Ein brauner Mob schändet das Brandenburger Tor, sucht das Wahrzeichen mit Hass-Plakaten heim. Wie so etwas am helllichten Tag passieren konnte, ist die neue Groß-Debatte der Stadt. Die „Identitäre Bewegung“, so der Name der Vollpfosten, hatte keiner auf dem Zettel. Von Öffentlichkeit und Politikern unbeachtet, wuchs hier eine neue Rechtsjugend heran.
Der 26-Meter-Aufstieg bis zur Quadriga ist leider nicht der einzige Aufstieg der „Identitären“. Immer öfter mischen sie sich mit ihren gelb-schwarzen Fahnen unter AfD- und Pegida-Demos. Mit poppigen Internet-Videos ködern sie Jugendliche. Ihre Facebook-Seite verbucht 32.000 Likes, ihr Video von der Tor-Aktion wurde binnen 24 Stunden fast 24.000 Mal angeklickt. Die braune Brut (Motto: „Heimat, Freiheit, Tradition“) trägt heute Hipster-Klamotten.
Täusch-Taktik, Agitation im Verborgenen: Es brauchte wohl erst den Tor-Sturm im Herzen Berlins, bevor die wichtigsten Fragen auf den Tisch kommen – wie gefährlich sind die Typen, was können wir gegen sie tun?
Hans-Georg Maaßen, Chef des Verfassungsschutzes, sieht „bei der Identitären Bewegung Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die demokratische Grundordnung“. Die vor vier Jahren als Ableger der französischen „Génération identitaire“ gegründete Truppe habe sich in der Flüchtlingskrise weiter radikalisiert. Sie wird deshalb seit diesem Monat bundesweit vom Verfassungsschutz beobachtet. Die Grundgesetzhüter in neun Bundesländern waren da flotter: Bremen ist schon seit 2012 an den „Identitären“ dran, in Berlin gelten sie spätestens seit 2015 als „rechtsextremistisch“.
Was tun? Erst einmal das, was auch wütenden Passanten bei der Tor-Aktion spontan einfiel: „Die Nazis von den Identitären sind am Pariser Platz sofort laut ausgebuht worden“, sagt Berlins Ex-SPD-Chef Jan Stöß. Er sei deshalb „stolz“ auf seinen Wahlbezirk Mitte. Stöß forderte, eine bessere Absicherung der Zugänge zum Dach des Brandenburger Tors zu prüfen.
Innensenator Frank Henkel (CDU) sieht die Zuständigkeit aber nicht bei der Polizei, sondern bei der SPD-geführten Kulturverwaltung und der landeseigenen Immobilien-Gesellschaft BIM. Prompt warnte der SPD-Politiker Tom Schreiber im Konzert mit den Grünen vor „Zuständigkeitswirrwarr“. Einem Senatssprecher zufolge soll der Kletter-Vorfall jetzt zügig rekonstruiert werden, um Sicherheitslücken zu stopfen.
Aber ein Schutz fürs Tor allein kann die neue Rechtsjugend nicht stoppen. Experten der „Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus“ schätzen, dass sie bundesweit schon 400 Mitglieder hat. In Berlin besetzte sie 2015 einen Balkon der SPD-Bundeszentrale, zu einem Aufmarsch gegen „Islamisierung“ kamen im Juni über 150 Teilnehmer. Mit dabei war etwa Jannik B., der nicht nur führendes Mitglied der „Identitären“ ist, sondern auch Schatzmeister im Landesvorstand der Jungen Alternative. Und das ist natürlich die Jugendorganisation der AfD, die bei der Wahl im September ins Berliner Abgeordnetenhaus einziehen dürfte.
Radikale im Parlament? Die „Identitären“ bekennen sich zum Konzept des Ethnopluralismus, demzufolge die verschiedenen Weltkulturen einfach nicht zusammenpassen – und deshalb nicht im Stil von Multikulti vermischt werden dürfen. Experte Prof. Hajo Funke (FU Berlin) sieht das als Art von Rassismus.
Mit Sorge betrachten Fachleute auch die gute
Vernetzung der „Identitären“: So sind sie etwa mit der rechten
Szene-Zeitschrift „Sezession“ verbunden, deren Chef Götz Kubitschek
wiederum ein Freund von AfD-Rechtsaußen Björn Höcke ist. Hier zeichnet
sich ein bedrohliches, neues Rechtsbündnis ab.