner Hand hielt er eine schwarz-rot-goldene Flagge, die schlaff in der windlosen Luft hing. Fast still war es, weil die Straßen abgesperrt waren, hier und da konnte er das Rauschen von Funkgeräten hören, mit denen die Polizeibeamten um ihn herum ausgerüstet waren, immerhin 170 an der Zahl.
Enrico Pridöhl ist 40 Jahre alt, ein hagerer Mann mit Schirmmütze, der 
älter aussieht, als er ist. Er sitzt, vier Wochen nach diesen Spuk, vor 
einem Café in Heiligenhafen, Schleswig-Holstein, schwarzes Hemd, 
schwarzes Jackett, und sagt, dass er seinen vollständigen Namen nicht 
lesen möchte. Er sucht noch immer nach einer Erklärung. Wie konnte das 
passieren? Wie konnte ihn „200 Kameraden“, angeblich doch „stolze 
Patrioten“ wie er selbst, so in Stich lassen? „Rechtssein“, sagt er, 
„bedeutet“ doch zusammenhalten.“
Für Enrico Pridöhl, in der DDR 
geboren, war Gemeinschaft immer wichtig. Er wuchs auf in Röbel, einer 
Kleinstadt an der Mecklenburger Seenplatte. Als Junge, erzählt er, 
verbrachte er viel Zeit bei der Freien Deutschen Jugend. In den 
sozialistischen Ferienlagern sang er mit anderen Kindern Lieder über 
Freundschaft und Verbrüderung.
Nach der Schule machte er eine 
Ausbildung zum Briefträger. Drei Jahre nach dem Fall der Mauer zog er in
 den Westen, nach Neukirchen, ein Dorf in Schleswig-Holstein. Er trat 
dort der SPD ein, er schätze den Austausch mit Genossen. Irgendwann, auf
 einer Parteiveranstaltung , lernte er eine junge Türkin kennen und 
verliebte sich. Die Beziehung hielt sechs Jahre. „Die Jahre“, sagte 
Enrico Pridöhl, „waren die besten überhaupt.“
Der Bruch in seinem
 Leben kam, als seine Freundin sich von ihm trennte. Enrico begann zu 
trinken, ließ sich auf kriminelle Geschäfte ein. „Waren- und 
Kreditdelikte“, so nennt er das, was ihn vier Jahre in Gefängnis 
brachte.
Als er wieder rauskam, im Sommer 2008, hatte Enrico 
Pridöhl keine Freunde, keine Familie, keine Arbeit mehr. Er fühlte sich 
alleingelassen.
Die erste Demo, an der er teilnahm, war ein 
Protestmarsch in Lübeck, organisiert von der NPD. Enrico Pridöhl hatte 
bis dahin nie mit Rechtsextremisten zu tun gehabt. Er kann noch heute 
kaum sagen, was er damals bei ihnen gesucht hat, vielleicht, sagt 
Pridöhl, „war es am Anfang nur ein bisschen Halt“
Was auch immer 
es war, Enrico Pridöhl machte irgendwann ein Hobby daraus. Bald lief er 
jede Woche mit bei den Märschen der rechten Szene, in Greifswald und in 
Rostock, in Hamburg und in Schwerin. Er rief nationalistische Parolen 
und verschaffte dem Frust über sein Leben Luft.
Im vergangenen 
Sommer, als sein Geld knapp wurde, beschloss Pridöhl, einige Demos zu 
veranstalte, für die er nicht weit reisen musste. Er ging von Dorf zu 
Dorf, verteilte Flugblätter, rief auf Märschen gegen kriminelle 
Ausländer und Kinderschänder.
Im Winter, als die Stimmung den 
Flüchtlingen gegenüber ungemütlich wurde, erstellte er im Netz eine 
Facebook-Seite. Er gab ihr den Titel „Schleswig-Holstein wehrt sich“ und
 teilte dort Meldungen über Flüchtlinge, die angeblich Frauen und Kinder
 sexuell belästigen. Die Seite wurde mehr als 200-mal geliked, und 
Enrico Pridöhl nahm an, mindestens 200 Menschen wären bereit, mit ihm 
die ganz große Demo abzuziehen.
Unter dem Motto „Asylmissbrauch 
stoppen – Nein zur Merkel-Politik“ kündigte er einen Protestmarsch an, 
auf seiner Facebook-Seite und auch beim Ordnungsamt von Bad Segeberg. 
Das Schreiben, eingegangen bei der Kreisordnungsbehörde , landete bei 
der Polizeidirektion der Stadt. Diese, zum Schutz von Demonstrationen 
verpflichtet, beurteilte die Gefährdungslage, erstelle  Woche vorher ein
 taktisches Konzept und plante, anhand eines vorgegebenen Schlüssels, 
170 Beamte aus ganz Schleswig-Holstein ein.
Enrico Pridöhl hatte 
alles genau durchgespielt.. Vom Parkplatz am Städtischen Gymnasium aus 
wollte er vier Stunden durch den Ort marschieren , durch Wohnsiedlungen 
und Einkaufsstraßen, zurück zum Gymnasium, bis zur Abschlusskundgebung 
vor der großen Mehrzweckhalle. Er hatte sogar ein Megafon besorgt.
Er
 stand pünktlich vor dem Gymnasium, er hielt die Deutschlandfahne in 
die Luft, gewissermaßen als Erkennungszeichen für seine Verbündeten, er 
schaute sich nach ihnen um, wieder und wieder. Aber alles, was er sah, 
waren Polizisten in schwerer Uniform.
Enrico Pridöhl schwitze. Er
 sah, dass entlang seiner Route viele Menschen standen. Aber das waren 
Gegendemonstranten. Dann sank er auf den Bürgersteig.
Die 
Polizei, mit fast 40 Einsatzfahrzeugen angerückt, wartete genau 15 
Minuten, dann sagte sie die Demo ab. Die versammlungsrechtlichen 
Anforderungen, hieß es, schrieben mindestens drei Teilnehmer vor. Enrico
 Pridöhl ließ sich nach Hause fahren, beschützt von zwei Beamten.
Sein
 Versuch einer Demonstration, erzählten sie ihm in Auto, würde das Land 
mehr als 50.000 Euro kosten. Enrico Pridöhl spürte ein Kribbeln in 
seiner Brust. Er kam sich, wenigstens einen Moment lang, wichtig vor.
Der im Artikel gekürzte Nachname Enrico P., wurde in Enrico Pridöhl geändert.

